Essen. Viele Patienten nehmen Arzttermine nicht wahr, ohne abzusagen. Ein Ärgernis, sagen auch Essener Ärzte. Was sie von einem Ausfallhonorar halten.
Arzttermine, die von Patienten nicht wahrgenommen und nicht abgesagt werden, sind für die Praxen ein wachsendes Ärgernis. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen hat dieser Tage eine „von den Kassen zu entrichtende Ausfallgebühr“ gefordert. Die Essener Ärzteschaft ist uneins, ob das der richtige Weg ist. Doch alle befragten Mediziner berichten von täglichen Terminausfällen.
Arztpraxis in Essen erhebt Strafgebühr für nicht abgesagte Termine
„Wenn wir Termine, Personal und Geräte freihalten und das wird nicht wahrgenommen, ist das sehr ärgerlich“, sagt Hausarzt Dr. Lutz Rothlübbers, der in einer Gemeinschaftspraxis in Katernberg arbeitet. Es sei auch unsolidarisch, da andere Patienten manchmal lange auf bestimmte Untersuchungen warteten. Kurzfristig sei es oft nicht möglich, Termine neu zu vergeben. Und: Bei jedem Kollegen in der Praxis fallen täglich drei bis fünf Termine aus.
Die für Essen zuständige Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNo) geht davon aus, dass im Schnitt zehn Prozent aller Arzttermine nicht wahrgenommen werden. Einzelne Ärzte verlangen daher von den Patienten die nicht erscheinen, eine „No-Show“-Gebühr. Eine Essener Praxis hat unserer Redaktion gegenüber diese Gebühr bestätigt, aber keine Details dazu genannt.
Patienten verbringen viele Stunden in Wartezimmern und Warteschleifen
Rothlübbers sieht Ausfallhonorare skeptisch: „Wir müssten ja nachweisen, dass der Termin nicht anders genutzt werden konnte und der Patient nicht abgesagt hat.“ Doch zu verlangen, dass jemand notfalls eine halbe Stunde in der Warteschleife hänge, finde er unfair.
Mit dem Hinweis auf „viele Stunden Lebenszeit in Warteschleifen und Wartezimmern“ hatten auch die Krankenkassen die Ausfallgebühr zurückgewiesen. In seiner Praxis warte man in der Spitze 20 bis 30 Minuten, sagt Rothlübbers: „Meistens bleiben wir deutlich darunter“.
Die Rüttenscheider Frauenärztin Dr. Bettina Habedank schafft in der Regel eine Wartezeit von nur einer Viertelstunde. Umso mehr ärgert sie sich, wenn Patientinnen wegbleiben und den Terminplan durcheinanderbringen. Für die Aufnahme einer Neupatientin blocke sie eine halbe Stunde. „Kommen zwei neue Patientinnen nicht, habe ich eine Stunde Leerzeit.“ Kaum möglich, die komplett nachzubesetzen.
Patientinnen, die sie noch nicht kennt, lasse sie nun erst einmal mit der Versichertenkarte in die Praxis kommen; das erhöhe die Verbindlichkeit. Wer zweimal einen Termin sausen lasse, werde bei ihr gesperrt. „Es nervt, dass viele mehrere Termine bei zig Ärzten buchen und natürlich nur einen wahrnehmen.“ Das sei die Schattenseite kommerzieller Online-Terminsysteme wie Doctolib, das sie selbst nutze – kostenpflichtig. Gäbe es ein praxistaugliches Terminsystem der Kassen, könnten darüber auch Ausfallgebühren abgerechnet werden, sagt Habedank. „Mit diesem Vorstoß hat Herr Gassen absolut recht.“
Praxen erinnern per Mail oder SMS an die Termine
Arzt muss beweisen, dass Termine nicht neu zu vergeben waren
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) teilt mit, dass sie Ärzten keine Empfehlung gebe, eine Gebühr für ausgefallene Termine zu erheben. Denn es handle sich um „einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch“ zwischen Arzt und Patient, „nicht um ein vertragsarztrechtliches Thema“.
Weiter sagt die KVNO: „Es gibt zivilrechtliche Urteile, wonach einer Ärztin/einem Arzt ein Anspruch auf Ersatz des durch eine Terminversäumung entstandenen Schadens zustehen kann, soweit ein Termin nicht rechtzeitig abgesagt sowie schuldhaft nicht wahrgenommen wurde und darüber hinaus nicht anderweitig vergeben werden konnte.“ Ärzte scheuen diesen Weg aber meist, weil sie hierzu in der Beweispflicht sind.
Die HNO-Ärztin Dr. Shabnam Fahimi-Weber hat sich viele Gedanken über eine intelligente Praxisorganisation gemacht und das Terminsystem Dubidoc entwickelt, das helfen soll, Wartezeiten zu reduzieren und Ressourcen gut zu nutzen. Per Mail oder SMS fragt das System drei Tage und einen Tag vor dem Termin, ob ein Patient kommt. Verneint der, wird der Termin freigeschaltet – und oft sofort neu vergeben.
Doch was wenn Leute einfach so wegbleiben? „Am vergangenen Mittwoch sind zwei Patienten, ohne abzusagen nicht erschienen, und wir konnten die Kapazitäten nicht nutzen.“ Dabei warteten andere sechs Monate auf den Eingriff. Zeitweise habe sie daher bei Operationen 150 Euro für grundloses Nichterscheinen erhoben. An das Geld zu kommen, habe das Team viel Zeit gekostet: „Das war mega- aufwendig und hat sich überhaupt nicht gelohnt.“
Mancher verliere den Überblick über eilig gebuchte Online-Termine
Der Kupferdreher Radiologe Dr. Karlgeorg Krüger hat eine Liste mit Patienten, denen sein Team kurzfristig freiwerdende Termine anbietet: „Aber das klappt nicht so gut, da sie nicht immer so schnell kommen können.“ Obwohl man die Patienten per SMS an die Termine erinnere, blieben täglich zwei, drei weg: Einige verlören wohl den Überblick über eilig gebuchte Online-Termine.
Wer dreimal unentschuldigt wegbleibt, wird gesperrt
Dr. Frank Paulun nutzt in seiner zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis in Frohnhausen kein digitales Terminsystem. Doch auch hier wird jeder Patient an seinen Termin erinnert: per SMS, Mail – oder sogar mit einer Postkarte. Trotzdem nähmen die Ausfälle zu. Extrem misslich sei das, wenn er eigens für eine Behandlung einen Anästhesisten bestelle: „Da nehmen wir eine Kaution von 50 Euro, um sicherzustellen, dass der Patient kommt.“ Generell gelte: Bleibe jemand dreimal unentschuldigt weg, „bekommt er bei uns keinen neuen Termin mehr – oder nur, wenn er sehr lieb bittet“.
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