Essen-Bochold/Gerschede. Der milliardenschwere Umbau der Emscher geht an zwei Bächen in Essen in die letzten Züge. Was Anwohner in Bochold und Gerschede erleben.
Sie wurde die Kloake des Ruhrgebiets oder auch der dreckigste Fluss Deutschlands genannt: Die Rede ist von der Emscher, sowie den einmündenden „Köttelbecken“. Zum Jahresende soll das Emschersystem komplett abwasserfrei sein. Dafür hat die Emschergenossenschaft seit 1991 fast sechs Milliarden Euro investiert. Die Menschen in Bochold und Gerschede erleben gerade die letzten Tiefbaumaßnahmen vor ihren Haustüren.
Seit mehr als 30 Jahren haben sich die aufwendigen Arbeiten zur Renaturierung des Emschersystems von der Quelle in Holzwickede quer durch das Ruhrgebiet bis zur Mündung bei Dinslaken in den Rhein gezogen. 2021 wurde die Fertigstellung dieses Mammut-Projektes verkündet, obwohl das Bernesystem mit den Zuflüssen Borbecker Mühlenbach und Pausmühlenbach zu dem Termin nicht fertiggestellt waren.
Der Grund dafür war ein Vogel: Die Wasserralle verhinderte über fünf Jahre, dass am Borbecker Mühlenbach weiter gearbeitet werden konnte. Ilias Abawi, Pressesprecher der Emschergenossenschaft: „Der schützenswerte Vogel wurde am Mittellauf des Baches nachgewiesen. Eine erste Umsiedlungsaktion verlief negativ. Erst beim zweiten Versuch gefiel dem Vogel die neue Heimat inklusive Brutstätten.“
Bauarbeiten am Borbecker Mühlenbach in Essen sorgen für Lärm
Aus diesem Grund erleben Heidi Bertelshofer und Daniela Piontek in der Erdwegstraße den Schachtbau direkt unter ihren Wohnzimmerfenstern erst jetzt. Zwei weitere Schachtbauten liegen in unmittelbarer Nähe. „Seit Jahresbeginn haben wir sehr wenig Schlaf gehabt“, berichtet Heidi Bertelshofer. „Nachdem tagsüber gebohrt und gerammt wurde, liefen auch nachts Kompressoren“ und Daniela Piontek ergänzt: „Im Winter mussten wir mit Taschenlampen vor die Tür gehen, weil die Straßenbeleuchtung abgebaut war.“ Unisono erklären die Frauen, dass sie nur selten durch fiese Gerüche belästigt worden seien, obwohl der Bach nur wenige Meter hinter der Gebäudezeile entlang fließt.
In Sachen Gestank ist Hans-Jürgen Mangartz, der seinen Garten in der Anlage Mühlenbach 1 hat, anderer Meinung. „Bevor bei uns die Arbeiten zur Renaturierung begannen, hatten wir sehr oft ganz erheblichen Gestank in der Nase. Die Kleingärtner sind sehr froh, dass sich das nun geändert hat“, zieht Mangartz als Vorsitzender der Borbecker Kleingartenvereine eine positive Bilanz. Wichtig sei auch, dass die Natur an die frühere „Köttelbecke“ zurückkehre.
Natur entlang des Mühlenbachs soll sich langsam erholen
Projektleiter Patrick Malejka erklärt, warum die zwischen 10 und 20 Meter tiefen Schächte, an denen so viel Lärm, Schmutz und auch Ärger entstehen, gebaut werden müssen: „Wir brauchen die Schächte, um von dort aus die Rohre, in denen später das Abwasser fließt, durch das Erdreich vorzutreiben. Das geschieht mit einer Druckluftpresse, die an der Spitze ein Schneidegerät hat. Der Abraum wird durch das Rohr entsorgt. Das Betonrohr wird mit Druckluft in den geschaffenen Hohlraum gepresst.“ Die Schächte sind oft auch Sammler. Die Stadtwerke Essen übergeben dort zum Beispiel Abwässer aus dem städtischen System in den Bereich der Emschergenossenschaft.
Ein Schacht müsse noch gebaut werden, so der Projektleiter. Dazu werde eine Fahrbahn der Germaniastraße bald gesperrt werden. Ende 2023, so ist das Ziel, soll der Borbecker Mühlenbach frei von Abwasser sein. Erst dann könne die eigentliche Renaturierung der letzten zwei Kilometer beginnen. Die Betonwannen werden entsorgt und der Bach sucht sich seinen Weg dann nahezu allein. Im Laufe der Zeit sollen sich Flora und Fauna erholen. Die natürliche Renaturierung kann bis zu zehn Jahre lang dauern. Rad- und Wanderwege an den Bachläufen sollen noch angelegt werden.
Essener Pausmühlenbach ist aus den Betonwannen befreit
Das Zusammenspiel zwischen Emschergenossenschaft und Essener Stadtwerken habe am Pausmühlenbach in Gerschede hervorragend geklappt, so Ilias Awabi. Der Bach ist von den Betonwannen befreit und das Wasser fließt bereits mäandernd durch die Senke. Udo Börries, Kleingärtner in der Anlage Hesselbach 1, musste über zwei Jahre lang auf die Hälfte seines Gartens verzichten.
„Die Stadtwerke mussten ihr Abwassersystem erneuern und den neuen Anschluss an das Emschersystem heranführen. Schweres Gerät war im Einsatz. Die Gärten links vom Weg verloren jeweils zwölf Meter. Das war unangenehm, aber eben nicht zu ändern“, erklärt der Kleingärtner rückblickend. Es wurden auch Entschädigungen gezahlt. Jetzt ist für die Gartenfreunde am Pausmühlenbach die Welt wieder in Ordnung. Die Natur kehrt zurück, in die Gärten und an den Bach.
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