Essen. Noch ist der Steag-Verkauf nicht wasserdicht, da beginnt schon die Debatte um die Erlöse. Der Bund der Steuerzahler fordert, Schulden zu tilgen.
Die ersten WhatsApp-Nachrichten ließen nicht lange auf sich warten: Kaum war durchgesickert, dass die Stadt Essen einen ebenso warmen wie unerwarteten Geldregen von rund 140 Millionen Euro erlösen wird, wenn sie ihre Anteile am Energie-Riesen Steag verkauft, da landeten beim städtischen Finanzchef allerlei Vorschläge, was man damit alles Schönes anstellen könnte.
Umso mehr ist Gerhard Grabenkamp nun bemüht, allzu große Blütenträume schon im Keim zu ersticken. Das Geld, so sagte der Kämmerer am Mittwoch im Rat der Stadt, werde sicher „nicht dem allgemeinen Haushalt zufließen“, wo es dann für politische Geschenke aller Art dienen könnte. Stattdessen soll es zunächst bei der städtischen Verkehrs- und Versorgungs-Holding EVV „geparkt“ werden. Dieser fließt das Geld in den kommenden beiden Jahren durch einen Gewinnabführungsvertrag von den Stadtwerken zu.
Steuerzahler-Bund sieht eine „einmalige Chance, den hohen Schuldenberg abzutragen“
Gut möglich, dass ein Großteil der Summe, die in ihrer exakten Höhe ja noch gar nicht feststeht, am Ende prompt wieder retour zu den Stadtwerken geht: Dem Unternehmen stehe schließlich ein gewaltiger Wandel bevor, erinnert Grabenkamp, und im Rahmen der anstehenden Energie- und Wärmewende seien Investitionen „in erheblichem Umfang“ zu schultern. Dies für kurzfristig Wünschenswertes aus den Augen zu lassen, „wäre unverantwortlich“, so der Kämmerer.
Zumindest in dieser Hinsicht weiß er sich einig mit dem Bund der Steuerzahler NRW, der ausdrücklich davor warnt, „das Geld jetzt zu verfrühstücken“. Im Gegensatz zu Essens Finanzchef appelliert der Steuerzahler-Bund jedoch, die Eigentümer-Städte sollten den Erlös kurzerhand für die Tilgung einsetzen. Das Steag-Geld böte die „einmalige Chance, den hohen Schuldenberg in Essen abzutragen“, so Eberhard Kanski, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Steuerzahler-Bundes. Allein die Essener Kassenkredite summieren sich auf fast 1,7 Milliarden Euro, hinzu kommen 1,4 Milliarden Euro an Investitions-Krediten. Und dazu die Schulden der städtischen Beteiligungen. In den anderen Revier-Städten, die an der Steag beteiligt sind, sei die Lage nicht viel anders.
Ein letztes Mal werden die Corona- und Ukraine-Kosten aus dem Etat ausgeblendet
Der Bund der Steuerzahler erinnert daran, dass angesichts der gestiegenen Zinsen diese Kredite und vor allem die Kassenkredite (der städtische „Dispo“) die kommunalen Etats und somit die Steuerzahler belasteten. Gesparte Zinsausgaben öffneten Spielräume für Entlastungen oder einen weiteren Schuldenabbau. Ausgabenprogramme brächten dagegen in der Regel Folgekosten mit sich.
Eine Mahnung, mit der Kanski zumindest in der Essener Finanzverwaltung offene Türen einrennt, denn dass die städtische Finanzlage trotz sprudelnder Gewerbesteuern nach wie vor extrem angespannt ist, erfuhren die Ratsmitglieder just zur aktuellen Sitzung: In ihrer Prognose zum Stichtag 30. Juni warnen die Etat-Experten im Rathaus darin vor einem eigentlich fälligen Jahresabschluss 2023 mit roten Zahlen in einer Größenordnung von über zwölf Millionen Euro – verursacht unter anderem durch die jüngste Tariferhöhung im öffentlichen Dienst, die um zehn Millionen Euro höher ausfiel als die Stadt zuvor kalkuliert hatte, sowie durch finanzielle Belastungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, die um 16 Millionen Euro höher liegen als die erhaltenen Zuschüsse.
Von einem 3,5 Milliarden-Euro-Etat bleibt ein Plus von gerade 107.000 Euro übrig
Nur der Umstand, dass Corona- und Ukraine-Lasten noch ein letztes Mal aus dem Finanzgefüge „ausgelagert“ werden können, schönt die Bilanz. Sie weist bei einem 3,5 Milliarden-Euro-Etat einen Überschuss von gerade noch 107.000 Euro aus. Für solche Überschüsse wurde wohl der Spruch von der „schwarzen Null“ erfunden.