Essen. Seit 25 Jahren betreuen die „Paten für Arbeit“ Jugendliche. Heute gebe es Azubis, die nicht telefonieren können und keinen Führerschen machen.

Handwerker suchen verzweifelt Auszubildende, ähnlich sieht es in Pflege, Gastronomie und anderen Branchen aus: Mehr als 1000 Ausbildungsplätze waren im August in Essen unbesetzt. Gleichzeitig suchten laut Agentur für Arbeit 940 Jugendliche noch eine Lehrstelle. Ein klarer Fall für die „Paten für Arbeit“: Die traten vor einem Vierteljahrhundert an, um junge Menschen in die Arbeitswelt zu begleiten.

Essener Ehrenamtliche brauchen Frustrationstoleranz

Der Verein entstand aus dem „Essener Konsens“, in dem sich Arbeitgebervereinigungen, Gewerkschaften, Kirchen, Jugendhilfe, Arbeitsamt und andere Einrichtungen zusammengetan hatten. Mit den „Paten“ wollte man der Jugendarbeitslosigkeit begegnen: Schon ab der 9. Klasse wurden Schüler und Schülerinnen von den Ehrenamtlichen begleitet. Man handelte aus der Erkenntnis, dass manche eine individuelle Betreuung brauchen, „damit der Start ins Berufsleben nicht mit der Arbeitslosigkeit beginnt“.

Idealtypisch sollte ein Vertrauensverhältnis entstehen und der Pate den Jugendlichen bis zum Abschluss einer Ausbildung betreuen. „Um Pate oder Patin zu werden, braucht man nur einen gesunden Menschenverstand – und eine hohe Frustrationstoleranz“, sagt Projektleiterin für die Ausbildungspatenschaften, Anne Koch.

Die einen trainieren Pünktlichkeit – die anderen das Telefonieren

Feierstunde der „Paten der Arbeit“ beim Etuf: Die Ehrenamtlichen haben im Laufe der Jahre mehr als 1000 Jugendliche begleitet.
Feierstunde der „Paten der Arbeit“ beim Etuf: Die Ehrenamtlichen haben im Laufe der Jahre mehr als 1000 Jugendliche begleitet. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Aktuell trauen sich 48 Essener und Essenerinnen die Aufgabe zu; vorbereitet wurden sie in einem Kurs. Nun kümmern sie sich um 58 „Patenkinder“, mit denen sie durch Höhen und Tiefen gehen. Vermittelt werden die Jugendlichen von den Schulen, die mit dem Verein zusammenarbeiten. In der Anfangszeit des Vereins sei es oft darum gegangen, den Schützlingen in der Schule zu helfen oder Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu trainieren.

„Wenn die mal eine Ausbildung hatten, waren sie meist in der Schiene“, sagt Koch. Trotzdem blieben die Paten für sie ansprechbar. Heute reiche das oft nicht aus, ergänzt Vereinsmitglied Christian Weiß. „Jetzt brauchen viele auch während der Ausbildung eine intensive Begleitung.“ Augenfällig ist das bei jungen Leuten mit Fluchtgeschichte, die oft mit Sprachproblemen kämpfen. So trainiert derzeit ein Elektroingenieur mit zwei jungen Flüchtlingen Fachbegriffe, begleitet sie durch eine Einstiegsqualifizierung.

Manchmal bittet ein Jugendlicher selbst um Hilfe

Jüngst habe sich ein junger Mann aus Albanien gemeldet, der unter anderem sein Englisch verbessern möchte, erzählt Anne Koch. Man habe ihn in den Förderunterricht an der Uni vermittelt, mit dem man eng zusammenarbeite. Bei anderen Fragen könnte ihm ein Pate helfen.

Oft sind die Defizite weniger konkret zu benennen, die Folgen aber spürbar: Im Maler-Handwerk hätten in Essen zuletzt schon 40 von 100 gestarteten Azubis aufgegeben, sagt Christian Weiß. „Vermutlich schaffen am Ende nur zehn den Abschluss.“ Auch in anderen Berufen seien die Abbrecherquoten hoch, ergänzt Detlef Macher, der das Bewerbungstraining der Paten betreut. „20 bis 25 Prozent beenden die Ausbildung nicht. Da gehen wir ran.“

Einige junge Leute wollen keinen Führerschein machen, obwohl der Betrieb zahlt

Einer der Mitbegründer des Vereins „Paten für Arbeit“: Hermann Hartwich, ehemaliger Oberstadtdirektor von Essen, sprach auf der Jubiläumsfeier.
Einer der Mitbegründer des Vereins „Paten für Arbeit“: Hermann Hartwich, ehemaliger Oberstadtdirektor von Essen, sprach auf der Jubiläumsfeier. © FUNKE Foto Services | Jonas Richter

Arbeitgeber berichten von jungen Leuten, die mit Whatsapp-Nachrichten aufgewachsen sind und nicht telefonieren können. Viele wollen keinen Führerschein machen, „obwohl einige Betriebe als Bonbon anbieten, diesen zu zahlen“, so Koch. Andere melden sich nicht zur Gesellenprüfung an. „Später kehren sie als Hilfsarbeiter in ihren Ausbildungsbetrieb zurück.“

Neben der engen Betreuung durch Paten setzt der Verein daher auch auf Bewerbungstrainings an Schulen. Die zehn Referenten kommen alle aus Unternehmen und vermitteln den Schülern die Sicht der Arbeitgeber, erklärt Detlef Macher. Wie läuft ein Bewerbungsgespräch von Begrüßung bis Verabschiedung, was wird gefragt – das spielen sie mit verteilten Rollen durch. „Das senkt die Hemmschwelle, wenn sie in die konkrete Situation gehen.“

Die Gründerväter dachten an ein paar Jahre Einsatz – es kam anders

„Jetzt brauchen viele Jugendliche auch während der Ausbildung eine intensive Begleitung“, sagt Christian Weiß vom Verein „Paten für Arbeit“.
„Jetzt brauchen viele Jugendliche auch während der Ausbildung eine intensive Begleitung“, sagt Christian Weiß vom Verein „Paten für Arbeit“. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Angesichts des Fachkräftemangels riskiere es mancher Chef heute, einen nur halb überzeugenden Bewerber einzustellen. Das führt dazu, dass die dritte Säule des Vereins aktuell kaum nachgefragt wird: „Früher sagten Betriebe häufiger, dass sie das Risiko scheuten, einen schwächeren Jugendlichen einzustellen. Wir haben dann angeboten, das Risiko zu teilen und die Ausbildung mitfinanziert“, sagt der Vereinsvorsitzende Wolfgang Weber.

Nun gehen die Paten für Arbeit verstärkt auf die Berufskollegs zu: Die machen den Berufsschulunterricht und wissen, welcher Azubi mit Schule oder Praxis kämpft, Hilfe braucht. Die Resonanz der Kollegs ist gut. Und so kommt es, dass der Verein auch in Zeiten des Fachkräftemangels viel zu tun hat. Die Gründerväter Günter Herber und Hermann Hartwich hätten wohl kaum in dieser Dimension gedacht: „Wir gingen davon aus, dass unser Einsatz ein paar Jahre dauert – jetzt sind es schon 25“, sagt Weber.

Verein plant Zusammenarbeit mit dem Kinderschutzbund

Ende August feierte der Verein, der heute den Zusatz „Partner für Ausbildung“ trägt Jubiläum: Mehr als 1000 Jugendliche haben die Paten betreut, nur wenige bekamen die Kurve nicht. Eine Zwischenbilanz. Denn es soll ja weitergehen. So wollen sie auch gern die Lernhäuser des Kinderschutzbundes unterstützen, die in der Schulzeit Hausaufgabenhilfe bieten – danach könnten die Paten übernehmen.

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