Essen-Rellinghausen. Ein Tag am Meer, ein Fußballspiel oder Konzert: Edeltraud Müller fährt seit zehn Jahren Menschen zu ihren letzten Wunschzielen.
Edeltraud Müller steckt mit ihren 81 Jahren noch voller Energie. Noch möglichst lange will sie den Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes, der todkranken Menschen letzte Ausflüge ermöglicht, weiter fahren. Für ihr Engagement hat sie jetzt den Bürgertaler erhalten.
Die gebürtige Kölnerin bezeichnet sich selbst als rheinische Frohnatur. „Manchmal gehe ich für ältere Menschen zu Karneval noch in die Bütt“, blickt sie auf die vergangenen närrischen Tage zurück. Ihre Lebensfreude stehe keinesfalls im Gegensatz zu den Begegnungen mit Menschen in der letzten Lebensphase.
Essenerin hat schon viele Menschen beim Sterben begleitet
„Ich habe schon im Verlauf meines Arbeitslebens rund 500 Menschen beim Sterben begleitet. Man ist in der jeweiligen Situation mit dem Herzen dabei, muss es danach aber wieder abschütteln“, erklärt die ehemalige Leiterin des Caritas-Stifts Lambertus in Rellinghausen. „Wenn ich von der Fahrt mit dem Wünschewagen in meine Wohnung in Werden zurückkehre, bin sich dankbar und demütig.“
Beruf und Privatleben seien bei ihr immer eine Einheit gewesen, sagt Edeltraud Müller, die selbst nie eine Familie gegründet hat. „Ich möchte das noch möglichst lange machen. Der Wünschewagen ist eine Herzensangelegenheit für mich“, sagt die 81-Jährige, die bei den Fahrten noch selbst hinter dem Steuer sitzt.
- Beruf und Privatleben sind für Edeltraud Müller eng verwoben.
- Der häufige Kontakt mit dem Tod sorgt für Demut und Dankbarkeit.
- Ihr Ehrenamt möchte die 81-Jährige noch lange ausüben.
81 solche Fahrten hat sie schon begleitet. Viele Begegnungen wird sie nie vergessen. Wie die mit einer sterbenskranken 52-jährigen Mutter von fünf Kindern, die noch einmal Heiligabend zu Hause verbringen wollte. „Das haben wir möglich gemacht. Am 8. Januar ist sie dann gestorben.“
Wünschewagen: Ehrenamtliche erinnert sich an bewegende Fälle
Unvergessen auch der Elfjährige aus der Ukraine, mit seiner Mutter vor dem Krieg geflohen. Blind und schwer an Leukämie erkrankt, habe er noch einmal einen schönen Tag im Duisburger Zoo verleben können. Eine über 90-jährige Ordensschwester habe unbedingt im Mutterhaus ihres Ordens in Bayern sterben wollen. „Nach zehnstündiger Fahrt sind wir dort von den Schwestern bewirtet worden, die offenbar schon lange nur wenig Kontakt zur Außenwelt hatten und sich wunderten, wie wir ihre schwerkranke Mitschwester transportiert hätten“, erzählt Müller.
Wo auch immer der Wünschewagen Station mache, werde man freundlich empfangen und alle bemühten sich, den Aufenthalt für den kranken Gast so angenehm wie möglich zu machen – beste Plätze, freier Eintritt oder auch mal ein Ordner, der Bier holt, wie bei einem Rockkonzert in Köln.
Den Wünschewagen will die 81-Jährige noch lange fahren
Kranken, sterbenden Menschen zu helfen, ist die Lebensaufgabe von Edeltraud Müller. Aufgewachsen mit sechs Geschwistern hatte sie in den 1960er Jahren den Beruf der Krankenschwester erlernt und sich später zur Pflegedienstleitung weitergebildet. „Ich bin in den Orden der Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu in Hiltrup bei Münster eingetreten, wollte eigentlich nach Afrika“, erinnert sie sich und zeigt Bilder von sich in Schwesterntracht.
Als sogenannte „Unterrichtsschwester“ wurde sie ans Krankenhaus Philippusstift in Essen versetzt. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass das Leben als Ordensfrau auf Dauer nichts für mich ist, ich hatte Probleme mit dem Gehorsam“, verweist sie auf Strukturen, mit denen sie sich nicht habe arrangieren können. 1974 trat sie aus dem Orden aus, ihre geistige Heimat blieb aber die Kirche.
Müller arbeitete als Krankenschwester im katholischen St.-Josef-Krankenhaus in Werden, baute sich einen neuen Bekanntenkreis in Essen auf. Als das Caritas-Stift Lambertus in Rellinghausen, ehemals Alten- und Pflegeheim, 1980 eine neue Leitung suchte, bekam sie den Job, plante den Neubau des Seniorenzentrums mit und prägte die Einrichtung inhaltlich. Dort blieb Müller bis zur Pensionierung 2006.
Das Haus sei damals fortschrittlich gewesen. Sie habe dort mit Tieren gearbeitet, die Dienstkleidung abgeschafft und dafür gesorgt, dass ein Raum eingerichtet wurde, in dem sich Angehörige würdig verabschieden konnten. Damals wurden die Gottesdienste aus St. Lambertus ins benachbarte Seniorenheim übertragen. „Das Wichtigste war mir aber, dass sich jeder von den alten Menschen geliebt fühlte“, blickt Edeltraud Müller zurück.
Nach der Pensionierung musste die Heimleiterin eine neue Aufgabe finden
Nach der Pensionierung musste sie ihr Leben neu sortieren, pilgerte ins spanische Santiago de Compostela. Am Ende stand die Erkenntnis, dass sich der richtige Weg schon zeigen werde. „Und so ist es gekommen“, betont Edeltraud Müller, die zwischenzeitlich in einer spirituellen Gemeinschaft in Duisburg lebte und sich um Zwangsprostituierte kümmerte. Mit dem Thema Trauerbegleitung kam sie zunächst in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Kontakt – und merkte, dass sie das gut konnte. „Ich habe dann jahrelang im Werdener Hospiz mitgearbeitet.“
2014 kam sie in Kontakt mit dem Essener Optiker Ralf Steiner, der den Essener Wünschewagen ins Leben gerufen hat. „Ich war schon bei der zweiten Fahrt dabei“, berichtet Müller. Seitdem hat sie auf 81 Fahrten todkranke Menschen zu Rockkonzerten, Fußballspielen, Familienfesten oder Beerdigungen begleitet, gemeinsam mit Sanitätern und Pflegekräften, sie sich ebenfalls ehrenamtlich um den jeweiligen Gast kümmern.
Bei Vorträgen sammelt sie Spenden für das Projekt
Mit 115 Vorträgen in ganz NRW hat sie zudem das Projekt Wünschewagen präsentiert, hat Spenden gesammelt und Sponsoren geworben. Auf Initiative der CDU im Stadtbezirk II hat Edeltraud Müller jetzt für ihr Engagement den Bürgertaler von Oberbürgermeister Thomas Kufen überreicht bekommen. „Ich nehme ihn stellvertretend für das ganze Team des Wünschewagens entgegen. Alle haben ihn verdient“, betont die engagierte Essenerin.
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