Essen. . Das Diesel-Fahrverbot kommt: Das beschloss jetzt das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen für 18 Stadtteile in Essen, auch für Teile der A40.
Auf viele Essener Diesel-Fahrer kommt bald ein Fahrverbot zu. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat gerade das Urteil gesprochen. Die Bezirksregierung muss für Essen eine „Blaue Umweltzone“ in ihrem Luftreinhalteplan aufnehmen, für die flächendeckende Diesel-Fahrverbote gelten sollen. Die sind zu verhängen für 18 Stadtteile und die Abschnitte der Autobahn A40, die durch das Essener Stadtgebiet führen. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden. Dies hat das Land NRW am Donnerstag bereits angekündigt.
Die Fahrverbote gelten laut Urteil ab dem 1. Juli 2019 für alle Diesel-Fahrzeuge bis einschließlich Euro IV und alte Benziner der Euro-Norm I und II sowie ab dem 1. September 2019 auch für Euro V-Dieselfahrzeuge.
„Blaue Zone“ für die Stadt Essen gefordert
Die „Blaue Zone“, in denen künftig diese Fahrverbote gelten, umfassen folgende Stadtteile: Altendorf, Altenessen Nord und Süd, Frillendorf, Frohnhausen, Holsterhausen, Huttrop, Kray, Leithe, Nordviertel, Ostviertel, Rüttenscheid, Stadtkern, Steele, Südostviertel, Südviertel, Westviertel und Vogelheim. Das Fahrverbot schließt auch Teile der A40 in Essen ein, weil an der dortigen Messstelle Hausacker Straße in Frohnhausen nicht zu erwarten sei, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Ein Diesel-Verbot auch für einen Abschnitt der A40 - das kam völlig überraschend.
Laut Angaben der Stadt Essen würden die Fahrverbote auf 52.000 Dieselfahrzeuge und rund 27.500 Benzinfahrzeuge zutreffen. Fahrverbote halten die Richter jetzt aber für ein geeignetes Mittel. Nur mit solchen kurzfristig wirksamen Maßnahmen sei die schnellstmögliche Einhaltung des seit dem 1. Januar 2010 verbindlichen Grenzwertes zu erreichen. Dies sei erforderlich, um die bestehende Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung als Folge der Stickoxid-Belastung zu verhindern. Die Fahrverbote seien unverzichtbar, um die Gesundheit der Anwohner, Besucher und Verkehrsteilnehmer zu schützen, begründet das Gericht. Sie seien trotz der damit eingehenden Belastungen für die Bevölkerung und Wirtschaft verhältnismäßig.
Richterin: „Wir suchen hier keinen Schuldigen, aber es gibt Verantwortlichkeiten.“
Streckenbezogene Fahrverbote allein kommen aber nicht in Frage, weil dadurch der Verkehr in andere Straßen ausweichen würde. Die Richter glauben nicht, dass die bisherigen Vorkehrungen in Essen für bessere Luft trotz rückläufiger Tendenzen ausreichen würden, um kurzfristig den Stickoxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm einzuhalten. Vorgesehene Projekte brauchen eine Vorlaufzeit. Auch sei ein Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel nicht so schnell zu erwarten.
Die Vorsitzende Richterin Margit Balkenhol machte während der Verhandlung deutlich: „Wir suchen hier keinen Schuldigen, aber es gibt Verantwortlichkeiten.“ Das Gesetz und die Rechtsprechung bis hin zum EUGH (Europäischer Gerichtshof) verlangten eindeutig die Einhaltung des Grenzwertes. Daran seien die Gerichte gebunden. Wenn es die Behörden und die Politik es nicht schafften, geeignete Maßnahme durchzusetzen, dann müssten es Richter tun. Die Gerichte könnten sich aber nicht in die Politik einmischen, um vielleicht andere wünschenswerte Lösungen wie eine Hardware-Nachrüstung zu verordnen, äußerte sich die Vorsitzende, fast ein wenig bedauernd.
Noch mehr dicke Luft in Essen
Hervorgehoben wird auch, dass der Grenzwert für atemwegbelastende Stickoxide bereits seit neun Jahren überschritten werde. Die Verwaltung sei aber verpflichtet, für die Einhaltung zu sorgen. Die Belastung der Alfredstraße ist das größte Problem für die Stadt. Dort kriege man die Schadstoffbelastung in absehbarer Zeit wohl kaum in den Griff, gestand der Vertreter der Bezirksregierung Düsseldorf. Aber auch die B224 (Gladbecker Straße), die Frohnhauser-, die Krayer- und die Martin-Luther-Straße, die Vogelheimer-, Velbert-, Franken- und Krupp-Straße machen große Sorgen.
Auch gebe es weitere Verdachtsflächen, etwa auf Teilstrecken der B224 im Essener Süden, der Velberter Straße und der Frankenstraße. Das Gericht hat der Düsseldorfer Bezirksregierung aufgegeben, bis zum 1. April 2019 eine aktuelle Belastungskarte für das gesamte Essener Stadtgebiet zu erstellen und zu prüfen. Sollte es außerhalb der Sperrzone zu weiteren Stickoxid-Grenzwertüberschreitungen kommen, seien auch dort weitere Maßnahmen zu ergreifen – bis hin zu einer Ausweitung der Verbotszone oder Fahrverboten auf einzelnen Strecken.
Fahrverbote auf der Autobahn A 40 in Essen
Für großes Erstaunen sorgte die Vorsitzende, als sie die NO2-Belastung an der Hausackerstraße ansprach. Verursacht werde sie hauptsächlich durch die nebenan verlaufende Autobahn A40. Also bekomme man die schädliche Luftkonzentration nur in den Griff, wenn die Behörden etwas auf der A40 tun. Auch dort müsse man ein Diesel-Fahrverbot (und Benziner unter Euro 3) erlassen, das erste Fahrverbot auf einer bundesdeutschen Autobahn. Es sei nicht das Problem des Gerichts zu überprüfen, wie das kontrolliert werden kann. Bei der kleinsten Stichprobe der Polizei würden kilometerlange Staus entstehen. Bei einem Limit von 50 oder 60 km/h könnten Temposünder mit nicht zugelassenen Motoren über die Zulassungsstellen ausfindig gemacht werden, schwante es Remo Klinger von der Deutschen Umwelthilfe.
Ins Gespräch brachte die Vorsitzende Richterin eine „Deckelung“ der A40 zwischen Frohnhausen und dem Anschluss Essen-Ost. Dann könnten auch die Straßenbahn nach oben auf den Deckel verlegt und die Fahrbahn verbreitert werden. Die Deckelung sei im Bundesverkehrswegeplan für 2030 als „weiterer Bedarf“ angeplant. Schon die Nennung dieses Zeitpunkts mache die aktuelle Dringlichkeit von Umweltschutzmaßnahmen deutlich.
OB Thomas Kufen: „Die Verurteilung trifft uns hart“
„Die heutige Verurteilung des Landes trifft uns in Essen hart“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kufen nach der Urteilsverkündung. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen jetzt ausbaden, was auf Bundes- und Landesebene seit Jahren versäumt wurde.“ Die „Blaue Umweltzone“ würde bedeuten, dass sich die Verkehrsströme über das gesamte Stadtgebiet hinweg verlagern werden.
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„Das Urteil ist für uns ein echter Schlag und trifft absolut die Falschen. Essener Bürgerinnen und Bürger, Pendlerinnen und Pendler und Essener Unternehmen müssen jetzt ausbaden, was die Autoindustrie verbrochen hat“, erklärt Rainer Marschan, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Essen in einer ersten Stellungnahme. „Dass sogar die A 40 betroffen ist, ist nicht nur für Essen, sondern für das ganze Ruhrgebiet katastrophal“, kritisiert er. Marschan fordert ein einheitliches, überkommunales Konzept, das die ganze Metropole Ruhr anstatt nur einzelne Messstellen in den Städten in den Fokus stelle. Thomas Kutschaty, Vorsitzender der Essener SPD, drängt darauf, dass die Autokonzerne zu einer Nachrüstung der betroffenen Diesel-Autos gebracht werden, „ damit die Menschen in Essen weiterhin mit ihren Autos fahren können.“
Dies fordert auch der Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring von den Grünen: „Es kann nicht sein, dass nun die Fahrer von vermeintlich sauberen Dieselfahrzeugen im Stich gelassen werden“, teilt er mit. Dringend nötig seien verbindliche Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Hersteller.
FDP-Chef: Autofahrer werden faktisch enteignet
Der Essener FDP-Vorsitzende Ralf Witzel bezeichnet das Diesel-Fahrverbot als „unsinnig“ und spricht sogar von einer faktischen Enteignung von Zehntausenden Essener Autohaltern. Witzel hält Fahrverbote für unverhältnismäßig: „Gerade die gewollte Sperrung eines Teilabschnitts der A 40 zeigt die Absurdität der vorgenommenen Abwägung“, meint er.
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Für die Ratsfraktion Die Linke sei das Urteil nicht überraschend gekommen. „Das eigentliche Problem ist doch aber, dass Bund und Land sich das haben gefallen lassen und die Autokonzerne trotz hoher Profite nicht zur Nachrüstung älterer Dieselfahrzeuge verpflichten wollen“, gibt Ratsherr Wolfgang Freye zu bedenken. Man habe die ganze Zeit versucht, die Situation auszusitzen und stehe jetzt vor einem Scherbenhaufen. Der Linke fordert, dass die Maßnahmen der Stadt im Rahmen des Masterplanes Verkehrs und des Modellprojektes „Lead City“ noch einmal auf den Prüfstand kommen und nachgebessert werden.
Nach Einschätzung des Essener Bürger Bündnis (EBB) sei das Urteil auch die Folge unsinniger Gesetze, die damals in Brüssel beschlossen wurden. Für Essen fordert EBB-Fraktionschef Jochen Backes zahlreiche Ausnahmegenehmigungen vor allem für Anlieger und Handwerker. Die Stadtverwaltung kann und darf ihr Versagen nicht auf dem Rücken der Bürger abladen sondern muss hier schnellstmöglich für Planungssicherheit bei den Bürgern sorgen“, so Backes.
ADAC kritisiert die Fahrverbote
Kritik kommt auch vom ADAC: „Die anzuordnenden Fahrverbote verschärfen die Situation im Ruhrgebiet und in ganz NRW und zeigen, wie ernst die Lage ist“, erklärt Gabriele Schön, Verbraucherschutz-Expertin des ADAC Nordrhein. Dass auch Teile der A40 von einem Fahrverbot betroffen sein sollen, verwundert sie, „weil Bundesfernstraßen mit überregionaler Bedeutung nicht ohne weiteres gesperrt werden können.“ Der ADAC fordert andere geeignete Maßnahmen, die jetzt in Essen umgesetzt werden müssten. Dazu zähle eine kurzfristige Verbesserung des Nahverkehrsangebotes und zeitnahe Hardware-Nachrüstungen.