Essen-Haarzopf. Anwohner in Essen-Haarzopf melden per Mängel-App einen Einbruch in ein ehemaliges Flüchtlingsheim. Die Reaktion der Stadt wirft Fragen auf.
Als Wolfgang Krämer die aufgebrochene Tür am ehemaligen Flüchtlingsheim gegenüber des Bürgerparks in Essen-Haarzopf entdeckt, greift er kurzentschlossen zum Smartphone: „Ich habe mit dem Mängelmelder der Stadt eigentlich ganz gute Erfahrungen gemacht“, sagt er. Das ist diesmal offensichtlich anders. Aber der Reihe nach.
Am 25. Juli ist Wolfgang Krämer (72), wie so oft, in seinem Quartier unterwegs. Die alten Flüchtlingsbaracken an der Straße Auf’m Bögel kennt er gut. Zum einem, weil die drei Häuser schon seit Jahren leer stehen und seitdem verrotten. Zum anderen, weil sich Krämer früher selbst aktiv um die Flüchtlinge kümmerte: „Als Übungsleiter beim Turnerbund Haarzopf habe ich damals der örtlichen Flüchtlingshilfe angeboten, mit den Kindern Fußball zu spielen.“ Dreieinhalb Jahre lang traf man sich regelmäßig in der Sporthalle des TB Haarzopf, bevor die Pandemie dem Spiel jäh ein Ende setzte.
Als der Haarzopfer den Einbruch in der mittleren Flüchtlingsruine bemerkt, schrillen bei ihm die Alarmglocken. „Die Flüchtlingsheime sind nicht eingezäunt; jeder konnte sie also betreten – auch neugierige Kinder.“ Und dies sei gefährlich, denn die Häuser seien marode und überall lägen Scherben und Müll herum. Zudem: „Man weiß nie, wen man dort antrifft.“
Nach Krämers Meldung bei der Stadt passiert lange Zeit nichts. Was er eher ungewöhnlich findet, denn wenn er beispielsweise Müll in der Botanik über die Mängelmelder-App gemeldet habe, „war die Sache oft schon zwei, drei Tage später bereinigt“. Anfang August entdeckt Krämer beim Boulespiel im Bürgerpark dann eine zerbrochene Zimmertür, die offensichtlich aus dem aufgebrochenen Flüchtlingshaus stammte und schickt eine weitere Meldung an die Stadt.
Tennisverein Rawa Haarzopf beschwerte sich über den Geruch von Marihuana
Auch Peter van der Mark war die Tür aufgefallen. Er wohnt wie Krämer seit vielen Jahren im Viertel und schaut dort oft nach dem Rechten. Auf einer Wiese im Bürgerpark hat er einen großen Leiterwagen aus Holz bepflanzt und so für einen bunten Farbtupfer gesorgt. Er berichtet von nächtlichen Besuchern im Flüchtlingshaus. „Auch andere Nachbarn haben dort Licht gesehen. Außerdem wurden Fensterscheiben im Obergeschoss zerschlagen und überall finden sich Spuren von Trinkgelagen.“
Auch andere Drogen sollen dort die Runde machen. Wolfgang Krämer: „Im Bürgerverein Haarzopf erzählte mir erst kürzlich jemand, dass sich die Tennissportler des benachbarten Tennisvereins Rawa Haarzopf zuletzt über den Geruch von Marihuana beschwerten, der vom Flüchtlingsheim zum Tennisplatz herüberzog.“
Solche Dinge seien dort leider keine Seltenheit, findet auch Tim Sommer, der mit seiner Frau Vanessa und seiner Tochter Nele (5) ganz in der Nähe wohnt: „Bedauerlicherweise feiern und trinken die Jugendlichen immer häufiger auch im Bürgerpark.“ Erst kürzlich fand Sommer wieder Einweggrills auf den steinernen Tischtennisplatten im Park. Und auch an den Parkbänken habe wieder jede Menge Müll gelegen.
Dennoch relativiert der Familienvater: „Mit den Jugendlichen selbst habe ich eigentlich gar kein Problem. Man kennt sich vom Sehen, aber keiner von ihnen würde jemand angehen oder aktiv bedrängen. Doch ihren Müll von den Partys dürften sie gerne wieder mitnehmen.“ Auch Wolfgang Krämer zeigt Verständnis: „Hier in Haarzopf gibt es eben kaum Angebote für Kinder und Jugendliche, sieht man mal von den Pfadfindern und einem Jugendtreff der Evangelischen Kirche ab.“
Allerdings gibt er zu bedenken: „Die Senioren hier im Bürgerpark können nicht so einfach mit den Jugendlichen umgehen und fühlen sich nicht wirklich wohl, wenn sie ihnen im Park begegnen.“ Und die kleine Nele gibt zu, „dass Kinder vielleicht auch Angst haben, wenn die Jugendlichen da rumstehen und Blödsinn machen“.
Rückmeldung der Stadt auf der Mängelmelder-App kommt mit Verspätung an
Umso ärgerlicher, dass die Stadt auf den Einbruch erst mit Verspätung reagiert. Während des Ortstermins mit dieser Redaktion am 8. August, als die besorgten Nachbarn die aufgebrochene Tür und die Reste der nächtlichen Partys an den Flüchtlingshäusern zeigen, erhält Wolfgang Krämer über die Mängelmelder-App die Nachricht der Stadt, dass die Tür der Flüchtlingsbaracke wieder versiegelt sei. Der Fall sei damit abgeschlossen.
Stadtsprecherin Maike Papenfuß: „Die Sicherung der Gebäude erfolgte am 27. Juli, der Abtransport der Zimmertür aus dem Bürgerpark im Anschluss.“ Für die verspätete Rückmeldung im Mängelmelder macht sie „technische Gründe“ verantwortlich und erklärt: „Der Anwohner machte im Mängelmelder am 8. August (nach dem Ortstermin; Anm. der Redaktion) erneut darauf aufmerksam, dass das Gebäude wieder offen stehen würde. Dies lässt darauf schließen, dass sich vermutlich erneut unbefugte Personen Zugang zu den Gebäuden verschafft haben.“
Stadt Essen vermutet einen zweiten Einbruch in die Flüchtlingsbaracken in Haarzopf
Die Nachbarn melden ernsthafte Zweifel an: „So ein Unsinn“, poltert Krämer los. „Ich schwöre hier Stein und Bein, dass die Tür im Flüchtlingsheim seit meiner ersten Meldung nie verschlossen war. Genau das habe ich später erneut gemeldet.“ Und auch Tim Sommer kann nur den Kopf schütteln: „Wir registrieren hier sorgfältig, was in und um die Flüchtlingshäuser geschieht und melden Probleme umgehend. Doch von diesem ominösen zweiten Einbruch hat hier niemand etwas bemerkt. Das ist schon seltsam, oder?“ Auf Nachfrage dieser Redaktion kann auch die Polizei keinen Einbruch in Haarzopf bestätigen.
Peter van der Mark: „Am 8. August fanden wir vor Ort keinerlei Hinweise darauf, dass die Tür in irgendeiner Form fachmännisch gesichert worden ist, wie die Stadt vorgibt.“ Was in der Tat verwundert, denn am 10. August wurde die Tür tatsächlich mit großen Schalbrettern verrammelt. Von ähnlichen Absperrungen war zwei Tage zuvor allerdings nichts zu sehen. Für die Nachbarn ist spätestens jetzt klar: „Die Flüchtlingsbaracken müssen weg – und zwar möglichst schnell.“
Die Allbau GmbH hatte Pläne für Mietwohnungen auf dem Areal vorgelegt
Wie geht es mit den Flüchtlingsbaracken in Essen-Haarzopf weiter? Diese Frage bewegt nicht nur die Anwohner, sondern auch die Stadt als Grundstückseigentümer.
Zuletzt gab es Pläne der Allbau GmbH, die das Gelände von der Stadt erwerben wollte, um dort drei Häuser mit insgesamt rund 30 Mietwohnungen zu errichten. Doch die Sache scheiterte an baurechtlichen Belangen.
Was dies im Einzelnen bedeutet, erläutert Stadtsprecherin Maike Papenfuß auf Nachfrage dieser Redaktion: „Die ursprüngliche Planung der Allbau GmbH war nicht genehmigungsfähig, da sie nicht mit dem rechtsverbindlichen Bebauungsplan Auf´m Bögel/Raadter Straße im Einklang stand.“ So seien bei der Planung beispielsweise die im Bebauungsplan festgesetzten Baufelder überschritten worden, zum anderen auch die zulässige Geschossflächenzahl, sprich ortsübliche Bauhöhe.
Doch die Pläne sind – zumindest aus Sicht der Kommune – noch nicht komplett vom Tisch. Hoffnung auf eine Realisierung des Allbau-Projektes macht die erst im Januar 2023 aufgrund des Baulandmobilisierungsgesetzes in Kraft getretene „Verordnung zur Bestimmung von Gebieten in NRW mit einem angespannten Wohnungsmarkt“ – kurz Baulandmobilisierungsverordnung NRW. Diese eröffne auch der Stadt Essen die Möglichkeit, von ursprünglichen Bauplanungen in Teilen abzuweichen, so dass beispielsweise Baufelder überschritten werden könnten.
Laut Stadt liegt die Entscheidung derzeit bei der Allbau GmbH
„Vor diesem Hintergrund wurden die Pläne der Allbau GmbH erneut von der Stadt geprüft“, so die Stadtsprecherin weiter. Aufgrund der bereits vorliegenden, grundsätzlich positiven Beurteilungen der Planungsverwaltung seien im Anschluss bereits weitere Gespräche mit der Wohnungsgesellschaft geführt worden, um abzuklären, ob diese ihre ursprünglichen Planung beibehalten oder eine Anpassung vornehmen werde.
Laut Stadt liegt der Ball nun also bei der Allbau GmbH, wobei die Bebauung möglicherweise auch an wirtschaftlichen Überlegungen scheitern könnte. Erst wenn eine Entscheidung gefallen sei, könnten „im Anschluss weitere Schritte eingeleitet werden“, erklärt Papenfuß. „Sollte sich die Allbau GmbH gegen die Bebauung entscheiden, kommt eine alternative Vermarktung in Betracht.“ Wie diese aussehen könnte, darüber schweigt sich die Stadt derzeit noch aus.
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