Essen. Im einstigen Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg startet am 2. April ein Modellversuch: Er kann Vorbild sein für die Klinik der Zukunft.

Manche Wunden heilen quälend langsam, bei dieser hier verstrichen sogar knapp dreieinhalb Jahre: Viel Zeit, sich darüber zu grämen, dass zwei Krankenhäuser im Essener Norden einst kurzerhand ihre Pforten dicht machten. Jetzt aber öffnet einer der beiden Standorte zumindest einen Spalt breit wieder seine Türen. Und noch ist nicht klar, ob die Menschen in den Stadtteilen ringsum das „neue“ St. Vincenz in Stoppenberg nur als bloßes Trostpflaster für ihre Gesundheitsversorgung ansehen. Oder doch als Chance, weil man sich hier auf eine ganz neue, vielleicht auch bessere Art und Weise um die Kranken kümmern will. Ab dem 2. April wissen alle Beteiligten mehr: Dann kommen die ersten Patienten.

Die „fliegenden“ Pflegekräfte kümmern sich schon vor der Ankunft um die Patienten – und auch danach

„Statamed“ heißt die neue Versorgungsform, die von vielem ein bisschen hat: Sie kümmert sich um Patienten, die keine Notfälle sind, aber fürs erste doch besser nicht zuhause alleingelassen werden sollten. Die in einem Krankenhaus fehl am Platz wären, auf die man ein paar Tage lang aber lieber ein Auge werfen möchte: Ein Angebot der „kurzstationären Allgemeinmedizin“, bei dem die 25 vorhandenen Betten im St. Vincenz nur zwei, drei Tage genutzt werden, die Betreuung aber eben nicht endet, wenn die Patienten wieder nach Hause gehen. Speziell geschulte, mobile Pflegefachkräfte, kümmern sich vorher und bis zu vier Wochen lang auch nachher, organisieren den fliegenden Wechsel, vielleicht deshalb der Name: „Flying Nurses“.

Der rote Knopf funktioniert schon mal: Bis zu 27 Betten sind in der Modellphase von „Statamed“ verfügbar, künftig könnten es noch mehr werden.
Der rote Knopf funktioniert schon mal: Bis zu 27 Betten sind in der Modellphase von „Statamed“ verfügbar, künftig könnten es noch mehr werden. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Mag das Angebot dieser Kurzzeit-Klinik auch neu sein - wenn ab 2. April die Patienten auf der Matte stehen, wird es im St. Vincenz auf den ersten Blick sein wie früher: Statt das alte Backsteingebäude zugunsten eines Neubaus abzureißen, wurde es in Teilen spürbar aufgehübscht. Das war, zugegeben, eher dem enormen Zeitdruck geschuldet, als der Erkenntnis, dass die Bausubstanz den Erhalt nahelegte. Denn um in den Genuss beachtlicher Fördermittel aus einem Innovationsfonds zu kommen, musste das Projekt auf Gedeih und Verderb im April dieses Jahres starten. Dabei hatte die Stadt den 23.000 Quadratmeter großen Krankenhaus-Komplex erst im November 2023 von Klinik-Betreiber Contilia kaufen können.

1,6 Millionen Euro wurden in St. Vincenz investiert – der Abriss des Altbaus droht dennoch

Seitdem hat der Allbau 1,6 Millionen Euro investiert, um rund 2500 Quadratmeter des Altbaus auf Vordermann zu bringen: vor allem Brandschutz, Elektrik und Trinkwasser-Versorgung gingen ins Geld, aber auch die Informations- und Telekommunikations-Technik, denn in der Klinik, die keine echte Klinik sein mag, will man so digital wie möglich unterwegs sein, obwohl der papierlose Betrieb sich nicht 100-prozentig umsetzen lässt. Ja, sagt Geschäftsführer Robert Hildebrandt, Telemedizin gut und schön, „aber ein Fax wird es auch noch geben“. Ein bisschen alte Welt in der neuen.

Noch ist das Team nicht komplett

Die ersten Ärzte im Essener Norden hätten schon gerne Patienten überwiesen, aber ein bisschen müssen sie sich noch in Geduld üben: Erst am 2. April nimmt „Statamed“, die Kurzzeit-Klinik im ehemaligfen St. Vincenz-Krankenhaus den Betrieb auf.

Geleitet wird das Modellprojekt von Chefärztin Dr. Aische Nitardy, einer Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, die unter anderem an der Charité in Berlin gearbeitet hat und aktuell noch Chefärztin der internistischen/kardiologischen Klinik des St. Marien Hospitals in Berlin ist. Als Stellvertreter fungiert Dr. Christoph Tannhof, Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Schlafmedizin und auch künftig weiter Chefarzt der Klinik für Pneumologie des Marienhospitals Gelsenkirchen.

Ihnen zur Seite steht ein Team von sieben Assistenzärzten und zwölf Pflegefachkräften, dazu zwei „Flying Nurses“ und eine Patienten-Lotsin. Und noch ist die Crew damit nicht komplett, wie Geschäftsführer Robert Hildebrandt bekennt: „Wir würden das Team gerne noch weiter aufstocken.“

Dabei ist die gar nicht so neu, wie man hätte erwarten können: Wer genau hinschaut, erkennt auf der Station neu geflieste Bereiche neben älteren, bemerkt Gebrauchsspuren an Möbeln, der staunt über das alte Treppenhaus mit den schnörkeligen Kacheln und riecht andererseits frische Farbe an Wänden und Türen. Büros und Umkleiden sind im Erdgeschoss, die Station in der zweiten Etage, die war als ehemalige Bettenstation für Privatpatienten noch besser in Schuss. Was als Projekt einer besonders nachhaltigen Gebäude-Vitalisierung durchgehen könnte, ist vor allem dem Zeitdruck geschuldet. Für den wurde auch auf manche Ausschreibung verzichtet, ohne dass das Vorhaben teurer geworden wäre.

Um die medizinische Versorgung nicht unnötig zu unterbrechen, bleibt mittags die Küche kalt

Und bei solch ungewohnten Experimenten wird es nicht bleiben: Im neuen St. Vincenz wird später gefrühstückt als in Krankenhäusern üblich, ein Catering-Unternehmen bedient vom Büffet-Wagen, und mittags bleibt grundsätzlich die Küche kalt: Die medizinische Versorgung und Pflege soll durch die Essensausgabe nicht jäh unterbrochen werden, aber keine Bange, ein warmes Essen gibt‘s dennoch: nachmittags um fünf, wenn der stationäre Alltag langsam ausklingt.

In dieser Ecke des 23.000 Quadratmeter großen Stoppenberger Geländes besteht Baurecht, deshalb muss die alte Rettungswache dem Neubau weichen.
In dieser Ecke des 23.000 Quadratmeter großen Stoppenberger Geländes besteht Baurecht, deshalb muss die alte Rettungswache dem Neubau weichen. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Es ist ein Versuch. Ein Test, ob sich Gesundheitsversorgung auch abseits der eingefahrenen Bahnen organisieren und so dann vielleicht besser finanzieren lässt. „Wir schließen mit diesem Angebot eine Lücke“, sagt Essens Sozialdezernent Peter Renzel, und appelliert schon jetzt an alle Beteiligten, für das Neue offen zu sein: „Wir haben die Chance, etwas auszuprobieren, und werden miteinander lernen.“ Und das, so ergänzt Geschäftsführer Hildebrandt, „funktioniert nicht ohne enge Kommunikation“. Nicht aneinander vorbei also, sondern gemeinsam. Klingt wie Trainers Pausenansprache in der Fußball-Umkleide.

Es steht ja auch viel auf dem Spiel: Drei Jahre lang dauert die Lern-Phase, danach schließt sich eine wissenschaftliche Auswertung an. Eine Zeit, in der die Stadt den auskömmlichen Betrieb mit ihren Zuschüssen sicherstellt. Für belastbare Ergebnisse braucht es rund 750 Patientinnen und Patienten im Jahr, rund 2000 sind intern angepeilt.

Der Brückenschlag zwischen ambulanter und stationärer Versorgung soll möglichst Schule machen

Bei alledem ist „Statamed“, der Brückenschlag zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, nur der erste, wenn auch zentrale Baustein in der neuen Gesundheits-Landschaft des Essener Nordens - demnächst womöglich Blaupause für die Klinik-Szene der Zukunft auch andernorts. (Fach-)Arztpraxen und Notdienst, ambulante Operationen, Apotheke und Sanitätshaus, pflegerische Angebote und begleitende Servicestellen sollen in den kommenden Jahren folgen. Dafür entsteht als erstes ein Neubau auf dem Gelände der jetzigen Rettungswache an der Essener Straße, denn dort gibt es jenes Baurecht, das im übrigen Areal erst noch politischen Segen bekommen und den Gang durch die Amtsstuben bestehen muss.

Der Neubau, in den die kurzzeitstationäre Versorgung später einmal umziehen soll, dürfte Ende 2027, Anfang 2028 stehen. Gut drei Jahre Zeit, aber „die sind weg wie nichts“, weiß Dirk Miklikowski, Essens Chef für die Immobilien-Entwicklung, aus Erfahrung. Sein Team hat darauf geachtet, dass sich auch die Wiederbelebung des Backstein-Baus über die vier Jahre refinanzieren lässt. Denn dass der Altbau, der sich hinter der schönen Fassade bereits als arg marode erwiesen hat, dauerhaft stehen bleibt, gilt schon wegen der damit verbundenen Betriebskosten als eher unwahrscheinlich. Endgültige Klarheit soll eine Machbarkeitsstudie bringen, die nach den Osterferien vorliegen dürfte.