Essen-Altenessen. Die Baustelle sollte längst abgeschlossen sein. Doch es geht um Gefahrenabwehr – und die Arbeiten sind komplizierter als gedacht.
Wenn Katrin Weber von der Arbeit kommt, möchte sie erst einmal ihre Ruhe haben. Sie wohnt in einer Dachgeschosswohnung an der Altenbergstraße in Altenessen. Dafür, dass die Gegend von stark befahrenen Straßen umgeben ist, ist sie recht ruhig.
Doch mit der Ruhe sei es im Sommer 2023 plötzlich vorbei gewesen, berichtet Katrin Weber. Am Rande des Nordparks, auf einer Freifläche, die die Essenerin von ihrem Wohnzimmerfenster sehen kann, begannen Bauarbeiten.
Für Grubenwasserkonzept bohrt RAG an Standorten in Duisburg und Essen
Eine Weile beobachtet Katrin Weber das Geschehen, fühlt sich durch die Geräusche, und mitunter auch Abgase, aber mehr und mehr gestört. Schließlich wendet sie sich an die Stadt. Diese verweist an die Emschergenossenschaft und die wiederum an die RAG. Ein paar Mails später hat die Anwohnerin eine Antwort, die sie vorerst zufriedenstellt: In etwa zehn Wochen soll alles vorbei sein. Doch der Herbst kommt, dann der Winter, ein neues Jahr beginnt, und die Baustelle läuft weiter. „Immer wieder gibt es ein heulendes Geräusch, das bis in meine Wohnung hochschallt“, sagt Katrin Weber, teilweise durchgängig von morgens bis abends. Wieder will sie sich informieren, dieses Mal aber verweist die RAG zurück an die Emschergenossenschaft.
Die Pressestelle der Emschergenossenschaft stellt schließlich klar: Es handele sich um eine Baustelle der RAG. Deren Sprecher, Christof Beike, erklärt die Verwirrung um die Zuständigkeiten damit, dass an besagter Stelle tatsächlich zuerst die Emschergenossenschaft gearbeitet habe. „Im Anschluss daran haben wir übernommen.“
Doch was genau passiert dort? Die Baustelle ist Teil des Grubenwasserkonzepts der RAG. An sechs Standorten, unter anderem in Duisburg und Essen, in diesem Fall auf dem Areal des ehemaligen Grubengebäudes des Bergwerkes Victoria Mathias, werde gebohrt, „um eine dauerhaft funktionierende Gasentlastung zu gewährleisten“.
Nach Abschluss der Essener Baustelle wird der Gasaustritt vor Ort regelmäßig kontrolliert
Hintergrund: Nach Beendigung des Steinkohlebergbaus will man das Grubenwasser auf etwa 600 Meter unter der Erdoberfläche ansteigen lassen. „Früher hat man das abgepumpt, damit der Bergmann trocken blieb“, erklärt Beike. Mit dem steigenden Wasserspiegel wird allerdings auch Methangas an die Oberfläche gedrückt, welches an die Steinkohle gebunden gewesen ist. Dieses müsse man nun an mehreren Stellen „kontrolliert absaugen“, um einen „dauerhaften Überdruck im Grubengebäude“ zu vermeiden. Zu diesem Zweck wird gebohrt: 380 Meter tief. Mehrere Rohre unterschiedlichen Durchmessers müssen nacheinander und ineinander in das Bohrloch eingelassen und einzementiert werden, am Zielpunkt beträgt der Bohrdurchmesser schließlich nur noch etwa 200 Millimeter. „Das Prinzip muss man sich in etwa vorstellen wie ein ausziehbares Fernrohr“, erklärt Niklas Netzer, der gemeinsam mit Tim Rösken das Projekt leitet.
Während der Bohrung sei man in etwa 100 Meter Tiefe auf Hohlräume aus Bergbauzeiten gestoßen, die abgedichtet werden müssten. Dabei seien die bereits eingebrachten Rohre deformiert worden, was Reparatur- und Sicherungsarbeiten erforderlich gemacht hätte. Kurz: Alles dauert länger als geplant.
Sobald aber die Bohrarbeiten abgeschlossen seien, werde nach aktuellem Stand eine sogenannte „Protegohaube“ errichtet. Diese werde regelmäßig kontrolliert. Sollte dabei festgestellt werden, dass zuviel Gas austrete, müsse eine mobile Absauganlage zum Einsatz kommen.
Lärmbelastung auf RAG-Baustelle liegt laut Projektleitern unter dem Grenzwert
Auf die Anwohnerbeschwerde angesprochen, erklären die beiden Projektleiter, dass die Lärmbelastung unter der erlaubten Höchstgrenze liege. Man habe vor Beginn der Baustelle, am ersten Betriebstag und zwischenzeitlich „nach Bedarf“ Lärmmessungen durchgeführt, auch in unmittelbarer Nähe der Wohngebäude. Dabei seien im Mittel 59 Dezibel gemessen worden, erlaubt seien 63.
Und das „heulende Geräusch“? Die beiden Projektleiter zucken die Schultern. „Es könnte der Kraftdrehkopf sein“, sagt Tim Rösken. Je nach Gesteinsart könne durch den Widerstand beim Bohren ein solches Geräusch entstehen.
Für die Arbeiten als solche hat Katrin Weber „vollstes Verständnis“, doch sie kritisiert die mangelnden Informationen. „Zu Beginn der Maßnahme gab es ein Schreiben an die Anwohner und einen Ortstermin mit Bezirkspolitik und interessierten Bürgern“, sagt Tim Rösken. Man habe leider versäumt, den Anwohnern mitzuteilen, dass die Maßnahme wegen der komplizierten Zementierarbeiten wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehme, als angekündigt, räumt Sprecher Christof Beike ein. Das wolle man nun umgehend nachholen. Die Schilder an den Bauzäunen sind schon aktualisiert worden. Neues Ziel: Fertigstellung innerhalb der nächsten 15 Wochen.
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