Essen. In einem Offenen Brief wird Essens OB aufgefordert, keine Bezahlkarte für Flüchtlinge einzuführen. Sie würden so zu „Menschen zweiter Klasse“.
Ein breites Bündnis von Essener Akteuren hat sich jetzt in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Thomas Kufen und Sozialdezernent Peter Renzel dagegen ausgesprochen, in der Stadt eine Bezahlkarte für Flüchtlinge einzuführen: Durch die Karte würde den Betroffenen „fortlaufend vermittelt, nur Menschen zweiter Klasse zu sein“. Die Stadtspitze solle sich daher auf Landesebene gegen eine verpflichtende Einführung der Karte einsetzen, fordern die Unterzeichner.
Unterschrieben haben den Brief Organisationen von Antirassismus-Telefon über Awo, DGB, Pro Asyl Essen, Grüne Jugend, Seebrücke Essen, Pax Christi, Migrations-Beirat des Kirchenkreises bis zum Viel-Respekt-Zentrum. Sie erklären, dass die Bezahlkarte die Inhaber im Alltag vor viele Hürden stelle und so die soziale Teilhabe erschwere. Damit stehe sie in Widerspruch zum Rahmenkonzept „Zusammenleben in Vielfalt“, das der Rat 2020 beschlossen habe und das Gleichbehandlung und die Abwehr von Diskriminierung als Voraussetzungen von Integration sehe. Die Ratsmitglieder sollten sich daher nun gegen die Bezahlkarte aussprechen. Auch andernorts werde die Karte kontrovers diskutiert, einzelne NRW-Städte wie Dortmund hätten sich bereits gegen ihre Einführung ausgesprochen.
Essens Oberbürgermeister will die Bezahlkarte einführen
Kufen hatte im Februar allerdings ausdrücklich vor einem „Flickenteppich“ bei den NRW-Kommunen gewarnt: Die Landesregierung müsse unbedingt eine einheitliche Regelung zur Bezahlkarte auf den Weg bringen. Der OB betonte bei der Gelegenheit auch: „Wenn es kein einheitliches Vorgehen geben sollte, führen wir die Bezahlkarte in Essen trotzdem ein.“
Die Verfasser des Offenen Briefes weisen darauf hin, dass Geflüchtete in Essen seit vielen Jahren ein „Basiskonto“ einrichten können, auf das Sozialleistungen unkompliziert überwiesen werden. „Eine Umstellung der Auszahlung von bereits bestehenden Konten von Geflüchteten auf eine Bezahlkarte wird zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen“, fürchten sie. Sie bestreiten auch, dass die Bezahlkarte mögliche Fehlanreize („Pull-Faktoren“) für Flüchtlinge beseitigen werde: Es greife zu kurz, Fluchtbewegungen auf ökonomische Gründe zu reduzieren. „Menschen fliehen aufgrund von Krieg, Unterdrückung und humanitären Notlagen.“
Der Offene Brief weist auch die Annahme zurück, dass von Sozialleistungen lebende Flüchtlinge „große Summen in ihre Herkunftsländer überweisen“. Dazu seien die ihnen nach Asylbewerberleistungsgesetz zustehenden Summen von maximal 204 Euro für den persönlichen Bedarf eines Erwachsenen zu gering .„Die Einführung einer Bezahlkarte würde nun bedeuten, dass die Leistungsempfänger über diese zu geringen Zahlungen nicht mal mehr frei verfügen könnten.“ In der Praxis würde Geflüchteten die Freiheit genommen, Verträge etwa über Versicherungen, Online-Einkäufe oder das Deutschlandticket abzuschließen, heißt es.
Betroffenen stünde kaum Bargeld zur Verfügung
„Je nach konkreter Ausgestaltung der Karte stünde den Betroffenen wenig bis gar kein Bargeld mehr zur Verfügung.“ So könnten sie weder in kleinen Geschäften oder auf Märkten einkaufen noch den Kindern Bargeld für den Schulausflug mitgeben. Fazit der Verfasser: „Sozialleistungen als Kontroll- und Disziplinierungsinstrument zu missbrauchen, ist ein massiver Eingriff in die Würde und Handlungsfreiheit eines jeden Menschen und absehbar verfassungswidrig.“
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