Essen. Viele Patienten können nur in ihrer Muttersprache über ihr Befinden sprechen. Also bietet die LVR-Universitätsklinik Therapie mit Übersetzung an.

Die einen finden keinen Schlaf, andere verstecken sich unter dem Pult, wenn sie ein lautes Geräusch hören, andere werden aggressiv oder greifen zu Drogen. Viele Jugendliche, die hierher geflüchtet sind, kämpfen mit psychischen Problemen. Das LVR-Uniklinikum in Essen hat eine Sprechstunde für junge Flüchtlinge eingerichtet, die gut angenommen wird: „Wir haben so viele Anfragen, dass man mit drei Monaten Wartezeit auf den ersten Termin rechnen muss“, sagt Kinder- und Jugendtherapeutin, Jasmin Agethen.

Schon im Jahr 2015, als fast eine Million Flüchtlinge ins Land kamen, stellte sich das LVR-Klinikum auf die neue Klientel ein. Damals wurden viele der unbegleiteten Jugendlichen von ihren Betreuern in den Wohngruppen an die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters vermittelt. Mitunter kamen sie mit großen Unbehagen: Sie seien doch nicht verrückt.

Essener Klinik bietet Flüchtlingssprechstunde an

In der Sprechstunde erfahren die Kinder und jungen Erwachsenen bis 21, dass es völlig normal ist, wenn sie auf ihre Erfahrungen im Krieg oder auf der Flucht mit Angst, Trauer, Depression reagieren. „Wir erklären ihnen auch, dass es uns erstmal ums Zuhören und Nachfragen geht, sagt Psychologin Agethen.

Denn manche sind misstrauisch, weil sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erlebt haben, dass die Anhörenden ihnen nur bedingt Glauben schenken, ihre Berichte auf Widersprüche abklopfen. „Ich sage ihnen dann: ,Ich glaube, was Du mir erzählst.’“

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leiden oft unter ihren Kriegs- und Fluchterfahrungen.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge leiden oft unter ihren Kriegs- und Fluchterfahrungen. © Funke | STEFAN AREND

Allerdings erkläre sie den jungen Klienten auch, dass sie nicht über den Ausgang des Asylverfahrens entscheide. In Einzelfällen könne sie aber eine Stellungnahme für das BAMF schreiben, in der sie aufzeigt, welche Folgen eine Abschiebung für einen traumatisierten jungen Menschen haben könne; etwa weil es in seinem Heimatland keine gute psychiatrische Versorgung gebe.

LVR-Klinik: Flüchtlings-Sprechstunde und Instituts-Ambulanz

Das Team der Flüchtlings-Sprechstunde der Kinder- und Jugendpsychiatrie hilft Kindern und Jugendlichen bei Problemen in der Schule, im Kindergarten, in der Familie, bei Schwierigkeiten im Alltag in Deutschland, bei der Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse oder in Notfall-Situationen.

Kontakt: LVR-Klinikum Essen, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Wickenburgstraße 21, Essen, 0201 8707-450. E-Mail für therapeutische Fragen: E-Mail für organisatorische Fragen:

Das Team der allgemeinpsychiatrischen Instituts-Ambulanz (Virchowstraße 174), bietet qualifizierte Diagnostik, Beratung und Behandlung für das gesamte Spektrum psychischer Erkrankungen. Kontakt unter: 0201-7227-265 oder per Mail an:

Der Run auf die Sprechstunde sei weiter groß, sagt Agethen. Pro Monat habe sie etwa acht Neuvorstellungen. Und nicht nur junge Flüchtlinge brauchen psychologische Hilfe, ergänzt Francesco Peulen, Diversity- und Integrationsmanager der LVR Uniklinik. „Seit Jahren steigt der Bedarf an ambulanten und stationären Therapien für Migranten – mit oder ohne Fluchtgeschichte.“

Sprachmittler begleiten Therapien und Telefonate

Größte Herausforderung sind dabei die Sprachbarrieren. „Manche leben schon seit 30 Jahren hier und können sich im Alltag gut verständigen“, sagt Francesco Peulen. „Aber wenn sie sich differenziert über ihr Gefühlsleben äußern sollen, brauchen sie einen Sprachmittler.“ Das sind in der Regel Landsleute, die fließend zweisprachig sind und für ihre Einsätze geschult werden.

„Wenn Jugendliche hochbelastet sind, können sie keine Sprache lernen – da ist das Gehirn mit anderem beschäftigt“, sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin Jasmine Agethen.
„Wenn Jugendliche hochbelastet sind, können sie keine Sprache lernen – da ist das Gehirn mit anderem beschäftigt“, sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin Jasmine Agethen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die LVR-Klinik arbeitet mit drei Dolmetscher-Diensten. Da gibt es Sprachmittler, die Telefonate übersetzen, und andere, die Gruppentherapien begleiten. „Manche Patienten könnten daran sonst nicht teilnehmen, weil sie sich nicht richtig beteiligen könnten“, so Peulen.

Man gewöhne sich erstaunlich schnell an das Setting, sagt Jasmin Agethen. „Außerdem kann ich die Sprachmittler schon mal fragen, welches Sprachniveau ein Jugendlicher in seiner Muttersprache hat.“ Bei Teenagern mit Schulproblemen könne das schon ein wichtiger Hinweis sein, manche hätten eine geringe Vorbildung oder in ihrer Heimat nie eine Schule besucht.

Viele junge Flüchtlinge haben in ihrem Heimatland nie eine Schule besucht.
Viele junge Flüchtlinge haben in ihrem Heimatland nie eine Schule besucht. © Michael Korte

Andere tun sich schwer, Deutsch zu lernen, weil sie depressiv sind oder unter Ängsten leiden. „Wenn Jugendliche hochbelastet sind, können sie keine Sprache lernen – da ist das Gehirn mit anderem beschäftigt.“ Ihnen zu helfen, sei also auch Voraussetzung für eine gelingende Integration. Und: Je früher sie die Hilfe bekommen, desto besser. Sonst könne Verzweiflung in Regelverstößen und Aggression ihren Ausdruck finden. Zumal es manchem ohnehin schwerfalle, eine Heimordnung zu befolgen. „Wer anderthalb Jahre auf der Flucht war, versteht nicht, warum er plötzlich um 20 Uhr zu Hause sein soll.“

Da die Kommunikation nicht allein an Sprachhürden scheitern kann, sondern auch an kulturellen Unterschieden, bietet Integrationsmanager Peulen den Kollegen und Kolleginnen der LVR-Klinik auch Schulungen an, sensibilisiert sie für Klienten aus anderen Kulturkreisen. Gerade erstelle er mit zwei arabischen Kollegen einen Info-Flyer.

Zahl der Klienten aus anderen Sprach- und Kulturkreisen steigt

Während es für Erwachsene eine gute sozialpsychiatrische Anbindung gebe, sei die Weitervermittlung der Minderjährigen mitunter schwierig. Jasmin Agethen und ihre Kollegen machen Erstgespräche, Diagnostik und erklären den Klienten, worunter sie leiden; Therapien machen sie in der Regel nicht. „Wir fungieren eher als Verteiler-System in die ambulante Betreuung.“ Doch es mangele an Therapieplätzen, und sei oft schwierig einen Kostenträger für die Dolmetscher zu finden.

Betroffene aus anderen Sprach- und Kulturkreisen werden auch künftig einen wachsenden Anteil unter den Patienten der LVR-Klinik ausmachen, denken die beiden. Aktuell seien es 200 bis 220 pro Jahr. Ganz genau lasse sich das nicht sagen, erklärt Peulen: Nicht jeder, der vor Jahrzehnten eingewandert ist und nun mit einem späten Trauma kämpfe, werde als Patient mit Migrationshintergrund erfasst.

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