Rüttenscheid. Der Essener Beginenhof in Rüttenscheid wird 15 Jahre alt. Die Bewohnerinnen laden alle Interessierten ein, das Projekt näher kennenzulernen.
Als im November 2007 die ersten Neubeginen Susanne Trappe und Renate Schröer an die Goethestraße zogen, gab es nicht überall fließend Wasser, manche Wohnungstür war nicht verschließbar und ein Ende der Baustelle noch lange nicht absehbar. Bis heute wohnen die beiden Frauen hier, und es hat sich viel getan seit dem Wandel vom Finanzamt Süd zum Beginenhof. Am 13. August feiert das besondere Essener Wohnprojekt sein 15-jähriges Bestehen.
Auch Ulrike Friebel und Ilse Timmer gehörten zu den ersten Bewohnerinnen. Sie zogen im Dezember 2007 in ihre Wohnung im Erdgeschoss – „nach längerem Bangen, ob die Handwerker, die es sich in unserer Wohnung gemütlich gemacht hatten, endlich raus wären“, wie Ulrike Friebel erzählt. In einem Sondereinsatz der Beginen-Gemeinschaft hatten die Frauen die fünfschichtige Tapete der ehemaligen Hausmeisterwohnung abgekratzt.
Beginenhof Essen: 24 Wohnungen und 14 Appartements für Frauen
In den nächsten Monaten zogen weitere Frauen ins Haus, 24 Wohnungen sowie 14 Appartements für betreutes Wohnen waren entstanden, wo vorher das Finanzamt für den Stadtsüden lag, das noch die preußische Finanzverwaltung 1927 dort errichtet hatte. Zur fast schon einschüchternden, strengen Architektur ließ der Investor auf Wunsch der Frauen bunte Balkone anbringen, um Farbe und Wohlfühlfaktor ins Haus zu bringen. Es entstanden ein Veranstaltungssaal, ein gemeinsames Wohnzimmer, ein Märchenzimmer, ein Raum der Stille.
Viele der Erstbeginen leben noch immer in dem Hof, einige sind neu dazugekommen, die jüngste Bewohnerin ist acht Jahre alt, die älteste 97 Jahre. Dass dieses Wohnprojekt – ein Haus mit und für Frauen, in dem Männer willkommen sind, aber nicht leben dürfen – überhaupt umgesetzt wurde, ging auf die Initiative von Waltraud Pohlen und Ute Hüfken zurück, die zwölf Jahre lang Überzeugungsarbeit leisteten und nach der geeigneten Immobilie suchten.
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Die Beginen entstanden als alternative Form der religiösen Lebensgemeinschaft für Frauen im 13. Jahrhundert. Heute spielt Spiritualität zwar immer noch eine große Rolle, aber nicht jede Frau im Haus ist gläubig, vielmehr steht die Gemeinschaft im Fokus, das Miteinander, in dem so manche tiefen Halt und enge Freundschaft findet.
Essener Beginenhof ist längst mehr als ein Wohnprojekt für Frauen
Dabei ist der Beginenhof längst mehr als ein Wohnprojekt für Frauen, er ist ein offenes Haus im Stadtteil, auf der Grenze zwischen Rüttenscheid und Holsterhausen, für Kulturangebote und Kurse, für Nachbarschaftstreffen und kleine Gewerbeeinheiten. 2012 wurde das Haus von der Allbau GmbH übernommen, mit ihrer Unterstützung eröffnete 2014 das Machwatt als Begegnungscafé. 2017 wurde im Rahmen der Grünen Hauptstadt eine Bank auf dem Vorplatz aufgestellt, die nur selten leer bleibt. Als die Corona-Maßnahmen die Menschen in ihre Wohnungen zwangen, sangen die Beginen auf ihren Balkonen – und die Nachbarschaft stimmte mit ein.
2017 haben die Bewohnerinnen des Essener Beginenhofs den Engagementpreis des Landes Nordrhein-Westfalen bekommen, 2021 folgte der Deutsche Nachbarschaftspreis, im Jahr darauf der Gewinn des Gesunde-Nachbarschafts-Wettbewerbs der AOK.
Mit dem Preisgeld wollten die Frauen Gutes tun, ein wenig Glück verschenken. So haben sie im Februar erstmals den Glückstag veranstaltet und mit der Unterstützung zahlreicher Essener Kulturinstitutionen Frauen, die ihren Kulturhunger aus eigenen Mitteln nicht stillen können, Eintrittskarten zu Konzerten, Theaterstücken und Varieté-Aufführungen geschenkt. Der nächste Glückstag im Machwatt ist bereits in Planung und findet am 12. November statt.
Die Autorin lebt selbst mit ihren beiden Kindern im Beginenhof.