Essen-Rüttenscheid. Zwei magersüchtige Frauen stoßen oft auf Unverständnis und Vorurteile. Wie ihnen eine kunsttherapeutische Gruppe in Essen-Rüttenscheid hilft.

„Es geht darum, sich verstanden zu fühlen“, sagt Jana*. Familie und Freunde gäben sich zwar Mühe, bis ins letzte Detail könnten sie die Auswirkungen ihrer Essstörung aber nicht nachvollziehen. Häufig sieht sich die 25-Jährige mit Vorurteilen und Unverständnis konfrontiert. Austauschen kann sie sich in einer kunsttherapeutisch angeleiteten Gruppe der vom Verein Distel getragenen Frauenberatungsstelle. Hier begegnet sie Frauen, die eine ähnliche Geschichte haben wie sie.

Die Frauen der Gruppe treffen sich seit dem Frühjahr regelmäßig unter der Leitung von Ergotherapeutin und Kunsttherapeutin Eva Hohmann. Für die Teilnahme an der Gruppe sind keine Vorkenntnisse nötig. Die Frauen sollen sich freimachen von Kriterien wie „Schön“ oder „Kunst“ und so in eine kreative Auseinandersetzung mit sich selbst, dem Leben und auch mit der Essstörung treten.

Kunsttherapeutische Gruppe in Rüttenscheid: Austausch unter Betroffenen

Jana kämpft seit vielen Jahren mit der Magersucht. Sie hat mehrere Klinikaufenthalte hinter sich und macht gerade eine ambulante Gesprächstherapie. Auf die Gruppe stieß sie online bei der Suche nach einer Kunsttherapie. Die hatte sie aus ihrer Zeit in Kliniken positiv in Erinnerung. „Ich bin froh, dass ich hier mit Frauen sprechen kann, die etwas Ähnliches erlebt haben wie ich“, sagt sie. Die heute 25-Jährige erkrankte schon mit zehn Jahren an der Essstörung, familiäre Gründe spielten eine Rolle. „Als Jugendliche fand ich es einfacher, über das Thema Essstörung in den Austausch zu kommen“, sagt sie. Im Erwachsenenalter empfinde sie es als schwieriger.

„Es ist etwas anderes, ob man mit Frauen zusammensitzt, die wirklich nachvollziehen können, was man erlebt hat, oder ob eine Freundin behauptet: ‘Ich fühle mich auch oft dick und habe schon 1000 Diäten gemacht’“, bestätigt Mareike (51), die ebenfalls an Magersucht erkrankt ist. Das Phänomen der Körperschemastörung könnten Nichtbetroffene zum Beispiel nicht nachempfinden.

Wer unter einer Essstörung leidet, sieht sich oft im Spiegel ganz anders, etwa dicker und weniger attraktiv, als es der Fall ist. „Ich fühle mich manchmal wirklich wie eine Wassermelone“, sagt Mareike. Wenn es dann aber aus dem Umfeld heiße: „Das kenne ich, ich fühle mich nach dem Essen auch oft total voll“, dann sei das nicht hilfreich.

Essenerin über ihre Essstörung: Andere Frauen reagieren mit Neid

Anders in der Gruppe. „Hier sagt man einen Satz und alle nicken, weil sie es wirklich verstehen können“, erzählt Mareike. Die 51-Jährige hat mit ihrer Essstörung zu kämpfen, seit sie Ende 30 ist. Zu dem restriktiven Essen kam bei ihr exzessiver Sport. „Bei mir begann die Essstörung in einer Phase, wo alle um mich herum heirateten und ich merkte: Mein Partner meint es nicht ernst“, erinnert sie sich. Nach einer ersten strikten Diät rutschte sie langsam in die Magersucht.

14-tägige Treffen am Donnerstag

Die kunsttherapeutisch angeleitete Gruppe für Frauen mit Essstörungen trifft sich alle 14 Tage donnerstags von 17.30 bis 19.30 Uhr in den Räumlichkeiten der Frauenberatungsstelle Distel (Julienstraße 26). Einstieg nach Vorgespräch jederzeit möglich, wenn Plätze frei sind.

Die Gruppe ist offen für Frauen mit Essstörungen jeglicher Art (Anorexie, Bulimie, Binge-Eating). Vor der ersten Teilnahme findet ein Vorgespräch statt. Angeleitet wird die Gruppe von Eva Hohmann, Ergotherapeutin und Kunsttherapeutin.

Pro Gruppentermin wird ein Beitrag von 25 Euro erhoben, Materialkosten sind darin enthalten. Eine Ermäßigung ist auf Anfrage möglich. Anmeldung und Fragen per E-Mail an gruppe.hohmann@dika.net.

Beide Frauen sind überzeugt: Gesellschaftliche Erwartungen haben viel damit zu tun, dass Frauen an Essstörungen erkranken. „Mein Vater hat immer vermittelt: Schlanke Frauen sind das Nonplusultra. So bin ich groß geworden“, berichtet Mareike. Und auch Frauen untereinander unterstützten sich nicht immer: „Besonders in meinem Alter spüre ich oft eine unterschwellige Feindseligkeit – und sogar Neid.“ „Deine Probleme hätte ich gerne“, heiße es oft aus dem Bekanntenkreis, wenn es darum gehe, dass sie dringend zunehmen müsse.

Gruppe in Essen-Rüttenscheid: „Keiner redet hier über sein Gewicht“

Jana hat demgegenüber häufig den Eindruck, dass sie auf ihre Erkrankung reduziert wird: „Für viele bin ich nur die Essgestörte. Ich habe das Gefühl, dass mir das verantwortungsbewusste Handeln abgesprochen wird.“ Ihr rate man nicht unbedingt, Schnitzel mit Pommes zu essen, dafür bekomme sie zu hören, sie solle doch einfach wieder in eine Klinik gehen. Auch sie hat den Eindruck, dass die Körper von Frauen gesamtgesellschaftlich ein unverändert riesiges Thema sind: „Früher war es die sehr dünne Figur, die man angestrebt hat, inzwischen die sehr sportliche.“ Der Druck bleibe derselbe.

Solcher Druck soll in der kunsttherapeutischen Gruppe tunlichst vermieden werden. Deshalb gibt es die Regel: Alle, die kommen, wollen gesund werden. „Ich habe schon einmal eine Frau abgelehnt, weil klar war, dass sie weiter abnehmen möchte“, erklärt Gruppenleiterin Eva Hohmann. Jana bestätigt: „Keiner redet hier über sein Gewicht.“ Wichtig ist außerdem, dass es nicht um Leistung geht. „Mir fiel das Malen anfangs schwer. Ich habe Kunst in der Schule bewusst abgewählt“, erzählt Mareike. „Dann sieht man aber: Andere sind auch nicht Picasso.“

* Namen von der Redaktion verändert.

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