Essen-Huttrop. Eine Tasche, die an den Haustürschlüssel erinnert: eine geniale Idee, entwickelt von einer Designerin mit dem Franz Sales Haus in Essen-Huttrop.

Schon wieder das Portemonnaie vergessen. Oder noch schlimmer: den Haustürschlüssel. Mit einer speziellen Tasche, die die Münsteraner Produkt-Designerin Anna Oestreich entwickelt hat, wäre das nicht passiert. Ein rotes Licht hätte signalisiert: Da fehlt doch etwas. Eine gute Idee und das Resultat eines partizipativen Projektes. Denn Oestreich hat die Tasche gemeinsam mit Beschäftigten der Essener Franz Sales Werkstätten entwickelt.

Für das Franz Sales Haus zählt bei diesem gemeinsamen Projekt mit der School of Design, dem Fachbereich Design der FH Münster, vor allem, dass die Mitarbeitenden ihre Ideen einbringen konnten und tatsächlich in den gesamten Prozess eingebunden waren. „Für uns steht natürlich das Partizipative im Mittelpunkt“, erklärt Barbara Steiner, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Huttroper Einrichtung. „Unsere Mitarbeitenden stellen sich bei jedem Projekt die Frage: Was kann man tun, um Menschen zu helfen?“ Das könnten handwerkliche, wissenschaftliche oder eben alltägliche Probleme sein wie etwa die Tatsache, dass man vielleicht ohne Geld und Karte an der Supermarkt-Kasse steht.

Kooperation der Essener Franz Sales Werkstätten mit der School of Design

Die Tasche wird vor dem Bauch getragen. So gelangt man problemlos an eine der vielen Innentaschen.
Die Tasche wird vor dem Bauch getragen. So gelangt man problemlos an eine der vielen Innentaschen. © Oestreich | FH Münster

Vor welchen Problemen also stehen Menschen mit Behinderung Tag für Tag? Dieser Frage ging die Anna Oestrich im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an der School of Design gemeinsam mit Patrick, Marc-Phillip, Patricia, Jürgen und Sandra, fünf Beschäftigten der Franz Sales Werkstätten, auf den Grund. Dazu nahm Oestrich am Tagesablauf ihrer Co-Designer und Co-Designerinnen zunächst nur beobachtend teil. Schnell habe sich gezeigt, berichtet Oestrich, dass das Smartphone „ein elementares Werkzeug für einen selbstständigen Alltag ist – es muss einfach dabei sein“. Sich aber am Morgen beim Bestücken der Tasche an alle wichtigen persönliche Dinge zu erinnern, bevor es dann mit dem Bus zur Arbeit geht, sei eine Herausforderung, die einen langen Übungsprozess erfordere.

Deshalb wünschte sich das Team eine mitdenkende Tasche. Patrick etwa möchte in nicht allzu ferner Zukunft seinen Alltag selbstständig meistern und in eine eigene Wohnung ziehen. Die Tasche soll ihn auf diesem Weg unterstützen, denn sie gibt ihm Sicherheit und hilft bei der Ausbildung wichtiger Routinen. Jürgen wiederum wünschte sich ein Licht an der Tasche, das markiert, ob alle wichtigen Dinge eingepackt sind.

Schlaue Tasche: „Loom“ erinnert per Elektrochip an Gegenstände

Aus den vielen Ideen entwickelte Oestreich die Tasche „Loom“ – Schritt für Schritt und im Team mit den Mitarbeitenden des Franz Sales Hauses. Gemeinsam führten sie den gesamten Entwicklungsprozess durch. In Workshops untersuchten sie Alltagsprobleme, entwickelten Trageposition und Schnittmuster und passten die Herstellung an die Möglichkeiten der Werkstatt an. Das Prinzip ist ebenso einfach wie überzeugend: Mit elektronischen Chips, so genannten RFID-Stickern, werden wichtige Dinge wie Schlüssel, Handy und Portemonnaie markiert, damit die Tasche sie erkennen kann. Erst wenn tatsächlich alle wichtigen Gegenstände eingepackt sind, leuchtet an der Tasche eine grüne Lampe. Das hilft Menschen mit kognitiven Einschränkungen ebenso wie Senioren oder vergesslichen Schusseln.

Und noch ein Wunsch konnte im Rahmen des Projektes erfüllt werden: Marc-Phillip schlug vor, eine Tasche zu entwerfen, die man vor dem Körper tragen kann und nicht wie einen Rucksack. „Loom“ liegt nun mit einem breiten Gurt über der Schulter – eng am Körper und gut zu überblicken. Beide Hände bleiben frei, um problemlos an die vielen Innentaschen zu gelangen und sie wieder schließen zu können. Oestreich: „Das Schnittmuster habe ich bewusst simpel gestaltet, sodass die Tasche theoretisch in den Franz Sales Werkstätten gefertigt werden kann.“ Das Nähen des Prototyps hat Oestreich selbst übernommen.

Gemeinschaftsprojekt wurde mit Designpreis „be aware“ ausgezeichnet

Eine Lampe zeigt an, ob alle wichtigen Gegenstände eingepackt sind.
Eine Lampe zeigt an, ob alle wichtigen Gegenstände eingepackt sind. © Oestreich | FH Münster

Die Anerkennung für „Loom“ ist schon jetzt groß: Gerade erst ist die mitdenkende Tasche mit dem nationalen Designpreis „be aware 2023“ ausgezeichnet worden. Jury-Mitglied Raúl Krauthausen, Gründer und Vorstand von Sozialhelden e.V.: „Ich habe ein solches Produkt noch nie gesehen und finde es daher äußerst spannend und ansprechend. Auch die Tatsache, dass es als partizipatives Projekt mit behinderten Menschen aufgesetzt war und das Produkt von ihnen mitentwickelt und an ihre Bedürfnisse angepasst wurde, war ein Pluspunkt. Ich bin gespannt zu sehen, wie weit es die Tasche noch bringt und freue mich schon darauf, mir meine eigene zu kaufen.“

Apropos kaufen: Noch gibt es nur ein Unikat. Momentan ist die schlaue Tasche nicht im Handel erhältlich. Gesucht wird nun ein Unternehmen, das die Tasche produziert und auf den Markt bringt. „Ich brenne für die Idee, Menschen durch Design zu befähigen, damit sie unmittelbar Erfolgserlebnisse erfahren und über sich selbst hinauswachsen können“, erklärt Oestreich. „Mit Dingen wie ,Loom‘ schaffen sie etwas auf einmal ganz allein. Sie werden eigenständiger, fühlen sich sicherer und lernen, dass sie sich auf sich selbst verlassen können.“

Und das ist auch zukünftig ihr Anspruch: Berufsbegleitend zum Masterstudium ist Oestrich an der FH Münster mittlerweile wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team von Prof. Carolin Schreiber im Forschungsprojekt „Arbeiten wie ich es will – Empowerment für Menschen mit Schwerbehinderung“– ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit dem Franz Sales Haus in Huttrop.