Essen. Das Arbeitsgericht Essen hat die Schadensersatzklage gegen einen Spitzenmediziner des St. Josef-Krankenhauses Kupferdreh abgewiesen

Diese Klage gegen den langjährigen Chefarzt des Essener St. Josef Krankenhauses hat es in sich: Mehr als zwei Millionen Euro verlangt sein Dienstherr, der Verbund Katholische Kliniken Ruhrhalbinsel (KKRH), von seinem Spitzenmediziner. Die Klinik beansprucht einen höheren Anteil aus der Nebentätigkeit des Chefarztes. Doch die Schadensersatzklage ist krachend gescheitert, das Arbeitsgericht Essen hat die Klage jetzt abgewiesen.

Das Urteil ist zugleich eine Schlappe für die Verantwortlichen des Essener Klinikbetreibers Contilia, unter dessen Dach die Katholischen Kliniken Ruhrhalbinsel operieren.

Beklagter Chefarzt steht seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Diensten des St. Josef-Krankenhauses

Das St. Josef-Krankenhaus gehört seit 2014 zum katholischen Krankenhausgruppe Contilia.
Das St. Josef-Krankenhaus gehört seit 2014 zum katholischen Krankenhausgruppe Contilia. © FUNKE Foto Services | Tobias Harmeling

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert steht der verklagte Chefarzt für Plastische Chirurgie in Diensten des St. Josef-Krankenhauses. Er selbst sieht sich als Aushängeschild und verweist auf seine Erwähnung in der Ärzteliste des Magazins „Focus“. Vom Einvernehmen, das wohl die längste Zeit zwischen Arzt und Dienstherrn herrschte, kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Das Verhältnis ist zerrüttet.

Die Contilia, mit 7500 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Stadt, will den Chefarzt loswerden und überzieht ihn außerdem mit Abmahnungen und fristlosen Kündigungen. Zwei Kammern des Arbeitsgerichts beugen sich über diesen erbittert geführten und komplexen Konflikt: Die Erste Kammer befasst sich mit der Schadensersatzforderung, die Zweite mit den fristlosen Kündigungen. Letztere sind noch in der Schwebe.

Nicht nur für den in Ungnade gefallenen Chefarzt steht viel auf dem Spiel. Scheitern nach der abgewiesenen Schadensersatzklage auch die Kündigungen, könnte der Chefarzt seinerseits die Contilia mit einer happigen Abfindungsforderung konfrontieren: dann ebenfalls in Millionenhöhe.

Nebentätigkeiten sind dem Chirurgen seit 1996 erlaubt

In der Schadensersatzklage geht es im Kern um die Frage, welches Ausmaß die für beide Seiten lukrativen Nebentätigkeiten annehmen dürfen, die die KKRH ihrem Chefarzt vertraglich erlaubt habe. Die schon seit 1996 bestehende Abmachung sieht vor, dass der Chefarzt bei der Behandlung von Privatpatienten OP-Säle, Gerätschaften und Personal des St. Josef-Krankenhauses nutzen darf. Dafür hat er seinem Dienstherrn im Gegenzug eine Nutzungsentschädigung von aktuell rund 400.000 Euro im Jahr zu überweisen. Die Contilia hingegen meint, dass ihr mehr Geld zustehe.

Im Arbeitsgericht Essen beugen sich die Erste und Zweite Kammer mit dem Arbeitsrechtsstreit zwischen der Contilia-Tochter KKRH und dem Chefarzt des St. Josef-Krankenhauses.
Im Arbeitsgericht Essen beugen sich die Erste und Zweite Kammer mit dem Arbeitsrechtsstreit zwischen der Contilia-Tochter KKRH und dem Chefarzt des St. Josef-Krankenhauses. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Derartige Vereinbarungen, so die Vorsitzende Richterin, seien nicht unüblich, schließlich habe das Krankenhaus auch davon profitiert. Und sie betonte ausdrücklich, dass der Chefarzt sogar verpflichtet sei, die Extra-OPs im Kupferdreher Haus durchzuführen. „Er darf es gar nicht anders.“

Konkret geht es um Fettabsaugungen, die der Klinikdirektor zwischen 2012 und 2022 hat vornehmen lassen. Der Arbeitgeber vertritt die Ansicht, dass der Chirurg in dieser Zeit viel mehr Einnahmen erzielt habe und dementsprechend mehr Geld an die Contilia-Tochter hätte abführen müssen. Man nahm dafür 51 Behandlungen aus dem Jahr 2022 als Berechnungsgrundlage, rechnete diese auf die zurückliegenden zehn Jahre hoch und kam auf mehr als 500 Privat-Behandlungen. Aus Sicht der Klinik ergibt sich daraus unterm Strich eine Nachforderung von fast 2,2 Millionen Euro.

Die Abmachungen über die Nebentätigkeit des Chefarztes sind schon vor mehr als 27 Jahren getroffen und seitdem immer wieder verlängert worden. Zuletzt im Jahr 2021 für fünf Jahre. Unter regulären Umständen würde das Arbeitsverhältnis 2026 enden. Dass das ehedem selbstständige St. Josef-Krankenhaus in der langen Zeitspanne 1998 zuerst Teil des Katholischen Klinikverbundes Ruhrhalbinsel wurde und 2014 unter das Dach der Contilia kam, hat am Vertrag über die Nebentätigkeiten im Kern nichts geändert.

Klinikverbund gibt sich im Arbeitsgerichts-Streit bedeckt

Auf Fragen dieser Zeitung zu dem Arbeitsrechtsstreit gab sich die KKRH in einer E-Mail vom 6. Dezember 2023 sehr bedeckt. „Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich in diesem laufenden Prozess nicht zu arbeitsvertraglichen Details äußere. Es kommt vor, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer uneins in der Auslegung relevanter Themen des Arbeitsvertrages sind. Hier ist dann das Gericht berufen, eine Lösung zu finden.“

Warum nun dieser Streit? Die Anwälte des Chefarztes äußern vor dem Arbeitsgericht eine Vermutung. Die Contilia setze die Schadensersatzforderung als Drohmittel ein, um den Chefarzt loszuwerden. Das mutmaßliche Kalkül: Verlasse der Chefarzt das Hospital, könnte die Millionenklage fallengelassen werden.

Die KKRH äußerte sich so: „Auch in diesem Fall geht es um eine relevante Klärung, die ohne gerichtliche Begleitung nicht möglich ist. Für uns als gemeinnütziges Unternehmen ist ein verantwortungsvoller Umgang mit dem gemeinnützigen Vermögen, zu dessen Schutz wir verpflichtet sind, ein relevantes Thema.“

Schon vor dem Arbeitsrechtsstreit mit dem Chefarzt der Plastischen Chirurgie soll es dem Vernehmen nach einen ähnlich gelagerten Fall gegeben haben. Die Katholischen Kliniken Ruhrhalbinsel sollen einem anderen Chefarzt ebenfalls eine Millionenklage angedroht haben. Doch dieser sei eingeknickt. Nachdem er einen Bruchteil davon bezahlt habe, sei das Arbeitsverhältnis per Aufhebungsvertrag für beendet erklärt worden.

Anwalt: „Ist das der Stil eines katholischen Krankenhauses?“

Der Chefarzt für Plastische Chirurgie hingegen zeigt den KKRH die Stirn, und seine Anwälte werfen dem Dienstherrn Nickeligkeiten und Mobbing vor. Es sei ein Freitag gewesen, an dem die Klinikleitung vom Chefarzt eine präzise Auflistung über den Umfang der Nebentätigkeiten für die zurückliegenden zehn Jahre verlangt habe. Die Frist dafür sei auf den darauffolgenden Montag gesetzt worden, nur drei Tage später inklusive Wochenende. „Ist das der Stil eines katholischen Krankenhauses?“, fragte sein Anwalt vorwurfsvoll. Pikant daran: Der Rechtsbeistand kennt sich gut aus, er ist Mitglied des Aufsichtsrats des Katholischen Klinikums Bochum.

Die 1. Kammer des Arbeitsgerichtes hat im Dezember noch nicht endgültig über die Schadensersatzklage entschieden, da kommt es – nur drei Tage vor Heiligabend – zum Rauswurf. Ein Schritt, über den die Krankenhaus-Sprecherin auch diese Zeitung per E-Mail informiert. Darin heißt es: „Die Katholischen Kliniken Ruhrhalbinsel GmbH haben sich entschieden, die Zusammenarbeit mit Dr. (*) , Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie im St. Josef-Krankenhaus Kupferdreh, zu beenden. Die Trennung erfolgt mit sofortiger Wirkung.“ (*es folgt der volle Name).

Die Kündigung, so heißt es, soll zur Folge gehabt haben, dass etliche OP-Termine kurzfristig hätten abgesagt werden müssen. Auch von weinenden Patientinnen ist die Rede.

Bei dem Rauswurf vom 21. Dezember 2023 ist es übrigens nicht geblieben. Inzwischen liege bereits die vierte fristlose Kündigung vor, so die Anwälte.

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