Essen. .

Falsche Polizisten nehmen betuchte Ältere aus. Die Kriminellen erbeuteten bereits Millionen aus den Tresoren – in einem Fall waren es 600.000 Euro Bargeld. Auch die Anzeigen nach dem Enkeltrick haben sich vervierfacht.

Der Enkeltrick oder der mit dem Glas Wasser, der mit der Nachricht für die Nachbarin oder das Handgeklöppelte aus Österreich zum unglaublich günstigen Kurs – sie alle sind Türöffner von gestern und nichts gegen die neueste Masche, mit der sich Kriminelle zurzeit Zutritt zu den Wohnungen älterer Menschen verschaffen: Falsche Polizisten, teils in Uniform, teils in Zivil, rücken gut betuchten Senioren mit allerlei Lügengeschichten aufs Haus in der Hoffnung auf reiche Beute.

Bislang wurden sie nicht enttäuscht: Neun Betrügereien dieser Machart in Essen sind der echten Polizei inzwischen bekannt. So niedrig die Fallzahlen (noch) sind, so erschreckend hoch ist der Schaden: Die Kriminellen erbeuteten bereits Millionen aus den Tresoren, den Schränken und Sparstrümpfen – in einem Fall waren es 600.000 Euro Bargeld, in anderen nahmen die Unbekannten neben stattlichen Summen wertvollen Schmuck mit.

Senioren leiden stärker an den Folgen

Die hiesige Kripo hat eine Ermittlungskommission ins Leben gerufen, die inzwischen tiefe Einblicke in die nach Auskunft eines Ermittlers „organisierten Machenschaften einer Gruppe von bundesweit agierenden Tätern“ gewonnen hat, die in ihrer rücksichtslosen Gier nach Geld in den Gefühlswelten älterer Menschen so viel Zerstörung hinterlassen: Senioren leiden ungleich stärker unter den Folgen von Straftaten als jüngere Menschen, sagt Wilfried Goldmann, Chef des Kommissariats Vorbeugung. Und wie groß muss am Ende der Vertrauensverlust sein, wenn sie ausgerechnet von denen hinters Licht geführt wurden, die sie für treue Staatsdiener hielten, für vertrauenswürdige Beamte, die ihnen zudem erklärten helfen zu wollen.

Vorsicht vor den Verbrechern in Uniform, heißt die Botschaft der Polizei. Es ist geradezu perfide: Keinem der Opfer ist es aufgefallen, dass es Wochen, ja Monate vor der eigentlichen Straftat, dem Besuch der falschen Beamten, sorgfältig ausspioniert worden ist. Ein Blick in die Praxis:

Das jüngste Opfer ist 95 Jahre alt, die Täter, die eines Tages bei der Dame schellen, sind höflich und zuvorkommend. Sie bieten ihre Dienste an. Wie wär’s, vielleicht mal den Garten herrichten? Die Auserwählte im vornehmen Essener Süden willigt ein. Als die „Helfer“ nach getaner Arbeit 4000 Euro verlangen, zahlt sie bereitwillig – aus dem Stand auf der Schwelle mit 500er-Scheinen. Das ist das Signal: Bei der 95-Jährigen ist viel zu holen. Schon sitzt die Seniorin in der Falle, ohne es zu ahnen. Nun gilt es herauszufinden, wo das Geld im Haus versteckt ist. Eine Aufgabe für Komplizen.

Das Opfer öffnet den Tresor

Unter dem Vorwand, für eine Dichtigkeitsprüfung einen Blick auf die Abwasseranschlüsse des Anwesens werfen zu müssen, verschaffen sich Männer Zugang zum Keller. Dort entdecken sie den gesuchten Tresor, in dem die ältere Dame Bargeld und Schmuck aufbewahren muss. Mit dieser Erkenntnis geben sich die „Handwerker“ zufrieden und nach ihrem Verschwinden schwant der 95-Jährigen immer noch nichts Böses. Wie auch? Auch nicht, als am 1. September gegen 8 Uhr morgens das Telefon klingelt und ein angeblicher Polizist den Besuch zweier Kollegen ankündigt.

So angemeldet fällt der falsche Dienstausweis, den sie kurz zücken, noch weniger auf. Die Seniorin bittet sie herein und geht Minuten später ihrer gesamten Barschaft verlustig. Denn die falschen Beamten beschlagnahmen das gesamte Geld der Dame mit der Begründung, dass sich unter den acht 500-Euro-Scheinen, mit denen sie vor wenigen Tagen „zwielichtige Gartenhelfer“ ausbezahlte, Falschgeld befunden habe. Damit habe man die Männer erwischt, nun müsse alles sichergestellt werden. Kaum zu glauben: Das Opfer selbst öffnet den Tätern den Tresor, ein schäbiger Trick genügt, um an 175.000 Euro zu kommen. Er fliegt erst auf, als die 95-Jährige ihrem Sohn davon erzählt.

Solch eine Tat geht als einfacher Diebstahl durch, für den niemand in Untersuchungshaft wandert. Die Ermittlungen sind schwierig, sagt ein Fahnder. Die Beute ist verlockend fett, das Risiko erwischt oder zu einer empfindlichen Strafe verurteilt zu werden, aber kalkulierbar für die Betrüger, die nach Erkenntnissen der Polizei unter anderem von Katernberg aus operieren.

„Wir müssen
aufrüsten“

Noch tun sich die Ermittler schwer, den mutmaßlichen Trickdieben, die von Katernberg aus in der Republik unterwegs sind, bandenmäßige Strukturen nachzuweisen. Eine gewisse Organisation haben sie bei ihren Recherchen dennoch entdeckt: „Ein Schützenverein wurde gegründet.“ Was auf den ersten Blick einer eher unverdächtigen Brauchtumspflege dienen könnte, ist für einen Kripobeamten das Vehikel, um an Waffenscheine zu kommen. Der wird „Sportschützen“ ausgestellt, wenn sie sich zehn Jahre nichts zu Schulden haben kommen lassen, „selbst wenn sie vor 30 Jahren jemanden erschlagen haben“, so ein Kripomann: „Der Colt, die Beretta, alles rechtmäßig.“ Selbst Waffenschränke wurden angeschafft, zeigten Stippvisiten. Alles ganz legal.

Bewaffnet waren die beiden Verdächtigen, die die Polizei nach dem Coup in Stadtwald dank eines Zeugenhinweises in Steele stellte, übrigens nicht. Ihr Audi mit Oldenburger Kennzeichen wurde sichergestellt, von der Beute fehlte allerdings jede Spur. Die Männer, die nach Angaben der Polizei einer Volksgruppe angehörten, die auf der neuerlichen Suche nach einem politisch korrekten Begriff inzwischen als „Rotationseuropäer“ tituliert werden, konnten nach einem Besuch beim Haftrichter wieder nach Hause gehen.

Um sich vor ihnen oder anderen potenziellen Tätern schützen zu können, sollten Senioren einige wenige Botschaften der Polizei verinnerlichen, so Wilfried Goldmann: „Keine fremden Leute in die Wohnung und sich nicht auf der Straße aushorchen lassen, im Verdachtsfall die 110 wählen.“ 44 Vorträge vor 1300 Senioren haben die Vorbeuger bereits in den ersten sechs Monaten diesen Jahres gehalten, um zu aufzuklären. Zwei Beamte sind allein dafür abgestellt. Mit zunehmendem Erfolg: Der so genannte Enkeltrick wurde im gleichen Zeitraum vier Mal häufiger angezeigt als im vergangenen Jahr.

Doch die Betrüger sind erfinderisch und sie haben die Zeichen der Zeit längst erkannt, wie es ein Täter einem Ermittler bei der Vernehmung steckte: „Die Leute werden immer älter. Wir müssen aufrüsten.“