Essen. . Eine Neuauflage der großen Koalition kommt für Essens SPD-Basis wie für Mandatsträger gleichermaßen nicht in Frage. Danach wird es uneinheitlich.

  • Das Gremium der sozialdemokratischen Ortsvereine lehnt Pläne für neuen Anlauf einstimmig ab
  • Bei den Mandatsträgern ist spürbar, dass sie auch Neuwahlen eher skeptisch gegenüber stehen
  • Parteichef Thomas Kutschaty erinnert nicht ungern an zwei Jahre Minderheitsregierung in NRW

Er muss da nicht lange nachdenken: Einen Genossen, der Feuer und Flamme für eine neue große Koalition in Berlin wäre? „Kenn’ ich keinen“, sagt Thomas Kutschaty und kann seine Kenntnis der Parteiseele seit Dienstagabend auch mit einem Wahlergebnis untermauern: Da waren sie im Unterbezirks-Ausschuss, dem Gremium der 32 Ortsvereine zwischen Karnap und Kettwig, einig wie selten: „Zum Teufel mit der GroKo“, so fasst SPD-Ratsherr Jens Gröne augenzwinkernd die von ihm geleitete Sitzung zusammen.

Aber was dann? Neuwahlen? Hm. Oder irgendetwas, was ein Minimum an Zusammenarbeit verspricht, aber nicht so heißt?

Schon geistert der Begriff der „Tolerierung“ durch die sozialdemokratischen Reihen – löst aber bei Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty eher Abstoßungsreaktionen aus. Eine punktuelle Zusammenarbeit bei zentralen Themen, okay, aber eine dauerhafte Tolerierung? „Das wollten die Wähler doch gerade nicht: dass wir Mehrheitsbeschaffer sind, Notnagel, wenn Jamaika platzt. Die SPD ist in der großen Koalition nur als deren Betriebsrat wahrgenommen worden, als soziales Korrektiv.“

Keine schlechten Erfahrungen aus NRW

Mehr Abstand also, fordert Kutschaty und erinnert sich gar nicht so ungern an jene knapp zwei Jahre, als er NRW-Justizminister einer rot-grünen Minderheitsregierung war. „Sternstunden des Parlaments“ seien das gewesen, und die Botschaft schimmert durch: Sollen die in Berlin das doch auch so machen, Zusammenarbeit in Einzelfällen nicht ausgeschlossen.

Arno Klare, SPD-Bundestagsabgeordneter für Mülheim und den Großraum Borbeck, hat dafür gleich einen Begriff bei der Hand: „Themenorientierte Allianz“. Wenn man so will: Eine To do-Liste von Projekten, „die wir unbedingt umgesetzt haben wollen“, und die sich dann im Bundestag Mehrheiten suchen.

Arno Klare will „mehr Demokratie wagen“

Denn die Sache sei ja die, meint Klare: Im Parlament würden zwar tolle Reden gehalten, aber für echte Debatten sei kein Platz. Klare will – Willy Brandt lässt grüßen – „mehr Demokratie wagen“ und sich nicht am Ende einer Koalitions-Disziplin unterwerfen müssen, womöglich noch gegen die eigene Überzeugung.

Wenn ihr hier mit uns stimmt, heben wir dort für euch die Hand – solcherlei Kuhhandel wäre auch Rainer Marschan ein Graus, der als Chef der SPD-Fraktion im Essener Stadtrat mit der CDU eine große Koalition auf Lokalebene eingegangen ist – um sogleich festzustellen, dass das ja ganz etwas anderes sei als in Berlin.

Auf die Genossen an der Basis hören

Eine Minderheitsregierung von CDU und Partnern tolerieren? Marschan rollt mit den Augen: „Da hätte ich Probleme mit“, sagt er – und wünschte sich zugleich, die SPD und ihr gescheiterter Kanzlerkandidat Martin Schulz hätten sich nicht so früh so festgelegt. Aber nun sei man halt in der Pflicht. Eine Kehrtwende von dieser Position mag er seiner Partei nicht empfehlen: „Das würde uns ziemlich übelgenommen, insbesondere von den eigenen Genossen“.

Und auf die, betont auch der Landtagsabgeordnete Frank Müller, sollten die Sozialdemokraten mehr denn je hören. Müller war dabei, als sich in Castrop-Rauxel vor knapp einer Woche rund 1000 Genossen trafen, um die Lage der Partei zu – darf man „sondieren“ sagen? Er jedenfalls kann sich eine Tolerierung „nur sehr schwer vorstellen“, schließlich seien die Gemeinsamkeiten mit der CDU ohnehin verbraucht: „Was sollte uns zusammenführen?“

„Nicht auch noch meinen GroKo-Senf dazu tun“

Klar könne man reden: über die Rente, die Bürgerversicherung, die Parität bei den Sozialabgaben, aber ach, was könnte dabei rauskommen, im Gespräch mit der CDU, fragt Müller rhetorisch.

Ähnlich sieht das der Bundestagsabgeordnete Dirk Heidenblut: „Für mich ist letztlich entscheidend, dass sich (...) für all die, die auf deutlich mehr Gerechtigkeit im Land setzen, wirklich etwas bewegt, oder eben, dass deren Stimme über eine starke Oppositionsarbeit endlich wieder stark zu hören ist“, schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Wie das am besten zu bewerkstelligen wäre, die Entscheidung dafür überlässt Heidenblut seiner Partei. Es geht für die Genossen zwar um die Wurst, aber „ich werde hier nicht auch noch meinen GroKo-Senf dazu tun“.