Essen. Mit der „Bramme für das Ruhrgebiet“ auf der Schurenbachhalde hat Richard Serra im Essener Norden Großes geleistet. Eine Würdigung zu seinem Tod.

Als Richard Serra 1977 seine Stahlplastik „Terminal“ am Bochumer Hauptbahnhof aufstellte, war die Empörung groß, auch bei einem jungen CDU-Kommunalpolitiker namens Norbert Lammert. Doch nicht nur der spätere Bundestagspräsident lernte dazu. Zwei Jahrzehnte später erkannten alle rasch das Potenzial, als der amerikanische Künstler die Schurenbachhalde in Altenessen für seine „Bramme für das Ruhrgebiet“ auswählte. Etwas mehr als ein Vierteljahrhundert steht die Stahlskulptur nun da, Richard Serra starb nun im Alter von 85 Jahren. Gelegenheit, ein Kunstwerk zu würdigen, das es zu Recht längst in die erste Reihe der Essener Wahrzeichen geschafft hat.

Im Jahr 1996 hatte der schon damals weltbekannte Künstler erstmals die Schurenbachhalde betreten, die schon ohne Skulptur einer der eindrucksvollsten Orte dieser Art im ganzen Ruhrgebiet war. Serra war schockverliebt. „Es regnete wie aus Kübeln, wir waren nass bis auf die Haut, aber der extreme Ort hatte Richard Serra in seinen Bann geschlagen“, schilderte der Ruhrkohle-Chefmarkscheider Karl Kleineberg damals dieses Treffen.

Richard Serra bei der Einweihung der Bramme im November 1998 auf der Schurenbachhalde. Der Künstler starb am 26. März 2024 in New York.
Richard Serra bei der Einweihung der Bramme im November 1998 auf der Schurenbachhalde. Der Künstler starb am 26. März 2024 in New York. © Oliver Müller NRZ | Oliver Müller

Die gewaltige Halde stand seinerzeit kurz vor dem Ende der Aufschüttung, und eigentlich wollte die Ruhrkohle es hier machen wie überall: Grün drauf und gut ist! Da hatten sie nicht mit Karl Ganser, dem Chef der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, gerechnet, dessen Stärke es war, Bedenkenträgereien beiseite zu räumen. Serra und der in Kunstfragen offene Kleineberg gaben der Halde dann den letzten Schliff, schufen auf Wunsch des Künstlers ein riesiges baum- und strauchloses Plateau, das wegen seiner Wölbung wirkt als wäre es endlos, wobei sich in alle Himmelsrichtungen ein weiter Ausblick bietet.

Zu allen Jahreszeiten hat die Schurenbachhalde eine eigenwillige Atmosphäre

Es entstand eine Mondlandschaft - ein Wort, das man oft so dahinsagt, aber hier stimmt es wirklich. Zu allen Jahreszeiten, gerade auch an trüben Tagen, entfaltet die Schurenbachhalde eine eigenwillige Atmosphäre, die sogar noch eindrücklicher war, als die Vegetation die Blickräume noch nicht einengte, wie es heute leider der Fall ist - übrigens konträr zu den ursprünglichen, sehr puristischen Vorstellungen. Doch gegen die Hegemonie des Grünen ist eben selbst ein Serra machtlos.

Fast zu schön, um wahr zu sein: Kunst und Mensch bei Sonnenuntergang.
Fast zu schön, um wahr zu sein: Kunst und Mensch bei Sonnenuntergang. © FUNKE Foto Services | KERSTIN_KOKOSKA

Genau auf dem höchsten Punkt hat Richard Serra dann jedenfalls seine 15 Meter hohe Bramme gestellt, die ironischerweise von der Firma Creusot in Frankreich gewalzt werden musste, weil es in der hochmodernen Stahlindustrie des Ruhrgebiets schon damals kein altmodisches Walzwerk mehr gab, das so etwas hätte zustande bringen können.

Und es war gut getan. Bis heute ist die Bramme ein je nach Blickwinkel mal überwältigendes, mal elegantes Objekt, bedrohlich und abweisend bei Regen und Nebel, farbenfunkelnd in der Sonne. Besonders faszinierend und schön bis zum Kitsch wirkt das Kunstwerk bei Sonnenuntergang, wenn die rostroten Töne prunken und die Halde von Hobbyfotografen, verliebten Paaren und Ruhrgebietsstreunern bevölkert ist. Ob die mittlerweile überbordende Grafitti sein musste, sei dahingestellt. Verhindern lässt sich das bei einem solchen Objekt wohl nicht.

Kitsch as Kitsch can: Die Bramme im abendlichen Licht, bevor die Sonne dann bald hinter Duisburg versinkt.
Kitsch as Kitsch can: Die Bramme im abendlichen Licht, bevor die Sonne dann bald hinter Duisburg versinkt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nicht befürchten muss man übrigens, dass die Bramme eines Tages durchrostet und bei einem Sturm umfällt. Es handelt sich um eine spezielle Stahl-Legierung, bei der der Oberflächenrost eine Schutzhaut für das Innere des 67 Tonnen schweren Kolosses bildet, hieß es bei der Einweihung. Die Winddruck-Belastung entspreche der eines 30-stöckigen Hochhauses, selbst schwerste Böen auf die Breitseite müssen da passen.

Eine Million D-Mark hat das Projekt gekostet - es war gut angelegtes Geld

Eine Million D-Mark habe das ganze Projekt gekostet - diese Zahl ließ sich Karl Ganser auf hartnäckige Nachfrage seinerzeit aus der Nase ziehen. „Kunst ist immer nutzlos“, hatte Serra den neugierigen Journalisten belehrt. Vermutlich war die Sache insgesamt sogar teurer. Egal, unter den vielen, vielen Projekten der IBA von 1989 bis 1999 war dies ganz gewiss nicht die nutzloseste Million.

Denn die „Bramme für das Ruhrgebiet“ ist heute eine Essener Ikone, als Kunstwerk im öffentlichen Raum wohl das eindrucksvollste, was diese Stadt zu bieten hat. Und das sehen eben nicht nur überkandidelte Experten so, was der Sache erst Gewicht gibt. Die Skulptur ist nicht nur große Kunst, sie ist auch populär, eben weil sie an der richtigen Stelle steht.

Danke, Richard Serra. Und ruhen Sie in Frieden!

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