Kleve. . Wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Stalking muss sich ein 38-jähriger Mann vor dem Landgericht Kleve verantworten.

“Hier ist überall Blut! Verstehen Sie das nicht? Der will mit dem Messer durchs Fenster!“ Die Stimme der jungen Frau am anderen Ende der Leitung überschlägt sich, als sie am Abend des 2. April dieses Jahres den Notruf verständigt. Ihr Ex-Freund, ein 38-jähriger Mann aus Emmerich, hatte sich an die Erdgeschosswohnung seiner verflossenen Liebschaft an der Nassauer Allee herangeschlichen. Diese ahnte bereits nichts Gutes.

Seit Wochen stellte der Bäckergehilfe ihr nach, verfolgte sie nach dem Ende der gerade mal vierwöchigen Beziehung auf Schritt und Tritt. Nach der Arbeit lauerte er ihr auf oder wartete vor ihrer Haustür. Das Stalking ging so weit, dass die Kleverin Polizeischutz erhielt und beim Amtsgericht Emmerich gar eine einstweilige Verfügung gegen ihren „Schatten“ erwirkt hatte. „Wenn du einen Neuen hast, schlitz’ ich dem die Kehle auf“, hatte er ihr im Streit einmal an den Kopf geworfen.

Frau hatte Todesangst

Als im Gerichtssaal die Stimme der jungen Frau vom Tonband erklingt, herrscht betretenes Schweigen. Der beschleunigte Atem der Kleverin während ihres Anrufs kündet von nackter Todesangst, die sie in diesen Minuten durchlitten hat.

Seit diesem Mittwoch steht der Mann wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht Kleve. Außerdem muss er sich wegen Nachstellung, Bedrohung in fünf Fällen sowie zweimal versuchter Nötigung vor der 4. großen Strafkammer (Schwurgericht) am Landgericht Kleve unter Vorsitz von Richter Jürgen Ruby verantworten. Die Vorwürfe räumt der mutmaßliche Täter in weiten Teilen ein, wenngleich er an den Angriff größtenteils keine Erinnerung mehr haben will.

Szenen wie aus einem Horrorfilm

War war geschehen? Als die 26-Jährige ihren Verfolger am Fenster entdeckt hatte, gab sie ihrem Freund Bescheid. Das junge Paar hatte sich zurückgezogen und vorher wohl Zärtlichkeiten ausgetauscht, was der eifersüchtige Nebenbuhler durch die Scheibe beobachtet hatte. Das war zuviel.

Nachdem seine Ex-Freundin ihn entdeckt hatte, versteckte der Angeklagte sich zunächst. Als ihr Freund das Fenster öffnete, soll der 38-Jährige diesem mit einem Messer in den Hals gestochen haben. Eine Tötungsabsicht liegt aus Sicht der Staatsanwaltschaft nahe, da der Stich direkt die Halsschlagader des Opfers traf. Als dieses reflexartig das Fenster zuschlug, soll der Angeklagte um das Haus herumgeschlichen sein und sich an einem weiteren Fenster zu schaffen gemacht haben. Szenen wie aus einem Horrorfilm – für das junge Paar waren sie grausame Realität.

„Ich sterbe...“ stammelte der schwer lädierte Mann auf der Tonbandaufnahme. Und tatsächlich war er nur knapp am Tod vorbeigeschrammt – eine anschließende Notoperation in einer Spezialklinik rettete ihm das Leben.

Angst und Alpträume bleiben für die Betroffenen

Doch ist für ihn nichts mehr, wie es war, betont er in seiner Aussage. Ähnlich geht es seiner Freundin, die nach dem Erlebnis wie auch er therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hat. Oft quälten sie Angstzustände und Alpträume, bekennt die junge Opferzeugin. „Ich kann nicht mehr so mit Menschen umgehen wie früher“, sagt sie resigniert. Bereits in einem anderen Fall hatte das Amtsgericht Leverkusen Strafbefehl wegen Nachstellung gegen den Mann erlassen, doch handelte es sich um eine andere frühere Lebensgefährtin. Damals kam er mit einer Geldbuße davon.

Vor Gericht drückt der Angeklagte sein Bedauern über die Tat aus und entschuldigt sich ausdrücklich bei den Betroffenen . Seine Einlassung ist derweil geprägt von eklatanten Erinnerungslücken: „Ich weiß nicht mehr,warum ich so einen Blödsinn gemacht habe.“ Für die Staatsanwaltschaft handelt es sich bei dem Angriff klar um einen versuchten Mord, da laut Anklage zwei potenzielle Mordmerkmale in Betracht kämen: Heimtücke und niedrige Beweggründe. Letztere könnten etwa im Hinblick auf die krankhafte Eifersucht des Angeklagten vorliegen, mit der er die 26-Jährige zu beherrschen versuchte und tief in ihr Leben eingriff.

Parfümflasche gegen den Kopf geschleudert

Dass er zu Gewaltausbrüchen neigt, hatte der Emmericher schon vor der Tat unter Beweis gestellt – etwa als er seiner Freundin einmal eine handtellergroße Parfümflasche an den Kopf geschleudert hatte. Obwohl die Polizei ihm bereits ins Gewissen geredet und eine sogenannte „Gefährderansprache“ vorgenommen hatte, zeigte er sich beratungsresistent.

Ob der Angeklagte rechtlich die volle Verantwortung für seine Taten übernehmen muss, oder ob möglicherweise eine krankhafte seelische Störung seine Schuldfähigkeit beeinträchtigen könnte, soll ein psychiatrischer Gutachter klären. Der Prozess wird heute fortgesetzt.