. Oberbürgermeister Thomas Kufen über sein gutes Image bei den Bürgern, mangelnde Minister-Ambitionen und den Anlauf für eine zweite Amtszeit.

Herr Oberbürgermeister, seit neuestem wissen wir: 42 Prozent der Essener Bürger sind mit Ihrer Arbeit „zufrieden“ oder gar „sehr zufrieden“, nur zwölf Prozent senken den Daumen. Wie fühlt man sich denn so, als beinahe jedermanns Liebling?

Man freut sich, ist doch klar. Ich hänge mich hier voll rein, von morgens bis abends, von Montag bis Sonntag, und wenn das eine positive Rückmeldung erfährt, wie jetzt beim NRZ-Bürgerbarometer, dann ist das die Bestätigung, so weiterzumachen.

Selbst die Konkurrenz gibt zu: Sie findet keine großen Fehler.

Wer länger sucht, findet sicher was, ist auch gar nicht schlimm. Vorausgesetzt, man lernt daraus und macht es beim nächsten Mal besser.

Dann raus mit der Sprache: Wo, glauben Sie, lagen Sie daneben?

Mit dem Wissen von heute würden wir sicher vieles bei der Unterbringung von Flüchtlingen anders machen. Aber die teuren Zelte waren schon bestellt, als ich kam, vielleicht hätte ich das früher kritisch hinterfragen müssen. Und es war schließlich Bürgerpflicht und Stadträson, dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die zu uns kommen, untergebracht werden. Nicht „irgendwie“, sondern mit einer guten Betreuung.

„Ich glaube, wir kriegen das besser hin als andere“

In Ihrem ersten Interview nach der Wahl hieß es: Wir wachen morgens mit der Flüchtlingskrise auf und gehen abends damit ins Bett. Und heute? Die Zelte sind weg, die Heime größtenteils leer...

Wir haben kein Unterbringungsproblem mehr, das stimmt, aber die Menschen sind nicht verschwunden. Wir haben seit 2015 rund 9300 Personen aufgenommen, die sind ja noch in unserer Stadt! Ich habe damals gesagt: Das alles wird unsere Stadt verändern, und ich muss sagen: Ich habe Recht behalten.

Hat sich Essen eher zum Guten oder eher zum Schlechten gewandelt?

Beides. Nicht nur bei den Migranten, auch bei manchen Einheimischen stellt sich ja schon die Frage der Integration: Wie „inklusiv“ ist unsere Gesellschaft? Wie ermöglichen wir allen die Teilhabe am Stadtgeschehen? Ich will keine fragmentierte Stadt – dass dort die Menschen wohnen, die Arbeit haben, und dort die Arbeitslosen, hüben die Migranten und drüben die Einheimischen, hier junge Leute, da die Alten. Das ist nicht mein Bild von Essen. Die Mischung macht’s, und ich glaube, wir kriegen das besser hin als andere.

Es gibt dennoch ein Nord-Süd-Gefälle in dieser Stadt, und die Menschen empfinden es als Problem.

Ich sehe vor allem, dass die politische Diskussion der vergangenen Monate zu genau diesem Thema Spuren hinterlassen hat. Und sich nun offenbar auch in den Umfragen niederschlägt. Dabei wurde die Debatte vor allem von Leuten geführt, die zwar Lust an der Problembeschreibung haben, aber keinen Beitrag liefern wollen, das Problem zu lösen. Ganz im Gegenteil: Sie tragen da, wo Menschen unterschiedlicher Kulturen gut zusammenleben, eher dazu bei, noch Misstrauen zu schüren. Das lasse ich nicht zu.

„Ungleichstadt“? Eher eine „stinknormale Großstadt“

Da komme ich Ihnen mit einem alten Sozialdemokraten: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist...“

Da bin ich auch sehr bei Ferdinand Lassalle. Aber es ist meine Aufgabe, den Laden zusammenzuhalten. Das ist schwieriger geworden, weil nicht nur Lebensstile sich verändern, Familienverbünde sich lösen. Sondern weil die sozialen Medien gesellschaftliche Fragen, die ich gar nicht kleinreden will, in einen hohen Erhitzungsgrad bringen. Es gibt Leute, die politisch zündeln, und das führt dazu, dass Argumente nicht mehr gehört, sondern nur noch Vorurteile ausgetauscht werden.

In der Tat kocht manches über, aber die Gerechtigkeitsdebatte kommt nicht von ungefähr – von der „Essener Tafel“ bis zur ARD-Serie über Deutschland als „Ungleichland“. Ist Essen eine „Ungleichstadt“?

Ich glaube, wir sind eine stinknormale Großstadt, wo wie unterm Brennglas diese Fragen zum Tragen kommen. Wir können uns doch auch freuen, dass Essen wieder wächst, dass wir einen Baby-Boom haben, dass wir uns überlegen können: Wo bauen wir Kitas und Schulen? Ich bin lieber OB einer wachsenden Stadt als verantwortlich dafür, Schrumpfungs-Prozesse zu gestalten. Die sind im Zweifel noch schmerzhafter, das haben wir in der Vergangenheit bei den Bädern und Bibliotheken erlebt.

In der Flüchtlingskrise hat man die Lust der Stadtverwaltung gespürt, die Fesseln der Bürokratie abzustreifen. Auch wenn das hie und da in die Hose ging – es brachte Tempo in die Entscheidungen.

Stimmt, wir haben in dieser Zeit gezeigt, wie leistungsfähig Verwaltung sein kann. Trotzdem müssen unsere Bücher am Ende sauber sein.

„Ich bin derjenige, der auf die Tube drücken muss“

Geht Ihnen dennoch nicht auch vieles viel zu langsam? Sie gelten als eher ungeduldiger Typ.

Ja natürlich, aber ungeduldig zu sein ist auch mein Job. Wenn ich selber jeden Tag sagen würde „Immer schön ruhig mit den Pferden“, würde nichts passieren. Ich bin derjenige, der auf die Tube drücken muss, nicht immer zur Freude der Verwaltung.

Über die Flüchtlingskrise blieb zuletzt manches liegen.

Das kann ich in der Tat beklagen, aber man muss Prioritäten setzen.

Zu den Dingen, die hintanstanden, gehörte das Thema Sauberkeit. „Ein paar Wochen“ hatten Sie 2015 veranschlagt, um einen Aktionsplan ins Leben zu rufen. Am Ende wurden daraus mehr als zwei Jahre. Griffen Sie ein, weil die Entsorgungsbetriebe dazu nicht in der Lage waren?

Wir haben den Plan vorgelegt, weil das Thema zu wichtig dafür ist zu sagen: Da haben wir die EBE, die kann’s ja irgendwie machen. Im übrigen fängt das bei den Bürgern an. Weder die Mitarbeiter der EBE noch ich haben je Klamotten neben Altpapiercontainer gestellt oder Kühlschränke in Waldlichtungen geworfen. Ich muss schon sagen: Es gibt bei einigen Mitbürgern ein ausgeprägtes asoziales Verhalten, sich ihres Mülls zu entledigen.

„Ein OB-Jahr ist wie ein Hundejahr: alles mal sieben“

Ein anderes Thema Ihres Zwölf-Punkte-Programms konnten Sie sofort am ersten Amtstag abhaken: das Versprechen, keine weiteren Kredite in Fremdwährungen zuzulassen. Hat super funktioniert.

(lacht) Jawoll.

Die anderen Punkte laufen aber doch eher zäh an.

Wieso? Wir haben 59 von 84 Grundschulen mit Tablets ausgestattet. Wir haben über 600 Millionen Euro an Sonderinvestitionen im Programm Schulen, Brücken, Plätze, die arbeiten wir ab. Weniger Stadttöchter gibt es auch, auch wenn das ein mühsames Unterfangen ist.

Sie versprachen mehr Arbeitsplätze und die Ansiedlung neuer Unternehmen, digitale Verwaltung, weniger Bürokratie: Vorfahrt fürs Gutgemeinte. Oder verfahren sie nach der Devise, es muss ja noch was für die zweite Amtszeit übrig bleiben?

Da wird sich noch genug finden. Ich merke auch – wie meine Vorgänger – dass fünf Jahre schnell vorbeiziehen. Manchmal habe ich den Eindruck, so ein Oberbürgermeister-Jahr ist wie ein Hundejahr: alles mal sieben.

„Es gibt keinen Anlass zu Arroganz oder Hochmut“

So ein Amt verändert einen. Welche Veränderungen registrieren Sie?

Ich freue mich immer, wenn ich Leute treffe, die sagen: Mensch, ich hätte aber abgenommen. Nachdem eine Stunde zuvor andere staunten: Ich hätte aber zugenommen. Ich muss mit dem Jo-Jo-Effekt leben. Auf meinem Tisch steht Schokolade, eine meiner Schwächen.

Auch eine Stressfrage. Wie lange hält man diese Schlagzahl durch?

Bis 2025 auf jeden Fall.

Sie treten also definitiv an. Bei der SPD weiß noch niemand so recht, wer ihr Herausforderer sein soll.

Keine Bange, es wird schon noch einen Gegenkandidaten geben. Demokratie lebt vom Wettbewerb, und da gibt es auch gar keinen Anlass zu Arroganz oder Hochmut, ganz im Gegenteil. Es gab wahrscheinlich nicht wenige in der Sozialdemokratie, die mich damals als Gegenkandidaten zu Herrn Paß belächelt haben. Es geht halt um die besten Ideen für die Stadt, und ich habe nicht den Eindruck, nur weil ich ein gutes Zwischenzeugnis ausgestellt bekommen habe, dass mir zur Halbzeit die Füße einschlafen sollten.

„Der Nahverkehr entscheidet, ob wir Metropole sind“

Mancher in der SPD wird denken, die Wahl 2020 sei womöglich gelaufen. Aber vielleicht empfiehlt der Kufen sich damit ja für was Höheres.

Ich bin nicht auf der Suche.

Mancher wird gefunden, ohne dass er selbst gesucht hat.

Ja, ach. Das kann nur verstehen, wer hier geboren ist, hier aufgewachsen, wenn man an dieser Stadt hängt mit ihren Menschen – den OB gäbe ich nicht auf für ein Minister-Amt.

Gut, dann also OB, wenn man Sie lässt. Welche Themen wollen Sie unbedingt noch anpacken?

Ich glaube, wir haben eine große Verantwortung, im Jahr 2020 noch mal zu zeigen: Was ist aus der Kulturhauptstadt geworden, zehn Jahre danach – auch fürs Ruhrgebiet. Zudem habe ich mir mit dem öffentlichen Nahverkehr einen der dicksten Brocken rausgesucht. Die Ruhrbahn fährt, aber das kann nur der Einstieg sein. Die Frage lautet: Wer steigt als nächster Partner ein? Der Nahverkehr entscheidet, ob wir Provinz sein wollen oder Metropole.

„Essen gilt als sicherste Großstadt in NRW“

Die Ruhrbahn als Zukunftssymbol des Miteinanders?

Für mich ist die Ruhrbahn letztlich nur ein Zwischenschritt. Es muss eine Verkehrsgesellschaft fürs ganze Ruhrgebiet geben. Sonst geht das mit der Kleinstaaterei weiter. Wir sind im Revier und in Essen seit 200 Jahren auch ein Ort der Hoffnung für ganz viele Menschen, und es gibt eine Verpflichtung, diese nicht zu enttäuschen. Aber auch daran zu erinnern: Wir brauchen gemeinsame Spielregeln für das Zusammenleben, denn ohne Regeln geht’s nicht.

Gutes Stichwort: In manchen Stadtteilen wächst die Verunsicherung.

Das nehme ich auch ernst, dabei gilt Essen als sicherste Großstadt in Nordrhein-Westfalen, sogar als viertsicherste in ganz Deutschland, hinter München, Nürnberg und Stuttgart. Auch wenn das nicht immer mit der subjektiven Wahrnehmung der Bürger im Einklang liegt. Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit mit der Polizei und sind beim Thema Vorbeugung auf dem richtigen Weg. Nicht zuletzt mit unserem Programm „Starke Quartiere, starke Menschen“, bei dem wir fast 40 Millionen Euro aufwenden wollen – für Stadtteile, um die wir uns noch mehr kümmern müssen, von Altendorf bis zum Südostviertel...

...und dann kommt das ZDF mit seiner Prognos-Studie „Wo lebt es sich am besten?“, und Essen landet auf Platz 379 von 401. Und der Oberbürgermeister denkt... na was?

Ich hab’s zur Kenntnis genommen.

Ohne sich zu ärgern?

Ich hab mich nicht mal geärgert.

„Ich habe einen Gestaltungsauftrag bekommen“

Weil?

Ach, diese Studien... Ich habe mich nicht groß mit der Systematik auseinandergesetzt, denn nächste Woche kommt ‘ne neue Studie und dann wieder eine. Ich habe auch bei der Grünen Hauptstadt gesagt: Wir haben den Titel nicht bekommen, weil bei uns alles im grünen Bereich ist, sondern weil wir einen irren Weg hinter uns gebracht haben. Einen, um den uns viele andere europäische Städte beneiden, weil wir aus der ehemals größten Montanstadt Europas eine Stadt mit hoher Lebensqualität gemacht haben. Diese Prognos-Studie entspricht nicht dem Gefühl, das die Menschen mir vermitteln. Dass nämlich bei allem, was nicht funktioniert, sie nach wie vor an der heimischen Scholle kleben. Und dass sie gerne hier leben.

Auch dies hat das NRZ-Bürgerbarometer bestätigt. Wie sehr ist denn ein derzeit offenbar beliebter OB bereit, sich in einer geliebten Stadt unbeliebt zu machen?

Die Rückmeldungen in Umfragen bekomme ich nicht für Hundestreichel- oder Babyfotos. Jeder weiß: Ich bin ein Verwaltungschef, der am Ende Entscheidungen trifft. Nichtstun ist keine Option. Dafür bin ich nicht OB geworden – um alles zu lassen, wie es ist. Ich habe einen Gestaltungsanspruch und von den Wählern auch einen Gestaltungsauftrag bekommen.

Und den verfolgen Sie auch mit dem Risiko, sich unbeliebt zu machen?

Ja. Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger vor allem erwarten, dass hier jemand etwas m a c h t.

>>> ZUR PERSON: THOMAS KUFEN

Thomas Kufen ist 44 Jahre alt, CDU-Mitglied seit 1989 und Politiker von der Pike auf: war erst Bezirksvertreter, dann Ratsherr, parallel Landtagsabgeordneter und am Ende Fraktionschef der CDU im Stadtrat.

Bei der Oberbürgermeister-Wahl im September 2015 landete er im ersten Wahlgang überraschend deutlich vor Amtsinhaber Reinhard Paß (SPD). In der Stichwahl setzte er sich mit 63:37 Prozent gegen Paß durch.