Essen. Schockraum, Kreißsaal, Rettungswagen sind echt: In einem Trainingszentrum in Essen trainieren Ärzte, Sanitäter und Pflegekräfte den Notfall.

Der Notfallsanitäter steht unter Hochdruck: Bei dem Patienten geht es um jede Sekunde, schnellstmöglich muss er zur Klinik gebracht werden. Zum Glück ist der Schockraum in diesem Fall nur ein paar Meter entfernt, der Rettungswagen muss gar nicht gestartet werden: Im Zentrum für angewandte Notfallwissenschaft (Zanowi) in Essen-Kupferdreh werden Herzinfarkt oder Schlaganfall so realitätsnah simuliert, dass Seminarteilnehmern schon mal der Schweiß ausbricht.

„Im Fahrzeug riecht man später den Stress“, sagt Christian Gehring, der am Zanowi das Ressort „Präklinische Simulation“ leitet. Rettungswagen und Ausstattung sind echt, das gleiche gilt für den benachbarten Schockraum samt Computertomographie. Hauptstationen eines Krankenhauses liegen hier auf einer Ebene: Aufwachraum, Kreißsaal und Intensivzimmer gehören dazu.

Essener Zentrum: Simulationsphantome stellen die Patienten dar

Gearbeitet wird nicht mit Requisiten, sondern mit medizinischem Originalgerät. Nur die Patienten, die zu Schulungszwecken zahllose Untersuchungen über sich ergehen müssen, sind natürlich nicht echt. „Es handelt sich um Simulationsphantome, die es in jeder Altersklasse und mit vielen Ausstattungsmerkmalen gibt“, sagt Zanowi-Geschäftsführer Leander Thormann.

Im Schockraum des Zentrums für angewandte Notfallwissenschaft: Christian Gehring, Ressortleitung Präklinische Simulation, zeigt ein sogenanntes Simulationsphantom, an dem hier Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte trainieren.
Im Schockraum des Zentrums für angewandte Notfallwissenschaft: Christian Gehring, Ressortleitung Präklinische Simulation, zeigt ein sogenanntes Simulationsphantom, an dem hier Ärzte, Pflege- und Rettungskräfte trainieren. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

So kann man beim künstlichen Intensivpatienten einen Blasenkatheter legen oder eine Blutabnahme üben. „Vom Regieraum aus kann jemand durch das Phantom sprechen“, sagt Thormann. So entstehe ein sehr realistisches Szenario; der Seminarleiter behält das Geschehen auf den Monitoren im Blick.

„Wenn das Phantom spricht, behandeln die Teilnehmer es wie Sie oder mich“, erzählt Gehring. Sie seien in die Situation eingetaucht, schilderten Ärzte und Ärztinnen, Pflege- und Rettungskräfte. Auch weil die Simulation nah am Rettungs- und Klinikalltag ist; Stressfaktoren wie Warnsignale der Überwachungsgeräte inklusive. Anhand von Filmmaterial können die Teilnehmer ihren Einsatz dann beurteilen, selbst Versäumnisse erkennen.

Ärztliche Fehler bleiben im Trainingszentrum folgenlos

Vorteil: Hier bleiben Fehler folgenlos. Die Simulation ermögliche straffreies Probehandeln nennt das Gehring. Wie Thormann hat er seine Berufslaufbahn als Notfallsanitäter begonnen. Thormann erinnert sich an frühe Einsätze im Rettungsdienst, bei denen er lernen musste, dass mancher Behandlungsschritt im Seminarraum viel leichter ist als im engen Schlafzimmer. „Man redet immer von Patientensicherheit, doch die kann es nur geben, wenn die Mitarbeitenden sicher sind.“

Standort für Simulationstrainings

Das Zentrum für angewandte Notfallwissenschaft (Zanowi) bietet Simulationstrainings für Mediziner, Rettungs- und Pflegekräfte an, die so mehr Sicherheit in der Not- und Akutversorgung gewinnen sollen. Berufsübergreifende Trainings sollen Fehler an Schnittstellen verhindern.

Krankenhäuser können hier auch Ablauf- und Notfallpläne für Großeinsätze prüfen: Dazu wird etwa simuliert, wie die klinische Einsatzleitung die Situation bei einem Großbrand steuert.

Daneben will man sich zum Innovations- und Kompetenzzentrum für Notfallwissenschaft entwickeln und kooperiert daher mit Hochschulen, regt Forschungsprojekte an.

Das Zanowi befindet sich auf dem Energie-Campus Deilbachtal in Essen-Kupferdreh. An dem Standort wird seit Jahrzehnten mittels Simulation ausgebildet: So schult die Kraftwerkschule hier Fachkräfte an Simulatoren für fossile Kraftwerke und Kernkraftwerke.

Um das einzuüben, werde schon lange mit Simulation gearbeitet, auch an den Rettungsdienstschulen. Thormann und Gehring, die dort in Schulleitungen gearbeitet haben, sagen aber, dass die Ausstattung mitunter recht begrenzt ist. Auch wegen der hohen Kosten: Zwischen 50.000 und 100.000 Euro koste allein ein Simulationsphantom. Für eine Bildungseinrichtung oder Pflegeschule lohne sich manche Investition nicht. „Wir verstehen uns als Dienstleister, der ihnen die Simulationen anbietet.“

Rettungsfahrt wird mit der Technik wie in der Pilotenausbildung trainiert

Als einmalig betont Thormann, „dass wir den Gesamtprozess der Notfallversorgung darstellen“. Dieser beginnt bei Zanowi wie im wirklichen Leben in einer Wohnung, in der der Patient abgeholt wird. Häufig treffe man dort Kranke an, die gut auf den Besuch beim Hausarzt hätten warten können. In anderen Fällen dürfe man keine Zeit verlieren. Darum wird auch die Fahrt zur Klinik geübt, mittels Virtual Reality dargestellt. „Das ist eine Simulation wie bei der Pilotenausbildung.“

Zanowi-Geschäftsführer Leander Thormann mit einem Simulationsphantom, das einen Intensivpatienten lebensecht darstellt.
Zanowi-Geschäftsführer Leander Thormann mit einem Simulationsphantom, das einen Intensivpatienten lebensecht darstellt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Alle weiteren Schritte trainieren sie berufsübergreifend: Ein Krankenhaus schickte jüngst Ärzte, Sanitäter und Pflegekräfte zur gemeinsamen Schulung. Das stärke Wir-Gefühl und habe Eventcharakter, sagt Gehring. Vor allem aber sei es lebenswichtig, dass im Notfall nicht nur jeder seinen Job beherrsche, sondern auch Übergaben klappen. „Die meisten Probleme drohen an Schnittstellen, besonders zwischen Rettungswagen und Schockraum.“

Um jeder Berufsgruppe ein multiprofessionelles Training zu ermöglichen, stellen sie gegebenenfalls auch einen Arzt. Angehende Rettungsdienstler könnten bei Zanowi praktische Ausbildungsteile absolvieren, Hebammen üben im Kreißsaal: High-fidelity Simulator Lucina kann jederzeit eine „normale“ oder eine Risikogeburt simulieren.

Geldgeberin ermöglichte millionenschwere Einrichtung

Einen „ordentlichen, siebenstelligen Betrag“ habe das Zentrum gekostet, sagen die Gründer. Dank einer Geldgeberin – eine Medizinerin aus Hamburg – die in Vorleistung ging, konnten sie 2021 mit der konkreten Planung beginnen, dann umbauen und in diesem Jahr den Schulungsbetrieb auf dem Energie-Campus in Kupferdreh aufnehmen.

Seither kommen Intensivpfleger oder Hygienebeauftragte, bereiten sich Notfallsanitäter auf ihre Prüfung vor. Vollständig ausgelastet sei Zanowi noch nicht, sagt Gehring, aber die Buchungen stiegen stetig. Dass im September im selben Stadtteil ein weiteres Simulationszentrum eröffne, ängstige sie nicht: Dessen Profil sei anders und der Bedarf an praktischer Ausbildung hoch.

Das gelte auch für junge Mediziner, die trotz Studium und Krankenhauspraxis Respekt vor dem Einsatz in der Notaufnahme haben. Sie umwirbt Zanowi mit dem Training „Sicher in den ersten Dienst“.

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