Essen-Überruhr. Auch ein gutes Angebot schützt nicht vor schwindender Kundschaft. Die Händler auf dem Markt in Überruhr-Hinsel können ein Lied davon singen.
Der Wochenmarkt in Überruhr-Hinsel bietet ein gutes Angebot an frischen Lebensmitteln des täglichen Bedarfs, ist aber stark geschrumpft in den letzten Jahren. Freitags stehen fünf Verkaufsstände an einer Ecke des großen Platzes, dienstags sogar nur drei. Am Stand der „Obstbrüder“ sagt Händler Dieter Tischmann: „Als ich in den 1980er Jahren hier in Überruhr angefangen habe, da war es richtig voll und jede Reihe besetzt. Doch die Kundschaft stimmt mit den Füßen ab und hat sich anders entschieden.“ Dabei könne er persönlich nicht klagen: „Aktuell gehen Erdbeeren gut und unser knackiger Wildkrautsalat und natürlich Spargel.“
Christian Kaulvers und seine beiden Jungs fühlen sich sichtlich pudelwohl. Der Vierjährige und sein 16 Monate alter Bruder halten dicke Stücke Fleischwurst in der Hand, die sie bei der Metzgerei Dasenbrock bekommen haben. Ihr 36-jähriger Vater grinst: „Die beiden gehen immer satt nach Hause.“ So ein Marktbesuch sei immer auch ein soziales Ereignis: „Das ist ein schöner Familienausflug für uns. Hier bekommen wir richtig gute und frische Ware, nicht dieses Convenience-Zeugs aus dem Supermarkt. Ein Pläuschken ist auch noch drin. Man kennt sich halt.“ Kaulvers wiegt das Haupt: „Aber so richtig typisch für Hinsel sind wir natürlich nicht. Hier ist die Altersstruktur schon eine andere.“ Im Gehen gibt er noch einen Tipp: „Das arabische Cacık von Feinkost Amir ist der Hammer.“
Petra Grabe ist seit 17 Jahren Inhaberin des Fischstands: „Unsere hausgemachten Bratheringe und Bratrollmöpse werden nachgefragt, ebenso die selbst geräucherte Forelle. Jetzt kommt die Maischolle und im Juni der neue Matjes. Im Winter ist natürlich Muschelzeit. Die Kunden wünschen das jeweils Saisonale.“ Aber insgesamt werde zu wenig verkauft: „Seit 48 Jahren stehe ich auf dem Wochenmarkt und seit mindestens drei Jahren in Überruhr. Der Zuspruch ist nicht berauschend. Anfangs war es noch ok, danach flaute es aber ab.“ Konsequenzen möchte Grabe noch nicht ziehen: „Erst einmal werden wir hier bleiben. Die anderen Märkte sind auch nicht besser.“
Für den Überruhrer Markt soll ein neues Nutzungskonzept erstellt werden. Was Tischmann den Kopf schütteln lässt: „Wenn die Leute auf einem bestimmten Markt einkaufen wollen, dann tun sie das auch.“ Der Markt in Kupferdreh habe beim Umbau sogar ein jahrelanges „Exil“ überstanden: „Weil die Kunden treu geblieben sind. Ein Selbstläufer.“ In etwaigen von Politik und Verwaltung angestrebten Veränderungen sehe er keinen Sinn: „Verlegungen von Tagen und Öffnungszeiten haben nie funktioniert.“
Harald Thomanek aus Bergerhausen steht seit elf Jahren in Überruhr mit Eiern, Kartoffeln und Zwiebeln. Bei ihm gibt’s Annabelle und Cilena aus der Lüneburger Heide, dazu eine Kartoffel-Sorte aus der Pfalz. Seine Auswahl ist bewusst klein: „Lieber Klasse als Masse.“ Der 60-Jährige konzentriert sich inzwischen auch nur noch auf wenige Märkte: „Ich habe schon überall gestanden. Aber das geht heute nur noch, wenn die Kinder mitanpacken. Mein Vater wäre damals gar nicht erst losgefahren für das, was ich verkaufe.“
Der Überblick
Markttage, Erreichbarkeit und Parkplätze: Der Überruhrer Wochenmarkt an der Schulte-Hinsel-Straße ist dienstags und freitags von 8 bis 13 Uhr geöffnet. Bis zu den Bushaltestellen der Linien 144, 166 und 177 sind es keine 200 Meter. Da die wenigen Marktstände nicht viel Platz benötigen, bleibt genügend Raum fürs Parken.
Vielfalt des Angebots: Hier gibt’s mediterrane Leckereien, Kartoffeln, frischen Fisch, ausgesuchte Wurst- und Fleischwaren, dazu eine riesige Auswahl an Obst und Gemüse. Das Angebot der fünf Stände reduziert sich am Dienstag, weil es dann keinen Fisch und keine Feinkost gibt.
Andere Einkaufsmöglichkeiten: Vom Marktplatz sind es nur wenige Schritte ins Einkaufszentrum von Hinsel. Bis zum Discounter Aldi sind es auch nur 200 Meter.
Snacks und Aufenthaltsqualität: Auf dem Markt selbst gibt es nichts, aber die direkten Nachbarn Förster Backkultur und Kamps laden zu Kaffee und Snacks ein. Bei La Piazza kann man ein Eis schlecken. Der Marktplatz selbst hat aber etwas Verlorenes an sich. Was Mohammed Amine traurig findet. Der 40-Jährige bietet verschiedene aromatische Dips und Cremes und eine große Oliven-Auswahl an: „Vor 17 Jahren habe ich hier angefangen. Da standen sogar noch Händler auf einer Art Warteliste, falls jemand ausfällt. Früher war hier alles voll, jetzt kann man auf dem Platz Fußball spielen.“
Toiletten und Sauberkeit: Öffentliche Toiletten gibt es keine, die Sauberkeit sei aber nicht zu beanstanden, findet Harald Thomanek: „Wenn wir hier frühmorgens anrücken, ist alles sauber. Gehen Sie mal nach Altendorf, wenn dort gefeiert wurde.“
Preise: Wer hier mit überteuerten Preisen arbeiten würde, fände gar keine Kunden mehr. Wobei Mohammed Amine schon meint, dass die Überruhrer Kundschaft durchaus Kaufkraft mitbringe. Er drückt das diplomatisch aus: „Die Kunden hier sind alles sehr nette Leute.“ Kurze Pause: „Aber viel zu wenige.“
Ambiente und Sozialstruktur: Drumherum wurde ein wenig Ambiente geschaffen, zum Beispiel durch einen Bücherschrank mit Sitzbank. Das „Doppeldorf“ Überruhr hat aber nun mal kein gewachsenes Stadtteilzentrum. Fast jeder Dritte hier in Hinsel ist älter als 65 Jahre, im Essener Schnitt nur jeder Fünfte. Dieter Tischmann zuckt mit den Schultern: „Wir Händler und unsere Kunden sind gemeinsam alt geworden.“
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