Essen. In Hohlkästen der Theodor Heuss-Autobahnbrücke (A44) an der Auffahrt Überruhr sind immer wieder Tauben verendet. Tierschützer schlagen Alarm.

Die Vorwürfe des Essener Stadttauben-Vereins und des Tiernotrufs Düsseldorf gegen die Autobahn GmbH wiegen schwer. Die Tierschützer werfen dem bundeseigenen Betrieb illegale Tierquälerei vor und haben Anzeige wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz erstattet. Belastendes Foto- und Videomaterial liegt dieser Redaktion vor. In einer Stellungnahme der Autobahn GmbH von Freitag (21. Juli) heißt es: „Die verendeten Tauben, die im Video des Tiernotruf e. V. zu sehen sind, tun auch uns sehr leid.“ Zugleich betont die Autobahn GmbH, man möchte sicherstellen, „dass auf unseren Baustellen zu keiner Zeit Tiere in Gefahr sind oder zu Schaden kommen“.

Alarmiert durch die Tierschützer hatte sich auch das Veterinäramt der Stadt Essen eingeschaltet und die Autobahn GmbH ultimativ aufgefordert, mutmaßliche Missstände abzustellen. „Das Veterinäramt behält sich vor, Strafanzeige zu erstatten“, sagte Stadtsprecherin Silke Lenz am Freitagmorgen.

Stadt Essen reagiert: „Das Veterinäramt behält sich vor, Strafanzeige zu erstatten“

Lebensgefährliche Falle: Tauben haben sich in den Hohlkästen der Theodor-Heuss-Brücke (A44) in den Netzen verheddert.
Lebensgefährliche Falle: Tauben haben sich in den Hohlkästen der Theodor-Heuss-Brücke (A44) in den Netzen verheddert. © Tiernotruf Düsseldorf
Glück gehabt: Tierretter befreien diese hilflose Taube aus der lebensgefährlichen Falle.
Glück gehabt: Tierretter befreien diese hilflose Taube aus der lebensgefährlichen Falle. © Tiernotruf Düsseldorf

Die A44-Auffahrt Überruhr an der Langenberger Straße in Fahrtrichtung Velbert: Der Essener Tierschützer Dustin Tanallari, Mitglied des Vereins Stadttauben, steht an diesem Freitagmorgen unter der Theodor-Heuss-Brücke und hält eine schwächlich wirkende Jungtaube in seinen schützenden Händen. „Sie ist höchstens acht Wochen alt und allein nicht überlebensfähig“, sagt der 25-Jährige.

Der junge Tierschützer war es, der mutmaßliche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz wohl als erster aufgedeckt hat. Die Hohlkästen der A44-Brücke sind ein bevorzugter Lebensraum für Stadttauben, sie sind teilweise so groß wie Doppelgaragen und ideale Nistplätze.

Tierschutzgesetz §1: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“

Auf der Baustelle unter der A44 ist deutlich die Öffnung zur Brücke zu sehen.
Auf der Baustelle unter der A44 ist deutlich die Öffnung zur Brücke zu sehen. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Nach Angaben der Autobahn GmbH wird die Theodor Heuss-Brücke saniert und verstärkt. Zu Beginn der Bauarbeiten hätten sich zahlreiche Tauben in den Hohlkästen aufgehalten und genistet. Weil Taubenkot jedoch ein aggressiver Gefahrstoff für die Bauarbeiter sei, habe eine beauftragte Fachfirma mit der Vergrämung der Tauben begonnen. Dazu seien Netze gespannt worden.

Dustin Tanallari, von Beruf Dachdecker, berichtet, dass er im März Rat und Hilfe angeboten habe. Vor etwa drei Wochen, Anfang Juli, habe er eine grausige Entdeckung in den Hohlkästen gemacht: „Tauben hatten sich in den Netzen verheddert und einige waren auf qualvolle Weise verhungert und verdurstet.“

Die Autobahn GmbH stellt die Angelegenheit so dar: Einem Mitarbeiter sei nach Beginn der Bauarbeiten aufgefallen, dass sich eine Taube in den Netzen verfangen habe. Daraufhin habe die Autobahn GmbH die Netze durch die Fachfirma nachbessern lassen. „Danach wurde keine weitere Tauben in den Netzen vorgefunden“, behauptet die Autobahn GmbH.

Außerdem sei es von Mitte Mai bis Mitte Juli nicht möglich gewesen, den Hohlkasten zu betreten. Der Grund: Die Deutsche Bahn, deren Bahnlinie (z. B. S9) direkt unterhalb der Autobahnbrücke verläuft, habe für das Baugerüst ein Betretungsverbot ausgesprochen. Die Erdung des Gerüsts sei fehlerhaft montiert gewesen, so dass wegen der Nähe zu den Hochspannungsleitungen der DB Lebensgefahr bestanden habe. Bei der Autobahn GmbH sei man aber davon ausgegangen, dass die Vergrämung der Tauben im Sinne des Tierschutzes vonstatten gehen würde. Das war aber ganz offenbar nicht der Fall, wie das belastende Bildmaterial des Tiernotrufs Düsseldorf zeigt.

Tierschutzgesetz §1: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“

Die Tierschützer haben nach Entdeckung der verendeten Tauben Alarm geschlagen und Anzeige erstattet. „Wegen des mutmaßliches Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz“, wie Stefan Bröckling vom Tiernotruf Düsseldorf betont. In §1 heißt es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Genau das ist aber nach Ansicht der Tierschützer passiert.

Auf der Baustelle unter der Theodor-Heuss-Brücke sitzt am Freitagmorgen (21. Juli) eine Taube auf dem Baugerüst.
Auf der Baustelle unter der Theodor-Heuss-Brücke sitzt am Freitagmorgen (21. Juli) eine Taube auf dem Baugerüst. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Anstatt die Netze straff zu spannen und die Tauben dadurch wirksam abzuweisen, so ihr Vorwurf, soll die für die Vergrämung verantwortliche Firma die Netze unfachmännisch aufgehängt und womöglich lebensgefährliche Fallen daraus gemacht haben. „Ich war vor wenigen Tagen erst nachts in den Hohlkästen und habe wieder verendete Tauben entdeckt“, berichtet Tanallari.

Einmal hätten sogar acht tote Tauben in den Netzen gehangen. In einigen Fällen sei die Hilfe immerhin rechtzeitig gekommen. „Einige Tauben haben wir lebend gerettet, aber die Verletzungen sind so schwer, dass sie nie mehr fliegen können.“ Der Essener Tierschützer behauptet, immerhin einen Teil der gefährlichen Netze, etwa 20 an der Zahl, eigenhändig abgehängt und entfernt zu haben. Erwachsene, gesunde Tauben ringen etwa eine Woche mit dem Tode, Jungtiere hingegen würden schon nach drei Tagen verenden.

Tierretter nehmen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs in Kauf

Das beherzte Vorgehen der Tierretter in Essen ist nicht unproblematisch. Denn sie haben verbotenerweise Baugerüste betreten und möglicherweise Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung begangen. Dafür riskieren sie, selbst angezeigt und obendrein mit Bußgeldern belegt zu werden. Dustin Tanallari ist sich darüber im Klaren, dass er Grenzen überschreitet. Aber er sieht sich moralisch im Recht: „Tierleben zu schützen geht vor Hausfriedensbruch.“ Dass Stadttauben vielfach als „Ratten der Lüfte“ geächtet werden, ärgert ihn maßlos. Sein Leitspruch lautet: Die Welt gehört nicht nur uns Menschen, sondern allen Lebewesen.“

Am Freitagmorgen spitzte sich die Lage zwischenzeitlich dramatisch zu, denn das Essener Veterinäramt hatte eine Frist gesetzt. „Die Autobahn GmbH hatte die Möglichkeit, die Netze bis 9 Uhr heute Morgen zu entfernen, das ist bislang nicht erfolgt“, teilte Stadtsprecherin Silke Lenz am Freitagmorgen mit.

Um ein Haar hätte die Stadt sogar die Feuerwehr rausgeschickt, um die Netze zu entfernen. Doch so weit kam es nicht mehr. Gegen Mittag, so die Autobahn GmbH, habe ein Fachunternehmen in Anwesenheit des Veterinäramtes die umstrittenen Netze entfernt.

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