Essen. Wasserschildkröten und Kornnattern sind in Mode, im Essener Tierheim leben auch Schildkröten und Schlangen. Falsche Haltung verursacht viel Leid.

Was Schlangen, Schildkröten und Bartagamen im Tierheim Essen eint, ist ein trauriges Schicksal: Unüberlegt angeschafft und falsch gehalten, werden sie oftmals krank und sind manchmal nicht mehr zu retten. An der Grillostraße kümmern sich die Pfleger um die Exoten, von denen einige in Mode gekommen sind. „Manche Halter wollen einfach angeben“, sagt Leiterin Jeanette Gudd. „Die Tiere aber leiden still.“

Der Panzer von Patto ist ganz weich, statt gewölbt ist er deformiert, weil die Schildkröte kein Licht und damit die so wichtigen UV-Strahlen nicht bekommen hat. Gehalten wurde sie im Schrank, während ein Artgenosse in einer kleinen Plastikschale lebte. „Mit einer Deko-Insel darin, wie ein Spielzeug für Kinder sah es aus“, beschreibt Jeanette Gudd den Eindruck von der Abgabe. Viele Exoten landen aber auch als Fundtiere im Tierheim. Dabei müsse man nicht alle einsammeln, so lebten in manchen Teichen ausgesetzte Schildkröten ganz gut. Wie es den Kanarienechsen zuvor ging, ist unbekannt. Nach Essen jedenfalls reisten die beiden heimlich im Koffer an, sie hatten es sich unbemerkt im Gepäck gemütlich gemacht.

Aus dem Essener Tierheim zum Fachtierarzt nach Düsseldorf

Auf welchem Weg die Exoten auch ankommen, viele bringen die Folgen falscher Haltung mit. Fast alle Probleme resultierten aus genau dieser, sagt die Leiterin, weil Halter sich nicht informierten oder nicht interessierten. Für die Pfleger bedeutet das dann, die Exoten so gut wie möglich zu versorgen und mit ihnen auch zum Tierarzt nach Düsseldorf zu fahren, denn für Schlangen und Vogelspinnen braucht es eben einen Spezialisten. Für das Tierheim bedeutet all das einen großen Aufwand, viel Zeit und Geld – für die Tiere Schmerzen, Einschränkungen und ein nicht artgerechtes Leben.

Nach Lachen ist Tierpflegerin Marie Erbing nicht immer zumute, sie zeigt eine Bartagame, dessen Artgenosse wegen falscher Fütterung bereits gestorben ist.
Nach Lachen ist Tierpflegerin Marie Erbing nicht immer zumute, sie zeigt eine Bartagame, dessen Artgenosse wegen falscher Fütterung bereits gestorben ist. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

„Terrarienhaltung ist nie wirklich schön, man muss halt das Beste daraus machen“, sagt Tierpflegerin Marie Erbing in dem Wissen, dass diese oftmals zu klein und nicht gut eingerichtet sind. Sie selbst ist sonst eher in der Katzenabteilung zuständig, hat sich aber wegen des großen Bedarfs von einem Kollegen auch rund um die Exoten einarbeiten lassen, hat sich mit den Arten und ihren Bedürfnissen beschäftigt. Und weil all das sowie die Frage, welche Tiere meldepflichtig sind („weil sie invasiv oder vom Aussterben bedroht sind“), ganz schön umfangreich ist, haben sie sich Unterlagen dazu angeschafft, in denen sie bei Bedarf nachlesen.

Manche Schildkröten aus dem Essener Tierheim werden bis zu 80 Jahre alt

Moschusschildkröten wie Jim-Bob etwa sind nicht nur meldepflichtig, sie werden mehr als tellergroß und bis zu 80 Jahre alt. Wie Jim-Bob seine ersten drei bis fünf Jahre (so alt wird er geschätzt) gelebt hat, ist ungewiss, gefunden wurde er in Steele an der Straße Ruhrbruchshof. Fest steht, dass die Wasserschildkröte in ihrem Lebensbereich einen Landanteil mit Beleuchtung benötigt, dass sie sich von Wasserpflanzen ernährt, ab und zu kleine Fische frisst und insgesamt recht genügsam ist.

Dabei gebe es Artgenossen, die seien gar nicht nett, sagt Marie Erbing und denkt an eine Alligator-Schildkröte. Auch bei Schnappschildkröten werde es spannend. „Dann brauchen wir mehrere Leute, um sie festzuhalten“, sagt die Pflegerin schmunzelnd. Manche Exoten seien zudem giftig, aber das sei im Tierheim erst einmal vorgekommen. Dann gelten besondere Sicherheitsmaßnahmen, es dürfe nur noch ein Pfleger auf die Station. Damals war es eine Schlange, die ins Tierheim kam. Öfter sind es Vogelspinnen, die seien zwar auch giftig, aber nur, wenn man allergisch sei.

Schildkröte Patto lebte früher in einem dunklen Schrank, sein Panzer ist wegen der fehlenden UV-Strahlung deformiert und viel zu weich.
Schildkröte Patto lebte früher in einem dunklen Schrank, sein Panzer ist wegen der fehlenden UV-Strahlung deformiert und viel zu weich. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Deren Häutungen, sowie einen Skorpion und Tausendfüßler bewahren die Pfleger in kleinen Plastikbehältern auf. Denn die Tiere sind Anschauungsmaterial, wurden bereits tot in einer Messiewohnung gefunden. Eine Katze haben sie damals noch retten können, viele der Exoten nicht. Auch die tierische Mitbewohnerin von Paul und Viana hat die Fehler, die ihr früherer Halter bei der Fütterung gemacht hat, nicht überlebt. „Bartagamen sind vor allem Pflanzenfresser“, erklärt Jeanette Gudd. Oftmals aber werden sie ausschließlich mit Grillen gefüttert. Eine Folge könne ein Darmverschluss sein, da ihr Körper so viel tierisches Protein nicht verwerten könne – wie im aktuellen Fall.

Auch Tigerpython Nemo wartet im Essener Tierheim auf Interessenten

Nun sind Viana und Paul nur noch zu zweit. Dabei hat gerade ein anderes Tierheim angerufen, wollte weitere Bartagamen nach Essen bringen, da es keine Exotenstation hat. „Wir haben aber keinen Platz mehr“, bedauert Marie Erbing. Schon jetzt improvisieren sie, bauen immer mehr kleine Becken, in denen sie die Tiere unterbringen – so gut es geht. Neun Wasserschildkröten, vier Landschildkröten, fünf Kornnattern, eine Boa Constrictor und Tigerpython Nemo warten auf ein neues Zuhause.

Für brasilianische Riesen-Vogelspinnen finde sich immer ein Liebhaber, Kornnattern seien auch ganz gut zu vermitteln – immerhin würden diese nicht allzu groß. Nemo schon. Die Tigerpython ist schon fast zwei Meter groß und wiegt knapp drei Kilogramm. Während Kornnattern winzige Mäuse („allesamt Frosttiere“) verspeisen, vertilgt Nemo bei seiner monatlichen Fütterung immerhin eine Ratte mit rund 300 Gramm. Ausgewachsen wird er bis zu fünf Meter groß sein. Und: Nemo zeigt sich nicht immer von seiner besten Seite, manchmal beißt er. Er kam zusammen mit einer Boa ins Tierheim, die bereits ausgezogen ist. Nemo aber lebt inzwischen zwei Jahre an der Grillostraße, zieht einfach keine Interessenten an.

Tigerpython Nemo wartet bereits seit zwei Jahren im Essener Tierheim auf ein neues Zuhause.
Tigerpython Nemo wartet bereits seit zwei Jahren im Essener Tierheim auf ein neues Zuhause. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Ob es daran liegt, dass die meisten Exoten Beobachtungstiere sind und sich nicht gern anfassen lassen, das kann Marie Erbing nur mutmaßen. Manche Halter scheuten aber auch Behördenauflagen, denn bei meldepflichtigen Tieren würde beispielsweise die Haltung überprüft. Die müsse ausbruchssicher sein, damit Tiere nicht entwischten und sich auch nicht vermehrten. Hinzu kommen hohe Kosten für die Technik (Pumpen, Leuchten etc.) sowie für Strom, die auch im Tierheim ordentlich zu Buche schlagen. So fühlen sich etwa Bartagamen bei 26 Grad Celsius wohl. „Unter der Lampe sind es sogar bis zu 35 Grad in ihrem Terrarium“, sagt die Pflegerin.

Früher kamen oftmals nur Wasserschildkröten ins Essener Tierheim

Nemos Mitbewohnerin jedenfalls ist schon wieder ausgezogen, die Boa wurde vermittelt. Eine Boa Constrictor lebt weiterhin auf einer Pflegestelle des Tierheims, ihr Platzbedarf ist bei einer Länge von fünf Metern bereits jetzt recht groß. Das Interesse an diesen exotischen Tieren habe sich stark gewandelt, sagt Jeanette Gudd. Waren es früher fast nur Wasserschildkröten in privaten Haushalten, seien später Landschildkröten hinzugekommen und in den vergangenen Jahren vor allem Schlangen. Die Anschaffung sei ganz einfach, da die Tiere beim Kauf im Internet verschickt oder auf Exotenbörsen in kleinen Schachteln verkauft würden.

Improvisation gehört auf der vollen Exotenstation im Essener Tierheim dazu, Leiterin Jeanette Gudd zeigt die selbst gestalteten Unterkünfte, die aus Plastikwannen entstanden sind.
Improvisation gehört auf der vollen Exotenstation im Essener Tierheim dazu, Leiterin Jeanette Gudd zeigt die selbst gestalteten Unterkünfte, die aus Plastikwannen entstanden sind. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Die spätere Haltung gehe dann ins Geld. So würde sie sich wünschen, dass sich Interessenten ausreichend erkundigten, dass sie entsprechend Sachkunde, das nötige Kleingeld für Ausstattung und einen fachkundigen Tierarzt für den Krankheitsfall haben. Die Erfahrung im Tierheim zeige leider, dass der Kauf oftmals unüberlegt oder leichtfertig sei.

Manchmal hätten Halter keine Zeit für Hund oder Katze und wählten stattdessen Spinnen oder Bartagamen. Andere wiederum wollten einfach etwas Außergewöhnliches. Die Folgen seien dann mitunter dramatisch, für Tiere und Pfleger. „Manchmal verzweifeln wir an alledem, was wir hier sehen“, sagt Jeanette Gudd zum Leid der Tiere. Das trifft auch Exoten.

Kontakt zum Essener Tierheim: 0201 – 83 72 35-0