Essen. Das Lutherhaus in Steele, seit 2008 unter Krupp-Fittichen, steckt finanziell in der Klemme. Nun wird unterm „Schutzschirm“ gesundgeschrumpft.

Mit viel Mühe und Millionen-Aufwand versucht die Stadt seit geraumer Zeit, die umgepflügte Krankenhaus-Landschaft im Essener Norden wieder aufzuforsten. Und kaum ist dort der Start einer Stadtteil-Klinik neuen Typs in Sichtweite, da droht ein paar Kilometer Luftlinie entfernt, im Osten der Stadt, neues Ungemach: Das einstige Lutherhaus am Hellweg, das vor eineinhalb Jahrzehnten unter die Fittiche der Krupp-Stiftung schlüpfte, ist in finanzielle Schieflage geraten. Um eine kurzfristig drohende Insolvenz abzuwenden, haben die Verantwortlichen am Montag die Reißleine gezogen: Sie beantragten beim Amtsgericht ein sogenanntes „Schutzschirm-Verfahren“ – um zu retten, was zu retten ist.

Das ist auf den ersten Blick eine ganze Menge: Anders als beim Marienhospital in Altenessen und beim St. Vincenz-Krankenhaus in Stoppenberg, wo Klinikbetreiber Contilia vor knapp drei Jahren Tabula rasa machte, steht eine komplette Schließung des Krankenhauses in Steele offenbar nicht zur Debatte. „Ziel ist es, das Haus zu sanieren und eine langfristig tragfähige Ausrichtung für die medizinische Versorgung vor Ort zu finden“, so heißt es vielmehr in einer Mitteilung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.

Der Geschäftsführer beruhigt: Betrieb des Essener Lutherhauses läuft „uneingeschränkt und vollumfänglich“ weiter

Um diesen Sanierungsplan auszuarbeiten, hat man jetzt erst einmal drei Monate Zeit. Drei Monate, in denen die Versorgung der Patienten „uneingeschränkt und vollumfänglich“ weiterläuft, wie es heißt. Auch Löhne und Gehälter für die rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Steele sind im Rahmen des Verfahrens durch die Agentur für Arbeit gesichert. Und weil naheliegt, dass auch die Belegschaft des „Kruppschen“ in Rüttenscheid fürchtet, in den Sog dieser Krankenhaus-Krise zu geraten, versichern Geschäftsführung wie Stiftung unisono: Das Alfried Krupp Krankenhaus in Rüttenscheid ist nicht betroffen.

Erst kürzlich wurde noch eine siebenstellige Summe in das Krupp-Krankenhaus in Steele investiert. Genützt hat es nichts, weil die Betriebskosten rapide stiegen und die Finanzierung nicht auskömmlich ist, so heißt es.
Erst kürzlich wurde noch eine siebenstellige Summe in das Krupp-Krankenhaus in Steele investiert. Genützt hat es nichts, weil die Betriebskosten rapide stiegen und die Finanzierung nicht auskömmlich ist, so heißt es. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es ist bei alledem ein schwacher Trost für alle Beteiligten, dass die Steeler Misere wohl nicht hausgemacht ist: „Die Krankenhäuser in Deutschland sind so gefährdet wie nie zuvor“, warnt längst die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): „Kaum noch ein Krankenhaus kann seine Ausgaben aus den laufenden Einnahmen begleichen.“ Die extrem gestiegenen Preise zwängen viele Kliniken in die Knie, binnen eines Jahres hätten 26 Träger mit insgesamt 34 Krankenhäusern Insolvenzanträge gestellt.

Die Gründe für die Misere heißen Inflation, Fachkräftemangel, dürftige Erstattungen

Das Krupp-Krankenhaus in Steele wäre nach Informationen dieser Zeitung in nur wenigen Wochen Nummer 35 gewesen – mit einem Millionen-Minus, das in dramatisch gestiegenen Kosten und stattlichen Tarifsteigerungen einerseits gründet. Und andererseits in einer extrem regulierten und zugleich unzulänglichen Kostenerstattung. Zwar bescherte das Corona-Jahr 2021 mit seinen vom Bund gezahlten Zuschüssen für jedes vorgehaltene Bett noch einen warmen Geldregen. Danach jedoch fielen die Zahlungen ersatzlos weg, kam der Krieg in der Ukraine, kamen dramatisch gestiegene Heizkosten, die Inflation, der Fachkräftemangel. Und am Hellweg rannte ihnen die Zeit davon.

Denn ein nennenswertes finanzielles Polster gab es offenbar nicht. Und irgendwann dräute die Erkenntnis, dass das Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid die Steeler Klinik-Tochter nicht dauerhaft würde durchfüttern können – nicht nur, weil Millionen aufzuwenden wären, sondern auch, weil die weiteren Rahmenbedingungen unklar bleiben.

Lutherhaus: Künftig zuständig für Grund- und Regelversorgung – was immer das heißt

Was also tun? Die Zukunft findet sich im Kleingedruckten dessen, was Dr. med. Günther Flämig, Geschäftsführer der beiden Alfried Krupp Krankenhäuser, am Montag verlauten ließ, als er betonte: „Wir nehmen unseren Versorgungsauftrag sehr ernst.“ Man sei im Hause „überzeugt, dass wir mithilfe der Sanierung unserer Verantwortung für die Grund- und Regelversorgung langfristig nachkommen können“.

Ein Gesundschrumpfen also auf die „Grund- und Regelversorgung“: Was das für den Standort Steele nun genau heißt, wird man gemeinsam mit Mark Boddenberg zu diskutieren haben, einem auf Insolvenzen und Klinik-Sanierungen spezialisierten Rechtsanwalt der Hannoveraner Kanzlei Eckert. Daneben ist ein Team der Münchner Unternehmensberatung WMC Healthcare mit von der Partie, das an einem medizinischen Zukunftskonzept mitarbeitet: „Die Kunst wird es sein, zwischen Versorgungsbedarf, Regulatorik und Wirtschaftlichkeit die richtigen Antworten zu finden“, sagt Sören Jensen, Partner bei WMC Healthcare.

Volker Troche, Sprecher des Vorstandes der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, verspricht: „Wir als Stiftung werden alles im Rahmen unserer derzeitigen Möglichkeiten tun, um die Sanierung in Steele bestmöglich zu unterstützen.“
Volker Troche, Sprecher des Vorstandes der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, verspricht: „Wir als Stiftung werden alles im Rahmen unserer derzeitigen Möglichkeiten tun, um die Sanierung in Steele bestmöglich zu unterstützen.“ © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Die Krupp-Stiftung verweist auf hohe auch finanzielle Anstrengungen über Jahre

Es braucht nicht viel Fantasie, um zu ahnen: Das Lutherhaus der Zukunft wird in seiner „Basisvariante“ deutlich weniger als die jetzt dort tätigen 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen, deutlich weniger als die 320 Betten und sechs spezialisierten Kliniken. Welche Größenordnung am Ende steht, muss einstweilen offen bleiben. Immerhin dürfte ein möglicher Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen zu machen sein: Der Arbeitsmarkt, so sagen Experten, wartet nur auf gute Leute.

Zwei Häuser, 14 Kliniken, 850 Betten

Seit 2008 machen das Krupp-Krankenhaus in Rüttenscheid und das einstige Lutherhaus in Steele gemeinsame Sache.

Gemeinsam kommen sie auf 850 Betten (davon 320 in Steele) und 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon 700 in Steele).

Von 14 Kliniken befinden sich sechs am Standort Steele: für Allgemein- und Viszeralchirurgie, für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, für Orthopädie und Unfallchirurgie, für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie, für Pneumologie, Gastroenterologie und Innere Medizin sowie für Urologie und urologische Onkologie.

Und doch bleibt Bitternis zurück: „Die Krupp-Stiftung schaut mit Sorge auf die derzeitige Entwicklung der Krankenhäuser in Deutschland“, bekennt Volker Troche, Sprecher des Vorstandes der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die als Träger sämtliche Anteile des Krupp-Krankenhauses in Rüttenscheid hält – und damit indirekt auch der Steeler Klinik-Tochter. Die Entscheidung fürs Schutzschirm-Verfahren sei „schmerzhaft, aber sie ist rechtzeitig getroffen worden. Es ist eine gute Möglichkeit, das Haus für die Zukunft aufzustellen. Wir geben nicht auf. Wir wollen das Haus fortführen, und dazu müssen wir es zügig und zukunftsgerichtet sanieren.“ Man habe in den vergangenen Jahren „hohe auch finanzielle Anstrengungen unternommen, um beide Standorte zu leistungsstarken Versorgern für Patientinnen und Patienten zu machen“, sagt Troche.

Mit Wohltaten in dreistelliger Millionenhöhe kann die Krupp-Stiftung nicht mehr dienen

Rund 150 Millionen Euro und damit mehr als ein Fünftel der gesamten Fördersumme investierte die Krupp-Stiftung seit ihrer Gründung 1968 ins Krankenhaus. Auch das 2008 übernommene Haus in Steele profitierte davon spürbar. Zuletzt flossen rund 1,8 Millionen Euro in Sanierung und Umbau eines Teils des Bettenhauses mit Stationen für gesetzlich Versicherte. Und auch jetzt bekennt man sich klar zur eigenen Verantwortung, die bestmögliche Lösung zu finden: „Unser Ziel ist es, die wirtschaftliche Eigenständigkeit des Hauses zu sichern“, versichert Troche: „Wir als Stiftung werden alles im Rahmen unserer derzeitigen Möglichkeiten tun, um die Sanierung in Steele bestmöglich zu unterstützen“.

Doch das Herz für die Gesundheitssparte ist weit und die derzeitigen Möglichkeiten begrenzt – die Stiftung nämlich nur so finanzstark wie das Industrie-Unternehmen Thyssenkrupp, dessen größter Anteilseigner sie ist: In glorreichen Zeiten um 2007 füllte ein Dividenden-Regen von bis zu 1,30 Euro je Aktie die Kassen. Das ermöglichte allerlei Wohltaten in dreistelliger Millionenhöhe. In den vergangenen elf Jahren aber kam die Dividende über 15 Cent je Aktie nicht hinaus, fünfmal schauten die Aktionäre sogar gänzlich in die Röhre. Und wo kein warmer Regen fällt, da wächst nicht viel.

Für Krankenhaus-Landschaften gilt das allemal.

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