Essen. Speiseröhrenkrebs wird häufig zu spät entdeckt und ist dann tödlich. Eine Patientin aus Essen und ihr Arzt sagen, welche Warnsignale es gibt.

An das erste nicht zu ignorierende Alarmsignal ihres Körpers erinnert sich Liane Beck genau: „Ich hatte heftige Schluckbeschwerden. Es fühlte sich an, als steckte ein hartgekochtes Ei in meinem Hals.“ Schon zuvor war ihr das Schlucken schwerer gefallen, doch anfangs habe sie das nicht so stark bemerkt. Ernst nehmen solle man Schluckstörungen in jedem Fall, mahnt Prof. Dr. Marco Niedergethmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Alfried-Krupp-Krankenhaus Essen: „Wenn feste Speisen nicht mehr ,durchrutschen’, kann das ein Symptom für Speiseröhrenkrebs sein.“

Liane Beck ging nach der schmerzhaften Schluck-Erfahrung im Jahr 2018 sofort zu ihrer Hausärztin, die eine Magenspiegelung veranlasste. Dabei wurde Speiseröhrenkrebs festgestellt und die Patientin umgehend ans Krupp-Krankenhaus überwiesen. „Dann ging alles so schnell, dass ich nicht viel Zeit zum Nachdenken hatte“, erinnert sich die heute 73-Jährige. Erst wurde sie mit einer Strahlen- und Chemotherapie behandelt; vier Wochen danach operiert.

Aus dem Magen wird eine Ersatzspeiseröhre gebildet

„Der Tumor war nicht groß, aber schon in tiefere Wandschichten eingewachsen“, sagt Prof. Niedergethmann. Daher musste die Speiseröhre entfernt werden. Aus dem Magen wurde dann ein schmaler Schlauch als Ersatzspeiseröhre gebildet und mit dem Rest der ursprünglichen Speiseröhre verbunden. Der Chirurg führte den komplexen Eingriff minimalinvasiv durch. Das sei schonender, dauere allerdings fünf bis sechs Stunden.

Deutlich schneller lasse sich die Operation durchführen, wenn man den Brustkorb öffne. „Das ist aber ein riesiger Eingriff.“ Auch werde dabei der rechte Lungenflügel zeitweise nicht belüftet, so dass er zusammenfalle: So gelange der Operateur besser an die Speiseröhre. Nur: Nach dem Eingriff treten öfter Lungenkomplikationen auf. „Bei der minimalinvasiven OP bleiben beide Lungenflügel belüftet. Dadurch haben diese Patienten viel seltener Lungenentzündungen.“

Patientin kann heute wieder alles essen

Körperlich belastend ist auch der minimalinvasive Eingriff. „Ich bin davor viel gelaufen, weil man mir geraten hat, dass ich mich fit halten soll“, erzählt Liane Beck. Direkt nach der OP habe die Physiotherapie begonnen. So kam die pensionierte Grundschullehrerin für Sport und Englisch schnell wieder auf die Beine und unterschritt sogar die normale Verweildauer von zwei Wochen um ein paar Tage.

Nach Absetzen der Schmerzmittel habe sie anfangs heftige Schmerzen gehabt, wie sie aber auch nach anderen OPs auftreten. „Außerdem war das Essen ein halbes Jahr lang recht eingeschränkt: Sowas wie Heringssalat ging gar nicht.“ Auch stellte sie sich (bis heute) von drei großen Mahlzeiten am Tag auf fünf kleine um. In der Umstellungsphase nahm sie stark ab: von vorher 62 auf nur noch 48 Kilogramm. Sie bekam darum zeitweise kalorienreiche Astronautennahrung, um zuzulegen. Auch fünf Jahre später ist Liane Beck sehr schlank, hat aber ein gesundes Körpergewicht.

„Die Kunst des Eingriffs ist, nicht nur die Tumorfreiheit zu erreichen, sondern die Lebensqualität wiederherzustellen“, sagt Prof. Dr. Marco Niedergethmann vom Alfried-Krupp-Krankenhaus über die minimalinvasive Entfernung der Speiseröhre.
„Die Kunst des Eingriffs ist, nicht nur die Tumorfreiheit zu erreichen, sondern die Lebensqualität wiederherzustellen“, sagt Prof. Dr. Marco Niedergethmann vom Alfried-Krupp-Krankenhaus über die minimalinvasive Entfernung der Speiseröhre. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Das Schlucken bereitet ihr heute keinerlei Probleme mehr, sie esse nur langsamer als früher. Und: Eine normale Portion im Restaurant schaffe sie nicht: „Da isst mein Mann den Rest.“ Insgesamt habe seine Patientin sehr gut auf die Behandlung angesprochen, sagt Marco Niedergethmann, der sie einmal im Jahr zur Nachuntersuchung sieht. „Die Kunst des Eingriffs ist, nicht nur die Tumorfreiheit zu erreichen, sondern die Lebensqualität wiederherzustellen.“ Bei der 73-Jährigen ist das gelungen: „Ich habe die total wiederbekommen.“

Die besten Erfolgsaussichten gebe es bei Speiseröhrenkrebs mit der „multimodalen Therapie“, also der Kombination von Strahlen- und Chemotherapie mit der Operation, so Niedergethmann. Ob der Eingriff möglich sei, hänge von Alter und Allgemeinzustand des Patienten sowie von der Größe des Tumors ab.

Operation sollte in spezialisierten Zentren erfolgen

Auch nach der OP liege die Sterblichkeit im bundesweiten Durchschnitt noch bei sechs bis zehn Prozent. Dieser Wert beziehe sich auf alle Eingriffsarten und auf sämtliche Klinikstandorte. Sehe man sich nur spezialisierte Zentren mit hohen Fallzahlen an, sei die Quote niedriger. „Wir kommen hier auf eine Sterblichkeit von unter zwei Prozent nach einer Speiseröhrenentfernung.“ Er habe die Operation in den vergangenen zehn Jahren gut 200 mal gemacht. Auch Patienten aus dem nördlichen Ruhrgebiet oder vom Niederrhein kämen dafür nach Essen.

Zum Erfolg trage bei, dass das Krupp-Krankenhaus auch ein Pankreaszentrum hat: So stehe rund um die Uhr ein großes viszeralchirurgisches Team bereit, falls es etwa zu Komplikationen komme. Dass die geplante Krankenhausreform den Kliniken eine hohe Spezialisierung für bestimmte Krankheitsbilder abverlangen will, findet der Mediziner nur logisch: „Das ganze Setting muss stimmen.“

In der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Essen-Rüttenscheid lassen sich auch Patienten aus dem nördlichen Ruhrgebiet oder vom Niederrhein operieren.
In der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Alfried-Krupp-Krankenhaus in Essen-Rüttenscheid lassen sich auch Patienten aus dem nördlichen Ruhrgebiet oder vom Niederrhein operieren. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

>>> Häufiges Sodbrennen kann auf Speiseröhrenkrebs hinweisen

Hauptursache für Speiseröhrenkrebs ist das Rauchen, auch Patientin Liane Beck sagt, dass sie früher geraucht habe. Daneben gelten Übergewicht und starker Alkoholkonsum als Risikofaktoren. Um erst gar nicht an Speiseröhrenkrebs zu erkranken, helfe am besten eine Lifestyle-Änderung, sagt Prof. Dr. Marco Niedergethmann, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Alfried-Krupp-Krankenhaus.

Die Überlebensaussichten bei Speiseröhrenkrebs sind relativ ungünstig, weil er oft erst in einem späten Stadium entdeckt wird. Niedergethmann rät daher, Warnsignale ernst zu nehmen: Mögliche Symptome für ein Ösophaguskarzinom sind Schmerzen hinter dem Brustbein, Räuspern, Heiserkeit sowie Schluckbeschwerden. Sie sollten ärztlich abgeklärt werden. Denn im Frühstadium lasse sich die Tumorerkrankung gut behandeln.

Auch häufiges und schweres Sodbrennen kann ein möglicher Hinweis auf Speiseröhrenkrebs oder eine Krebsvorstufe sein und sollte daher Anlass für einen Arztbesuch sein. Habe eine medikamentöse Therapie – etwa mit Säureblockern – keine Wirkung, müsse eine Magenspiegelung gemacht werden: Oft zeige sich dann, dass es sich bei dem vermeintlich harmlosen Sodbrennen um eine Refluxerkrankung handle. Diese greift die Speiseröhre an und kann so das Krebsrisiko erhöhen. Weil die Menschen in westlichen Ländern zu viel und zu ungesund essen, steige die Zahl der Betroffenen seit Jahren, sagt Prof. Niedergethmann: „Reflux entwickelt sich immer mehr zur Volkskrankheit.“

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