Essen-Westviertel. Bei Ingo Pohlmanns Stadtteilführung durchs Westviertel dreht sich viel um die Familie Krupp. Es geht aber auch um Ikea und die Weststadthalle.
Stadtführer Ingo Pohlmann führt mit Wissen und Verve durch Essener Stadtteile, um sie aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und historisch neu zu entdecken. Heute ist das Westviertel an der Reihe. Von der berühmten „Krupp-Stadt“ westlich des Stadtkerns ist nach Kriegszerstörungen, Demontagen und Neubautätigkeit der Nachkriegszeit allerdings nur noch wenig erhalten geblieben.
Essener Westviertel war früher landwirtschaftliches Nutzgebiet
Die Gruppe steht vor dem Colosseum-Theater am Berliner Platz. Hier war die „VIII. Mechanische Werkstatt“ der Fried. Krupp AG, Arbeitsstätte von rund 2000 Menschen. Im Press- und Hammerwerk, heute Parkhaus von Ikea, stand die größte Schmiedepresse der Welt: „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde alles demontiert und als Reparation nach Jugoslawien gebracht, dort aber nie aufgebaut.“ Vorbei war es mit Essens Ruf als eine der weltweit bedeutendsten Industriemetropolen. Vorbei geht es an der Weststadthalle: „Hier war die Reparaturwerkstatt II, auch die ist denkmalgeschützt, wurde aber in Glas verpackt. Muss man nicht mögen.“
An der übernächsten Ecke blickt Pohlmann sich um: „Früher war das alles hier landwirtschaftliches Nutzgebiet. Und dann kam Helene Amalie Krupp.“ Die Witwe von Friedrich Jodocus Krupp investierte in Land, Mühlen, Bergwerke und eine Eisenhütte. Auch Max Huyssen kaufte systematisch Land auf. Die Maxstraße ist nach dem Großgrundeigentümer selbst benannt, die Henriettenstraße und die Selmastraße tragen die Namen von Tochter und Schwiegertochter.
Kruppschen Arbeiterkolonie „Westend“
Der ehemalige jüdische Friedhof an der Lazarettstraße wurde von 1837 bis 1885 belegt. Bis 1923 fanden hin und wieder noch Bestattungen in Familiengräbern statt. Ein Teil der Grabsteine wurde zum jüdischen Begräbnisplatz auf dem Parkfriedhof in Huttrop überführt.
Ingo Pohlmann weiß: „Eigentlich sollte hier ein Hochbunker entstehen. Aber dazu kam es nicht.“ Gegenüber stand das Kruppsche Lazarett. Alfred Krupp ließ zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges Lazarettbaracken für die Pflege und Genesung verwundeter Soldaten einrichten. Die wurden zu einem richtigen Krankenhaus erweitert, das im Zweiten Weltkrieg zerstört und dann in Rüttenscheid neu gebaut wurde.
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Pohlmann weist auf einen höchst unspektakulären Deckel im Boden: „Hier geht es 484 Meter runter. Das ist der Schacht der Zeche Hoffnung, mit einem Stahlbetonpfropfen verstopft. Ein Rohr bleibt, damit man notfalls Beton nachkippen kann.“ Im heutigen Gewerbegebiet Westendhof stand ab dem Jahre 800 der Hof Ehrenzell, der 966 in einer Schenkungsurkunde Kaiser Ottos I. erwähnt wurde. Auch von der ältesten Kruppschen Arbeiterkolonie „Westend“ steht nichts mehr: „Da wollte 1863 zunächst keiner drin wohnen, weil es keine Gärten gab. Also wurden einfach Leute zwangsverpflichtet, dort zu wohnen.“
Stammhaus der Familie Krupp
Ingo Pohlmann und seine Gruppe sind beim sogenannten Stammhaus der Familie Krupp gelandet. Helene Amalies Enkel Friedrich gründete 1811 mit seinem Anteil an Großmutters Erbe die Firma „Friedrich Krupp zur Verfertigung des Englischen Gussstahls und aller daraus resultierenden Fabrikationen“. Durch die Kontinentalsperre Napoleons gelangte kein Gussstahl mehr aus England nach Europa und Krupp witterte eine Marktlücke. In die Fabrik wurden mal so eben rund 30.000 Reichstaler investiert, bei nur minimalen Einkünften. Zudem stellten sich seine Teilhaber als unzuverlässig heraus. Als 1824 die finanzielle Not groß war, fiel das standesgemäße Haus am Flachsmarkt an die Gläubiger. Also zog Friedrich mit seiner Familie ins kleine Aufseher-Häuschen neben der Schmelzhütte.
Nach seinem Tod stellte sich heraus, dass das Familienvermögen durchgebracht und die Firma mit 10.000 Talern verschuldet war. Die Witwe Therese gründete mit ihrer Schwägerin Helene von Müller geb. Krupp eine neue Gussstahlfabrik und das Glück wendete sich. Der Rest ist Industriegeschichte. Das um einen Anbau erweiterte Stammhaus blieb Wohnsitz bis 1861, als die Familie in ein stattlicheres Heim auf dem Fabrikgelände zog. Ingo Pohlmann: „Einer der 242 Luftangriffe auf Essen zerstörte das Stammhaus, welches leicht versetzt wieder aufgebaut wurde.“ Jahre später siedelten die Krupps um in die herrschaftliche Villa Hügel.
Weitere Termine für Stadtteilführungen
Das Paul-Gerlach-Bildungswerk der Awo Essen bietet weitere sonntägliche Führungen mit Ingo Pohlmann an. Am 10. September geht es durch Rüttenscheid, am 12. November über das Gelände von Zollverein. Start ist jeweils um 11 Uhr, Dauer etwa zwei Stunden. Informationen und Anmeldung sind unter 0201-1897421 oder lilia.gerlach@awo-essen.de möglich.