Essen/Mülheim. Ermittler haben eine 170 Seiten starke Anleitung zum Missbrauch von Minderjährigen entdeckt. Die Essener Taskforce gegen Kinderpornografie wirkt.

Das Dokument ist 170 Seiten stark und zutiefst erschütternd: Ermittler der Taskforce gegen Kinderpornografie und sexuellen Missbrauch von Kindern bei der Essener Polizei sind im Internet auf einen englischsprachigen „Leitfaden“ gestoßen, in dem Pädokriminelle zusammengeschmiert haben, wie die Jüngsten bereits im frühesten Alter gefügig gemacht werden können. In dem Vorwort der Schmutzschrift mit Tipps für Perverse wird erklärt, dass es sich um eine „Schritt-für-Schritt-Anleitung für Erwachsene“ handele, die es ermögliche, Beziehungen und Sex mit Minderjährigen zu praktizieren. Die darin beschriebene „gut erforschte Kinderpsychologie und Pädagogik“ mache den Missbrauch „sicher und harmlos“, versprechen die Verfasser. Wer dahintersteckt, ist unklar. „Die Ermittlungen laufen“, sagte Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski am Montag.

Derartige Funde zeigen, wie gut vernetzt und professionell die Täter aufgestellt sind, so Czapiewski - aber auch, wie wichtig die tagtägliche Arbeit der Besonderen Aufbauorganisation „Herkules“ ist, die auf zwei so erfolgreiche wie intensive Jahre im Kampf gegen Kinderpornografie und sexualisierte Gewalt gegen Kinder zurückblicken kann. Nahezu täglich wurde in dieser Zeit eine Wohnung durchsucht. Die Kripo stellte über tausend Datenträger sicher, um sie nach kinderpornografischen Dateien zu durchforsten. Insgesamt nahmen die Fahnder in den vergangenen zwei Jahren 55 Verdächtige fest. In zwei Fällen besonders schweren Missbrauchs landeten die Kriminellen nicht nur für mehrere Jahre im Knast. Die Richter setzten an das Ende der langjährigen Haftstrafen eine anschließende Sicherungsverwahrung, was ein Indiz für Wiederholungsgefahr und die Gefährlichkeit der Täter ist.

Eines der Opfer vertraute sich einer Ärztin an

So wie im Fall eines 36-jährigen Esseners, der erst vor kurzem zu fünf Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden ist. Danach soll er in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Der 36-Jährige hatte drei Stiefkinder über einen längeren Zeitraum sexuell missbraucht. Nachdem sich eines der Opfer zu Beginn des vergangenen Jahres einer Ärztin anvertraut hatte, nahm die BAO „Herkules“ sofort ihre Ermittlungen auf, Ermittler hörten das Kind noch am selben Tag an. Nahezu zeitgleich wurden alle in dem Haushalt lebenden Minderjährigen in Obhut genommen und in der Wohnung diverse Datenträger sichergestellt.

Der Beschuldigte, der bereits wegen sexuellen Missbrauchs aktenkundig war und deshalb bereits auch eine Haftstrafe verbüßt hatte, tauchte kurze Zeit später unter. Die Essener Polizei fahndete öffentlich nach ihm, bis sie wussten, dass sich der Gesuchte in die Niederlande abgesetzt hatte. Die dortigen Behörden unterstützten bei seiner Festnahme.

Zu einer siebenjährigen Haftstrafe ebenfalls mit anschließender Sicherungsverwahrung wurde ein 37-jähriger Mann aus Aurich verurteilt, weil er jahrelang zwei Kinder aus seinem familiären Umfeld in Oberhausen aufs Schwerste missbraucht hatte. Der Mann machte seine Opfer teilweise mit Alkohol und Betäubungsmitteln gefügig, schlug sie und zwang sie, Videos mit kinderpornografischen Inhalten anzuschauen. Sollten sie irgendjemandem davon erzählen, drohte er ihnen „schlimme Folgen“ an. Die Lebensgefährtin des Pädokriminellen war bei einigen der Taten nicht nur anwesend, sondern auch aktiv beteiligt, so Czwapiewski. Erst im Teenageralter vertraute sich eines der Kinder einer Freundin an. Deren Mutter erstattete Anzeige in Oberhausen. Die auch für die Nachbarstadt zuständige BAO Herkules beendete das jahrelange Martyrium der Opfer..

Kriminaldirektor André Dobersch leitet die BAO „Herkules“ bei der Essener Kripo.
Kriminaldirektor André Dobersch leitet die BAO „Herkules“ bei der Essener Kripo. © Michael Kleinrensing

Mittlerweile unterstützt die Künstliche Intelligenz

Fälle wie diese erschüttern nicht nur die Ermittler der BAO „Herkules“, sondern auch deren Leiter, Kriminaldirektor André Dobersch: „Es ist unfassbar und unerträglich, welches Leid manche Kinder über viele Jahre erdulden müssen, teilweise schon im frühesten Säuglingsalter. Dank mehr Personal, einer besseren Ausstattung und beispielsweise auch Unterstützung durch Künstliche Intelligenz können wir unsere Kapazitäten bei der Auswertung der sichergestellten Datenträger immer effektiver einsetzen. In den vergangenen beiden Jahren wurden durch die BAO „Herkules“ insgesamt mehrere Hundert Terabyte ausgewertet. Besonders dankbar bin ich für die große Motivation, die mein Team Tag für Tag antreibt, Pädokriminelle zu finden und eine beweissichere Strafverfolgung gegen sie zu ermöglichen.“

Am 1. November 2021 hatte die BAO „Herkules“ ihre Arbeit aufgenommen, nachdem die Polizei Essen/Mülheim die Bekämpfung von sexueller Gewalt gegen Kinder sowie Kinder- und Jugendpornografie zu einem Schwerpunkt der Behörde gemacht hatte. Die sogenannte Besondere Aufbauorganisation (BAO), die beispielsweise auch gegen die Clan-Kriminalität im Einsatz ist, soll gewährleisten, dass unvorstellbar große Datenmengen mit kinderpornografischen Inhalten, die sowohl durch eigene Ermittlungen als auch durch externe Hinweise zusammengekommen, schneller und zielführender gesichtet werden können, um den Kriminellen auf die Spur zu kommen und deren Opfer zu schützen.

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