Essen. Pflanzen, die am Wegrand wachsen, können Heilwirkung haben. Das erläutert die Biologin Ursula Stratmann bei ihren Kräutertouren. Wir waren dabei.

  • Viele heimische Kräuter sind essbar, einige können heilende Wirkung haben.
  • Biologin und Kräuterexpertin stellt die Pflanzen bei speziellen Touren vor.
  • Teilnehmerinnen in Essen-Heisingen erfuhren interessante Details zur Flora am Baldeneysee.

Gänseblümchen, Veilchen, Stiefmütterchen, Glockenblume und Fuchsie sind nur schön anzusehen? Weit gefehlt. Was Garten, Wiese oder Straßenrand ziert, kann oft auch auf den Teller – als farbenfroher Hingucker oder Vitaminlieferant. Warum Kräuter und vermeintliches Unkraut manchmal sogar gesundheitliche Probleme lindern können, erfuhren die Teilnehmerinnen einer Kräutertour am Baldeneysee in Essen-Heisingen.

Die Diplom-Biologin, Kräuterfachfrau und Buchautorin Ursula Stratmann bietet seit 13 Jahren Kräutertouren an – aktuell unter dem Motto „Die wilde Apotheke am Baldeneysee“. Dabei erklärt sie, welche Pflanzen gegen welche Wehwehchen helfen, warum Kräuter zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen können und wie man sie in der Küche nutzen kann.

Teller mit Brotstücken mit selbst gemachter Kräuterbutter und essbaren Blumen hatte Biologin Ursula Stratmann für die Teilnehmerinnen vorbereitet.
Teller mit Brotstücken mit selbst gemachter Kräuterbutter und essbaren Blumen hatte Biologin Ursula Stratmann für die Teilnehmerinnen vorbereitet. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Zur Begrüßung reicht Ursula Stratmann liebevoll angerichtete Teller mit Brotstücken herum – mit selbst gemachter Kräuterbutter, verziert mit essbaren Blüten. Hunde sind bei ihren Kräuterspaziergängen nicht erwünscht. Denn deren Hinterlassenschaften seien ein Problem beim Sammeln von Pflanzen am Wegesrand. „Eigentlich sollte man Kräuter nämlich nicht waschen, um sie nicht ihrer wertvollen Inhaltsstoffe zu berauben“, erläutert die 64-Jährige und beruhigt gleichzeitig: „Der Fuchsbandwurm, vor dem viele Angst haben, ist hier eigentlich kein Thema.“

Die Kräuter-Tour führte zum Ufer des Baldeneysees in Essen

Die Teilnehmerinnen – an diesem Pfingstmontag ist die Gruppe überschaubar – bekommen zwei abwechslungsreiche Stunden geboten, gespickt mit Informationen. Zum Nachlesen von Namen, Nährwerten, Literatur und Rezepten bekommt jede ein kleines Heftchen. Und einen Fragebogen.

Die Frauen sollen ankreuzen, welche Blüten giftig und welche essbar sind. Die erstaunliche Erkenntnis: Viel mehr Blüten als gedacht sind essbar. Oder haben einen anderen Nutzwert. Wie die riesigen reißfesten, aber flauschig-weichen Blätter der großen Klette. Die kann man im Notfall als Toilettenpapier verwenden, ebenso wie den stumpfblättrigen Ampfer, der zudem bei Sonnenbrand kühlt.

Ein Blick ins Gebüsch lohnt sich: Dort finden sich oft essbare Pflanzen, die teils Heilwirkung haben, erfuhren die Teilnehmerinnen des Rundgangs.
Ein Blick ins Gebüsch lohnt sich: Dort finden sich oft essbare Pflanzen, die teils Heilwirkung haben, erfuhren die Teilnehmerinnen des Rundgangs. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Einige Teilnehmerinnen machen die Tour, um zu erfahren, welche Pflanzen giftig sind und welche nicht, anderen geht es darum, altes Wissen zu bewahren. Um unbekannte Pflanzen zu bestimmen, sich über Gefahren und Nutzen zu informieren, empfiehlt Ursula Stratmann die Handy-App Flora incognita. Dort könne man Fotos der Pflanzen hochladen und erhalte dank künstlicher Intelligenz eine sichere Bestimmung.

Derzeit interessieren sich wieder mehr Menschen für die Wirkung heimischer Kräuter

Ursula Stratmann hält ein Plädoyer fürs Kräutersammeln: Was am Wegrand wachse, sei gratis, regional, frisch, vitaminreich, jederzeit pflück- und essbar, auch wenn der Supermarkt geschlossen sei. „Von rund 800 Kräutern, die hier in Essen wachsen, sind rund die Hälfte essbar und einige ersetzen sogar Medizin“, sagt sie und verweist auf Hildegard von Bingen und ihre naturheilkundlichen Erkenntnisse vor 1000 Jahren.

Vieles von dem Wissen sei im Laufe der Zeit verloren gegangen. „Vor 100 Jahren kannten die Menschen noch 200 Kräuter, heute sind es gerade mal drei.“ Aktuell kehre sich der Trend aber um, das Interesse an der Heilkraft heimischer Pflanzen nehme wieder zu. „Um Wirkung zu erzielen, reicht es allerdings nicht, gelegentlich mal einen Kräuter-Smoothie zu trinken.“ Damit die Pflanzen gegen Umweltgifte, Entzündungen, Pickel oder Fieber wirkten, müsse man sie schon regelmäßig und teils in größeren Mengen zu sich nehmen.

Anfassen erlaubt: Einige Pflanzen zeigen ihre Besonderheiten schon beim Begreifen.
Anfassen erlaubt: Einige Pflanzen zeigen ihre Besonderheiten schon beim Begreifen. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Ursula Stratmann interessiert sich seit ihrer Kindheit für Pflanzen und ihre Eigenschaften. „Ich bin quasi auf dem Bauernhof groß geworden, mit Omas Kräuterkissen, die mit Farnspitzen gegen Rheuma gefüllt waren“, blickt Ursula Stratmann zurück. „Ich konnte gar nichts anderes studieren als Biologie.“ Später habe sie eine Ausbildung zur Kräuterfachfrau absolviert, ihr Wissen im Unterricht, bei Vorträgen und Seminaren weitergegeben. Inzwischen habe sie vier Bücher geschrieben und sei hauptberuflich in Sachen Kräuter im gesamten Ruhrgebiet unterwegs, biete bis Ende Oktober über 100 Veranstaltungen pro Jahr zwischen Duisburg und Unna an.

Mal kommen drei, mal 100 Teilnehmer zu den Rundgängen

„Die Resonanz ist ganz unterschiedlich, mal kommen drei, mal 100 Leute, aber im Schnitt nehmen 20 Personen an den Touren teil, meist Frauen, aber die Männerquote steigt. Manchmal begleiten sie die Frauen, manchmal sind es Heilpraktiker, Ärzte oder Umweltmediziner, die sich für das Thema interessieren“, sagt Ursula Stratmann, die die Teilnehmerinnen auch mit Geschichten und Legenden unterhält, die sich beispielsweise um die Pflanze Gundermann und den Holunderbusch ranken.

Auf dem kurzen Rundgang in Heisingen, der vornehmlich über einen asphaltierten Parkplatz am Stauseebogen – „hier am Rand wächst eine erstaunliche Vielfalt an Pflanzen“ – und dann ein Stück am Baldeneysee entlang führt – sammeln die Teilnehmerinnen Blüten, Samen und Blätter, die sie später zum Ausbacken im Pfannkuchenteig, für Tinkturen oder zum Aufsetzen eines Likörs verwenden können. Darunter sind auch die Blüten der ansonsten giftigen und stacheligen Robinie, einem immer häufiger anzutreffenden Baum. Der stammt eigentlich aus den USA, kommt aber mit den veränderten Klimaverhältnissen hier sehr gut klar.

Ein Heftchen mit Zeichnungen, Tabellen und Rezepten hatte die Kräuterexpertin für die Teilnehmerinnen mitgebracht.
Ein Heftchen mit Zeichnungen, Tabellen und Rezepten hatte die Kräuterexpertin für die Teilnehmerinnen mitgebracht. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„25 Prozent unserer Pflanzen haben sozusagen Migrationshintergrund. Das bereichert unsere Flora und eröffnet viele neue Möglichkeiten der Anwendung“, erklärt Ursula Stratmann. Sie hat für die Gruppe nicht nur „Flöten“ aus den Stängeln des japanischen Staudenknöterichs, auch Ruhr-Rhabarber genannt, sondern auch Kompott aus der Pflanze, das alle testen können.

Japanischer Staudenknöterich wird auch Ruhr-Rhabarber genannt

In Schälchen präsentiert sie Kräuter aus dem eigenen Garten, die die Frauen durch Riechen oder Schmecken bestimmen sollen. Da wird das ein oder andere auch schon mal wieder ausgespuckt, wie der bittere Wermut. „Was bitter schmeckt, bringt den gesamten Körper auf Trab“, erklärt die Kräuterexpertin, kann die Teilnehmerinnen aber nicht überzeugen, ein zweites Mal zuzugreifen. Zum Abschluss wird es wieder leckerer und es gibt noch ein nach Gurke schmeckendes Erfrischungsgetränk aus Kletten-Labkraut, das reinigend und entgiftend wirken soll, sowie einen Schluck selbst gemachten Kräuterlikör.

Der nächste Kräuterspaziergang findet am Donnerstag, 1. Juni, 18 Uhr, auf der Brehminsel in Werden statt. Kosten: 25 Euro, Treffpunkt ist der Parkplatz an der Joseph-Breuer-Straße 30. Informationen auf www.kraeutertour-de-ruhr.de