Essen. Mehr als 600 Jecken feierten die „Lila Sitzung“ in der Weststadthalle. Was die Veranstaltung besonders macht und warum es plötzlich still wurde.

Schrille Kostüme, Glitzer und Konfettikanonen: Es ging bunt zu am Samstagabend (27.1.) in der Essener Weststadthalle. Zum 16. Mal veranstaltete die KG Rot Grün Essen 1963 die „Lila Sitzung“ für Toleranz und Respekt. Die Karnevalssitzung soll ein Zeichen gegen Diskriminierungen aller Art sein. „Alle sind willkommen. Egal ob schwul, lesbisch, hetero, mit Behinderung oder ohne“, betont Frank Gefrom (61), Vorsitzender des KG Rot Grün.

Dass die „Lila Sitzung“ eine Karnevalsveranstaltung der etwas anderen Art ist, wird spätestens klar, wenn die „Rosa Funken“ aus Köln in rosafarbenen Lackjacken und schwarzen Lederstiefeln mit ihren Steckenpferden in den Festsaal einziehen. Das Publikum tobt, aus allen Ecken knallen Konfettikanonen.

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Bevor es richtig losgehen kann, erklärt Bernd Segschneider, Präsident der „Rosa Funken“, dem Publikum die wichtigste Geste des Abends: „Hier sagen wir nicht ,Helau‘ oder ,Alaaf‘. Es heißt heute Abend ,Essen, Aloha!‘“ Dazu übt er mit dem Publikum die richtige Geste: linke Hand in die linke Hüfte, Wurfbewegung mit der rechten Hand, dabei ein leichter Ausfallschritt. Soweit für alle klar, auch für die „heterosexuellen Einzelschicksale“, wie sie an diesem Abend genannt werden.

„Lila Sitzung“ geschützte Wortmarke für Party in Essen

600 Jecken kamen zur „Lila Sitzung“ in die Weststadthalle.
600 Jecken kamen zur „Lila Sitzung“ in die Weststadthalle. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Die „Lila Sitzung“ gibt es seit 2007 und sollte eigentlich erst „Rosa Sitzung“ heißen, erzählt Organisator Manfred Geldmacher (75). „Einen Tag bevor die erste ,rosa Sitzung‘ stattfinden sollte, bekam ich eine einstweilige Verfügung, dass ich die Veranstaltung so nicht nennen darf, da es diesen Namen schon für eine Sitzung in Köln gab.“ Man habe die Veranstaltung dann in „Lila Sitzung“ umbenannt, seitdem sei sie eine geschützte Wortmarke der KG Rot-Grün.

Frank Gefrom freut sich über die rege Teilnahme an der Veranstaltung, die mittlerweile über die Essener Grenze hinaus an Bekanntheit gewonnen hat: „Wir sind mit über 600 Gästen ausverkauft und es sind sogar Gäste aus Hamburg, Gladbeck und Castrop-Rauxel da.“ Trotz der Zusammenkunft vieler verschiedenster Menschen, gehe es immer friedlich zu, erzählt Gefrom.

Jörg Deitermann, Patrizia Eschner und Jens Tomaszick (v.l.) auf der 16. „Lila Sitzung“.
Jörg Deitermann, Patrizia Eschner und Jens Tomaszick (v.l.) auf der 16. „Lila Sitzung“. © Essen | Uwe Ernst

Marc Teckentrup aus Schonnebeck ist zum zehnten Mal bei der „Lila Sitzung“ dabei. Der 35-Jährige ist begeisterter Karnevalist und findet, dass dieser Abend, aufgrund der Vielfalt des Publikums, besonders viel Spaß macht: „Alle sind tolerant und feiern gemeinsam. Egal ob homo- oder heterosexuell. Die Stimmung ist sehr entspannt.“

Headliner des Abends ist Sänger Prince Damien, bekannt aus der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar.“ Er heizt dem Publikum, neben vielen Weiteren, wie den Travestiekünstlern „Ever Girls“, der Tanzgarde „Ricki Garde“ und dem Kölner Sänger Timo Schwarzendahl, ein. Den ersten Auftritt an diesem Abend hat die Tanzgruppe „Flotte Socken“. Gemeinsam mit ihrer Trainerin, Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig, reißen sie das Publikum mit, als sie gut gelaunt zu „So ein schöner Tag“ von Tim Toupet tanzen. „Das ist für mich Karneval!“, tönt es mehrfach aus dem Publikum, während es bei der, vom Publikum eingeforderten Zugabe der „Flotten Socken“ auch die letzten Jecken von den Stühlen reißt.

Essens Oberbürgermeister bei Karnevalssitzung für Homosexuelle mit dabei

Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (l.) feierte mit seinem Ehemann, David Lüngen, auf der „Lila Sitzung“.
Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (l.) feierte mit seinem Ehemann, David Lüngen, auf der „Lila Sitzung“. © Essen | Uwe Ernst

Auch Oberbürgermeister Thomas Kufen, der mit seinem Ehemann David Lüngen gekommen ist, schunkelt gut gelaunt mit der Menge mit. Das Thema Toleranz ist für Patrizia Eschner (52) aus Überruhr an diesem Abend besonders wichtig. „Bei mir ist das Thema ,Bodyshaming‘ präsent. Ich würde mich niemals trauen, mit Leggins einkaufen zu gehen. Hier komme ich aber gerne in meiner bunten Leggins hin und fühle mich wohl damit, weil mich niemand abwertend anschaut oder darüber urteilt, ob ich mich mit meiner Figur so kleiden darf oder nicht.“

Gemeinsam mit Patrizia Eschner ist Jörg Deitermann aus Dorsten zur „Lila Sitzung“ gekommen. Der 54-Jährige ist zum ersten Mal dabei und eigentlich, laut eigener Aussage, ein „Karnevalsmuffel“: „Ich bin eigentlich kein begeisterter Karnevalist, aber hier wird man einfach mitgezogen von der guten und ausgelassenen Stimmung. Es macht wirklich Spaß, mitzufeiern.“

Bei allem Spaß ist aber an diesem Abend auch noch Platz für ein ernstes Thema. Da die „Lila Sitzung“ am gleichen Tag wie der Holocaust-Gedenktag stattfindet, legen die Jecken an diesem Abend, als Zeichen gegen Rechtsextremismus, eine Schweigeminute ein. Während die Party bis in die Nacht weitergeht, werden die ersten Pläne für die „Lila Sitzung“ 2025 bereits von Frank Gefrom und Manfred Geldmacher geschmiedet. Aufhören, weil er über 70 Jahre alt ist? Für Geldmacher keine Option: „Das Karnevalsvirus ist wichtig für mein Immunsystem“, erklärt er.

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