Essen. 15 Jahre gehört Gerry Hungbauer zu den Publikumslieblingen der ARD-Telenovela. Jetzt ist er in „My Fair Lady“ am Essener Aalto-Theater zu sehen.

Kein Dialekt verrät seinen Geburtsort, nicht einmal ein Akzent lässt Rückschlüsse zu. Phonetik-Professor Henry Higgins hätte an seinem Hochdeutsch mit eingestreuten Anglizismen einiges zu knacken. Jetzt spielt Gerry Hungbauer, Star aus der ARD-Telenovela „Rote Rosen“, den versnobten Sprachwissenschaftler aus dem Musical „My Fair Lady“ selbst. Im Aalto-Theater wird am Samstag, 30. September, die Premiere gefeiert.

Die Proben in dem internationalen Ensemble gehen voran, doch Gerry Hungbauer wirkt gechillt. Er kennt das. Vor seiner Fernsehkarriere hat der gebürtige Münchner jahrelang Theater gespielt. Bereits in der privaten Ausbildung zum Schauspieler stand er auf der Bühne und drehte. Als freier Akteur gastierte er in Bern, Frankfurt, Hamburg, später war er fest am Pfalztheater Kaiserslautern und Staatstheater Karlsruhe engagiert. „Von Komödie bis Klassiker habe ich alles gemacht. ,Die drei Musketiere’ und ,Cyrano de Bergerac’ haben mir Spaß gemacht, aber auch Goethes ,Faust’“, erzählt der 62-Jährige.

Mit „Verbotene Liebe“ wurde er einem breiten Publikum bekannt

Nach Gastrollen in diversen Serien wurde er mit „Verbotene Liebe“ 2001 einem breiten Publikum bekannt. Zwei Jahre war er Martin von Beyenbach. Dann kam „Rote Rosen“. „Mir gefiel das Format so gut. Eine tägliche Serie über eine Frau um die 40 und ich konnte mich vom bad guy zum good guy entwickeln“, erklärt er seinen Wandel vom Steuerberater und Ehebrecher Thomas Jansen zum Oberbürgermeister. 15 Jahre ging das von Staffel zu Staffel gut.

Er fühlte sich wohl mit der „super Cast“. Selbst die Wortgefechte mit der gar nicht einfachen Serienmutter Brigitte Antonius waren stets schnell beigelegt. Lüneburg gefiel ihm. Er zog für die Arbeit dorthin und wohnt mit seinen beiden Teenager-Söhnen und seiner Frau immer noch dort. 2021 lief sein Vertrag aus. Nach 3450 Folgen wurde er nicht verlängert. Laut Drehbuch wanderte er nach Brasilien aus. „Das war ja zu erwarten, dass irgendwann eine Durststrecke kommt. Man wollte wahrscheinlich neue Figuren einbringen“, meint er heute verständnisvoll. Damals, mitten in der Corona-Krise, hat es ihn hart getroffen. „Es gab keine Angebote. Ein Jahr hatte ich nur einen Drehtag.“

Dem Fernsehstar aus „Rote Rosen“ ist das Musicalfach nicht fremd

Mein Gott, jetzt hat sie’s: Prof. Higgins (Gerry Hungbauer, li.) und Mrs. Pearce (Christina Clark) freuen sich in „My Fair Lady“ im Essener Aalto-Theater über die Deutschkenntnisse von Eliza (Mercy Malieloa, re.).
Mein Gott, jetzt hat sie’s: Prof. Higgins (Gerry Hungbauer, li.) und Mrs. Pearce (Christina Clark) freuen sich in „My Fair Lady“ im Essener Aalto-Theater über die Deutschkenntnisse von Eliza (Mercy Malieloa, re.). © Björn Hickmann/ stage picture | Björn Hickmann/ stage picture

Mittlerweile hat er sich gefangen. Über eine Kollegin erfuhr er, dass am Aalto-Theater ein Professor Higgins gesucht wird und er sprach und sang vor. Das Musicalfach ist ihm nicht fremd. In „Anatevka“ und „Hello Dolly“ war er zu sehen. In Lüneburg, wo „Rote Rosen“ gedreht wird, auch „Im weißen Rössl“. „Das Gute an den Dreharbeiten zu der Telenovela: Man fängt um acht Uhr an, ist nachmittags fertig und hat am Abend und am Wochenende frei“, so Gerry Hungbauer. Das ist nun anders. Bis Februar ist er verpflichtet und reist nach der Premiere jeweils für die Vorstellungen an.

Damit steht er in einer gewissen Tradition des Essener Musiktheaters, Musicals mit bekannten Schauspielern oder Sängern zu besetzen. 2000 spielte Harald Dietl („Die Männer vom K3“) in „Anatevka“ mit, 2004 Guildo Horn in „Kiss me, Kate“. Und nun Gerry Hungbauer in „My Fair Lady“. Bisher hat er die Rolle des selbstherrlichen Phonetik-Professors noch nicht verkörpert. Basierend auf George Bernard Shaws „Pygmalion“ von 1913 und dem Film von Gabriel Pascal erzählt das Musical von Frederick Loewe und Alan J. Lerner von Henry Higgins, der mit seinem Freund, Oberst Pickering (Rainer Maria Röhr) wettet, dass nicht die Herkunft, sondern die Sprache das Ansehen eines Menschen ausmacht.

Essener Inszenierung zeigt Blumenmädchen Eliza als Zugereiste

Die Essener „My Fair Lady“

Die Essener Inszenierung des Musicals „My Fair Lady“ hat am Samstag, 30. September, 19 Uhr, Premiere am Aalto-Theater. Es gibt noch Karten.

Ilaria Lanzino wählt für ihre Inszenierung einen zeitgenössischen Zugriff auf den Stoff, der 1913 unter dem Titel „Pygmalion“, einem Schauspiel von George Bernard Shaw, uraufgeführt und 1938 verfilmt wurde. Die romantisierende Musicalversion von 1956 und deren Verfilmung von 1964 mit Audrey Hepburn wurden zum großen Publikumserfolg.

Die italienische Regisseurin, die Germanistik studierte, lenkt den Fokus auf die Absurditäten der deutschen Sprache, den Zusammenprall verschiedener Generationen, Geschlechter sowie privilegierter und weniger privilegierter Menschen. „Dabei ist sie um die Stärkung der Frauenfigur Eliza und eine Leichtigkeit bemüht“, erklärt Laura Bruckner, Dramaturgin am Aalto-Theater, die Schwerpunkte dieser Version.

Karten und Termine unter 0201 8122 200 und online auf www.theater-essen.de

Mit dem Blumenmädchen Eliza, will er den Beweis für seine Theorie antreten. „Und sie will Deutsch lernen. Sie ist eine Zugereiste in der Inszenierung“, erklärt er den Zugriff auf das Erfolgsmusical. Dabei geht er nicht gerade human mit ihr um. Doch sieht Hungbauer ihn nicht als Frauenfeind: „Natürlich ist er grob und herablassend. Aber er meint es nicht so. Er hat schon mit Frauen gelitten.“ Ansonsten falle das Musical bei Regisseurin Ilaria Lanzino moderner als üblicherweise aus. „Drehbühne, Ballett, Chor und Lieder, die sofort ins Herz gehen. Da wird einem schon was geboten“, meint er.

Auch ihm wird einiges geboten. „Total positiv überrascht“ zeigt sich der sportliche „Rote Rosen“-Star, der läuft, auf Berge steigt, Ski fährt, Fußball spielt und nicht zuletzt Golf-Fan ist, von Essen. Während der Probenphase hat er drei Golfplätze entdeckt, die ganz nach seinem Geschmack sind. „Oefte“ nannte er sensationell. „Das ist wie in den Alpen“, sagt er. Und das Sightseeing hat ihm gut gefallen. Folkwang Museum, Villa Hügel, Baldeneysee begeistern ihn. Oder wie er des Öfteren sagt: „Das war sehr nice.“

[Essen-Newsletter hier gratis abonnieren | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehr-Artikel + Innenstadt-Schwerpunkt + Rot-Weiss Essen + Lokalsport | Nachrichten aus: Süd + Rüttenscheid + Nord + Ost + Kettwig & Werden + Borbeck & West | Alle Artikel aus Essen]