Essen-Südviertel/Rüttenscheid. Warum reden Männer nicht über Gefühle – und was macht eigentlich ein Männerberater? Eine neue Veranstaltungsreihe in Essen gibt Antworten.
Welche Themen treiben speziell Männer in Essen um? Darum geht es bei einer neuen Veranstaltungsreihe der Gleichstellungsstelle unter dem Titel „Mann, lass mal reden“. Am 23. Oktober startete sie mit einem Auftakt im Südviertel. Bei den Abendveranstaltungen sollen Männer die Möglichkeit bekommen, Themen zu besprechen, die sie bewegen. Mit dabei sind Experten, die Fragen beantworten und neue Denkanstöße geben.
Rund 15 Teilnehmer gemischten Alters besuchen die erste Veranstaltung und hören gespannt zu, was die beiden Männer, die auf einem roten Sofa sitzen, erzählen. Einer von ihnen ist Dietmar Fleischer. Er ist Ansprechpartner für alle männerspezifischen Belange in Essen und organisiert das neue Angebot. Er betont, wie wichtig es sei, Männern speziell für sie zugeschnittene Angebote zu machen: „Männer gehen laut Statistiken seltener zum Therapeuten oder zu Beratungsstellen. Sie suchen sich seltener Hilfe, brauchen aber nicht seltener Hilfe.“
Beratungsstelle in Rüttenscheid nimmt Probleme von Männern in den Blick
Als Experte ist am Auftaktabend Männerberater Marc Pomplun zu Gast. Der 50-Jährige ist Diplom-Sozialarbeiter und hat eine Weiterbildung zum männerfokussierten Berater gemacht. Im vergangenen Jahr hat er die „Männerberatung Ruhr“ mit Sitz in Rüttenscheid gegründet, um Männer gezielt beraten zu können. „Ich beobachte schon lange, dass Männer sich oftmals von vorhandenen Beratungsangeboten nicht angesprochen fühlen“, sagt er. „Daraufhin habe ich recherchiert und festgestellt, dass es keine Männerberatungsstelle in Essen gibt. Also bin ich aktiv geworden.“
Doch was macht eine Männerberatungsstelle genau? „Diese Beratungsstelle signalisiert, dass sie speziell für Männer ist und sorgt dafür, dass sie sich angesprochen fühlen. Bei den vorhandenen Hilfsangeboten gibt es oft mehr Frauen als Männer in der beratenden Tätigkeit, was einige davon abhält, die Hilfe in Anspruch zu nehmen“, erklärt Pomplun. „In vielen Fällen suchen Männer Männer, um ihre Probleme zu besprechen. Nach einem telefonischen Vorgespräch führe ich dann, beispielsweise bei einem gemeinsamen Spaziergang, Gespräche mit den Männern und gebe ihnen das Gefühl, dass ihre Probleme bei mir sicher sind.“
Essener Männerberater: „Männer wollen Probleme oft allein lösen“
Oft hätten Männer auch Schamgefühle, wenn sie sich Hilfe bei Problemen holten. „Männer denken oft getreu dem Motto ,Ein Mann hat keine Probleme und wenn er welche hat, dann löst er sie allein‘“, erklärt Pomplun. Die häufigsten Probleme bei Männern umfassten die Themen Beziehung, Gesundheit, Vaterschaft, Vereinbarkeit von Job und Familie sowie Gewalt. „Ich habe festgestellt, dass es vielen Männern schwerfällt, sich mit ihren Gefühlen zu beschäftigen. Das ist ein ganz zentraler Punkt“, betont Pomplun.
Aus der fehlenden Fähigkeit, sich mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen und mit diesen umzugehen, resultiere auch manchmal Gewalt, so Pomplun: „Ich berate zum Teil Männer, die Gewalt ausgeübt haben, oder Opfer von Gewalt geworden sind. Eine Beratung kann auch zur Gewaltprävention genutzt werden, indem wir gemeinsam erarbeiten, wie man mit den eigenen Gefühlen umgehen kann.“
Veranstaltungsteilnehmer aus Essen: „Gefühle von Männern werden oft übersehen“
Ein großes gesellschaftliches Problem sei, dass die Gefühle von Männern oft übersehen oder nicht ernst genommen würden, erklärt „Mann, lass mal reden“-Teilnehmer Kilian Graf (42) aus Werden: „Ein gutes Beispiel ist die Geburt eines Kindes. Es beginnt im Geburtsvorbereitungskurs. Ich war dabei, aber nur als Unterstützung für die Frau, nicht um selbst auf die Rolle des Vaters vorbereitet zu werden.“ Auch im Kreißsaal habe ihn niemand gefragt, wie es ihm gehe. „Eher hatte ich das Gefühl, im Weg zu stehen. Doch die Geburt eines Kindes macht doch mit mir als Mann auch etwas mit der Gefühlswelt. Danach fragt aber leider kaum jemand.“
Ein Aspekt, den auch Marc Pomplun als problematisch betrachtet. Es müsse mehr Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse von Männern geben. Ein Grund dafür, dass Männer ihre Probleme in vielen Fällen selbst lösen möchten, sei auch die Erziehung, sagt der Männerberater. „Es braucht eine Auseinandersetzung mit dem Elternhaus. Welche Rolle hat der Vater eingenommen? Wurden Gefühle des Vaters offen kommuniziert? Das Elternhaus hat neben den gesellschaftlichen Ansprüchen einen großen Einfluss auf das eigene Bild, wie ein Mann zu sein hat.“ Dietmar Fleischer hat an dieser Stelle einen konkreten Rat: „Väter sollten ihren Kindern auch zeigen, wenn es mal nicht so gut läuft und an dieser Stelle offen über ihre Gefühle reden.“
Berater fordert Männerschutzwohnungen in Essen
Wenn Marc Pomplun einen Wunsch frei hätte, würde er sich eine städtische, kostenfreie Männerberatung wünschen: „Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen. Männer sollten Anspruch auf eine Beratung haben und einen Raum bekommen, ihre Anliegen zum Thema machen zu können.“ Auch bei Problemen müsse es speziell auf Männer zugeschnittene Hilfsangebote geben. „Es gibt in Essen beispielsweise keine Männerschutzwohnungen, obwohl der Bedarf da ist.“
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