Stefan Cassone leitet seit Oktober die JVA Essen. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen – und wollten wissen: Was treibt einen Knast-Chef an?
Essen. Was macht einen guten Knast-Chef aus, Herr Cassone? Stefan Cassone, 51 Jahre alt und studierter Jurist, antwortet sofort: „Man muss humorvoll sein, eben eine positive Lebenseinstellung mitbringen.“ Seit Mitte Oktober leitet er die Justizvollzugsanstalt in Essen-Holsterhausen. Zurzeit: 448 Insassen, maximale Kapazität 528, ausschließlich erwachsene Männer, längste Haftzeit drei Jahre. Viele, die hier sind, sitzen wegen Beschaffungskriminalität als Folge von Drogensucht. Raub, Körperverletzung, Diebstahl sind übliche Delikte.
Was meint er mit „humorvoll“? „Wer mit den Menschen hier im Strafvollzug vernünftig umgeht, der gibt ihnen die Chance zu sehen, wie es draußen laufen könnte.“ Das „kleine Einmaleins des sozialen Miteinanders“, sagt Cassone, könnten die Häftlinge im Gefängnis beigebracht bekommen, dazu gehöre die Bereitschaft, den ganzen Menschen zu sehen und nicht nur die Straftat, die jemand begangen hat.
„Jeder hat eine zweite Chance verdient“
„Warum jemand straffällig wird, dazu gibt es viele wissenschaftliche Studien, aber am Ende ist jede Geschichte ein Individualfall. Und jeder hat eine zweite Chance verdient.“
Cassone berichtet, dass er täglich mit Freude zur Arbeit fahre, dass er es als Privileg empfinde, sich immer wieder neu den Herausforderungen des Justizvollzugs zu stellen. Aber ist man nicht nur umgeben von Düsternis, traurigen Geschichten, Schuld und Scham? „Es ist immer die Frage, wie nahe man etwas an sich heranlässt“, sagt Cassone.
Professioneller Abstand sei ganz sicher überlebenswichtig an diesem Arbeitsplatz, andererseits: Ohne Menschenliebe geht gar nichts hier, also den Glauben an das Gute im Menschen. „Dazu gibt es keine Alternative.“ Das fängt schon damit an, dass jeder Häftling den Anstaltsleiter anschreiben und zum persönlichen Gespräch bitten könne. Nicht wenige machten davon Gebrauch, auch wenn es für seelische Not selbstverständlich Seelsorger gibt im Gefängnis – Pfarrer, Psychotherapeuten sowieso.
„Nur durch einfaches Wegsperren ist niemandem geholfen“
Entscheidend sei, dass ein Häftling die Chance nutzt, die ihm die Zeit im Gefängnis bietet. „Viele beginnen eine Ausbildung oder Maßnahmen, die zu einer Ausbildung führen sollen, fangen an zu lesen, bilden sich anderweitig weiter. Das ist der erste Schritt einer erfolgreichen Resozialisierung.“ Entsprechend gebe es Werksbetriebe und Arbeitsstätten. „Nur durch einfaches Wegsperren“, betont Cassone, „ist dem Häftling nicht geholfen und der Gesellschaft nicht gedient.“
Cassone kommt aus dem Kreis Recklinghausen. Nach dem Abi wusste er zwar, dass er Jura studieren will, aber was genau er damit anfangen will, wusste er noch nicht. Ein älterer Kommilitone, der sich als so- genannter Tutor betätigte, nahm ihn einmal mit zu einem Gefängnis-Besuch. Da spürte Cassone sofort, dass der Vollzug ihn wirklich interessiert. Er wählte im Studium die Schwerpunkte Straf- und Vollzugsrecht und absolvierte innerhalb seines Studiums ein sechswöchiges Praktikum in einer Anstalt.
Anschließend, bis zum Ende seines Studiums, arbeitete er ehrenamtlich als Betreuer für Gefangene, stattete ihnen Besuche ab und hörte ihnen zu, sprach mit ihnen über ganz Alltägliches, „vor allem mit jenen, die kaum Besuch bekommen. Mich interessierten die Menschen, nicht so sehr die Straftat.“
Während des Studiums betreute er Häftlinge ehrenamtlich
Er lernte schnell: „Man sieht einem Menschen die Straffälligkeit nicht an, und es gibt keine Formel, ob und wie jemand die Gesetzregeln übertritt.“ Mal seien es Kurzschlusshandlungen, mal eine tief empfundene Perspektivlosigkeit, und gebildete Akademiker aus guten Kreisen seien genauso zu Kapitaldelikten fähig – Verbrechen also, in denen es um Leben und Tod geht – wie jene Menschen aus sogenannten einfachen Verhältnissen.
Nach Jahren mit eigener Kanzlei, in denen er als Anwalt tätig war, wechselte er dann in den Vollzugsdienst – zunächst nach Hessen, dann baute er das neu entstehende Jugendgefängnis in Wuppertal-Ronsdorf mit auf, war zwischendurch Dozent an der landeseigenen Hochschule und im Ministerium tätig. Zuletzt leitete er die Justizvollzugsanstalt Duisburg-Hamborn.
Dass in Essen dauerhaft keine Mörder einsitzen mit „Lebenslänglich“, sondern vor allem jene Häftlinge mit „Kurzstrafe“, also maximal drei Jahren, habe rein verwaltungstechnische Gründe. Das Gefängnis in Holsterhausen, errichtet 1910, hat rund 240 Mitarbeiter. „Vollzug ist sehr personalintensiv.“ Dass er das Haus „mit der Mannschaft auf Kurs halten“ will, so drückt er sich aus, das hat er sich vorgenommen. Und wenn dabei zwischendurch auch mal gelacht werden darf und gelacht wird: umso besser.
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