Essen. Der Umbau des Hauptbahnhofs geht dem Ende entgegen. Keine vier Monate noch, dann will die Bahn den 60-Millionen-Bau der Öffentlichkeit übergeben. Schon während der Bauphase musste der Bauherr Prügel einstecken. Wird's der große Wurf oder doch eine Billiglösung? NRZ-Leser sahen sich um.
Der Umbau des Hauptbahnhofs geht dem Ende entgegen. Keine vier Monate noch, dann will die Bahn den 60-Millionen-Bau der Öffentlichkeit übergeben. Schon während der Bauphase musste der Bauherr Prügel einstecken. Wird's der große Wurf oder doch eine Billiglösung? NRZ-Leser sahen sich um.
Die Bahnhofshalle
Die Bahnhofshalle wirkt größer als vor dem Umbau. Was nicht nur daran liegt, dass sie noch leer ist. „Wir haben die Halle weiter vorgezogen", erläutert Bahnhofsmanager Wilhelm Drews, als die Besucher unter dem renovierten Vordach stehen. Noch fehlen die Schaufensterfronten, doch die Ladenstraße ist bereits gut zu erkennen. Der Durchgang durch den Bahnhof sei nun breiter als früher und nicht etwa schmaler, betont Drews. „Früher waren es sieben Meter, jetzt sind es neun." Die Verkaufsfläche ist angewachsen um rund 900 Quadratmeter auf 5768 Quadratmeter. Allein der neue Supermarkt, der in die ehemalige Gepäckaufgabe einzieht, misst 1200 qm.
Die NRZ-Leser, darunter Pendler und Vielfahrer, klopfen den Bahnhofsmanager auf Praxisfragen ab: „ Gibt es wieder eine Anzeigentafel?" Ja, nur laufen Reisende nicht direkt darauf zu, angebracht wird sie einer Seitenwand. Schade. „Wo kommt das Reisezentrum hin?" Auf den Vorplatz an der Südseite. „Aber suchen Reisende es nicht eher in der Mitte des Bahnhofs?" Wer eine Auskunft wünscht, kann sich an den Info-Punkt wenden.
Aufzüge, Treppen, Zugänge
Rollstuhlfahrer und Reisende mit schwerem Gepäck mussten sich bis zum Umbau mit dem Lastenaufzug behelfen. Peinlich, peinlich für die Bahn. Künftig führt auf jeden der fünf Bahnsteige ein Aufzug, verkündet Drews und erntet zustimmendes Kopfnicken. Demontiert wurden die Rolltreppen am Nordausgang. Dafür hagelte es Kritik. „Zählungen hatten ergeben, dass sie kaum genutzt wurden", so Drews.
Die defekten Rolltreppen am Südausgang – über Jahre ein Ärgernis – wurden erneuert, die Treppe in der Bahnhofshalle verbreitert. Dort gibt es nun zwei Fahrtreppen, eine auf-, eine abwärts. Eine solche fehlt allerdings zwischen den Gleisen und der Zwischenebene. Hinab geht es nur über Treppen oder den Aufzug. Die Enttäuschung ist greifbar. In anderen großen Bahnhöfen sei das doch Standard. „Da wird es sich aber knubbeln", fürchtet Leser Manfred Schröder und ist froh, dass er schon in aller Herrgottsfrühe pendeln muss. Immerhin: Lob gibt's für die Farbwahl der Wandverkleidungen; an den Treppenaufgängen leuchtet es rot und in zartem Mintgrün.
Die Bahnsteige
Noch wird auch auf den Bahnsteigen gearbeitet. Hier und dort fehlen nur ein paar Handgriffe. Bänke, Windschutz und Papierkörbe stehen schon. So weit, so gut. Aber der Boden? „Der ist rutschfest", sagt Bahnhofsmanager Drews und lächelt gequält. Der dunkelgraue Guss-asphalt sieht aus, als hätte ihn eine Kolonne englischer Wanderarbeiter in aller Schnelle aufgezogen. Überall Schlieren und Flecken. „Das liegt an der Wärmebehandlung", erläutert Drews. „Wir haben einen Gutachter eingeschaltet. Der sagt, das sind zulässige Toleranzen."
Keine Frage, auch die Bahn ist nicht amüsiert. Warum sonst hätte sie einen Sachverständigen eingeschaltet? Und warum wurden die Bodenplatten nicht einfach erneuert? „In Bremen wird der Bahnhof auch gerade saniert", berichtet Ralph Leurs. „Dort verlegen sie Marmor." In Essen entschied die Bahn sich für eine Sparausführung. Drews führt dafür technische Gründe an – und eine veränderte DIN-Norm. Der vorgeschriebene Abstand zwischen Schienen-Oberkante und Bahnsteig wäre mit neuen Platten überschritten worden. Die Alternative: „Man hatte die Bahnsteige erst abfräsen müssen. Dann aber hätte die Tragfähigkeit nicht gestimmt." Für die NRZ-Leser hört sich dies wenig überzeugend an. Der Blick von Annette Eschenbruch schweift noch einmal über den grauen Belag. „Ich bin schockiert."
Die Überdachung
Die Dächer sind die alten. Anstrich und Beleuchtung wurden erneuert. Ebenso der Wetterschutz. „Sieht doch schöner aus", findet der Bahnhofsmanager. Geschmackssache. Unübersehbar: Die neuen Blenden sind deutlich schmaler als die alten aus Glas. Auch das erklärt Drews mit technischen Normen, diesmal formuliert durch die Europäische Union. Es geht um das so genannte Lichtraumprofil, konkret um den Abstand zwischen Zügen und Überdachung. Der Hauptbahnhof sei Teil des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes, dafür gebe es klare Vorgaben für Sicherheitsabstände. „Es sei denn, wir hätten an den Dächern nichts gemacht. Nur dann gilt der Bestandschutz."
Umfeld und Unterführung
Auch das unmittelbare Bahnhofsumfeld ist eine einzige Baustelle. Am Südausgang baut die Evag zwei Pavillons – für ihr neues Kundencenter und fürs Reisezentrum der Bahn. Dort wird bereits die gläserne Fassade eingesetzt. Die Bahn soll möglichst schnell einziehen können. Erst wenn sie ihr provisorisches Reisezentrum am Nordausgang aufgibt, kann die Stadt mit der Platzgestaltung beginnen. Die Taxen werden an ihre Warteplätze zurückkehren. „Am Nordausgang ziehen wir sie weiter unters Vordach, damit Reisende trockenen Fußes einsteigen können", kündigt Drews an. Die Zuhörer nehmen es wohlwollend zur Kenntnis.
Und die Bahnhofsunterführung? „Die war früher ein dunkles Loch", schimpft NRZ-Leser Peter Giese. Die neue Glasfassade der Ladenlokale wirkt vielversprechend. Gehwege und Busbahnsteige werden noch gemacht. Dennoch: Auch bei Tageslicht wirkt es düster. Wie sieht das erst am Abend aus? „Wird das noch heller", möchten die Leser wissen. Drews gibt den Staffelstab weiter: „Für die Beleuchtung ist die Stadt zuständig. Aber wenn die Läden beleuchtet sind, scheint das Licht auch auf die Gehwege." Wen es tröstet.
Fazit
Nach gut 90 Minuten voller Eindrücke und Informationen halten sich Lob und Tadel in etwa die Waage. Ralph Leurs vergibt ein „befriedigend" als Gesamtnote. „Ein Bahnhof sollte eine Einladung sein. Wenn ich ankomme, sollte ich mich Wohlfühlen." Essen sei da leider zweitklassig.
Annette Eschenbruch zeigt hingegen Verständnis dafür, dass der neue Bahnhof wohl nicht „der große Wurf" werde. Man müsse Essen aber auch gar nicht mit Vorzeige-Bahnhöfen in Dresden oder Leipzig vergleichen, findet sie. Was sie gesehen habe, gefalle – die Bahnsteigböden einmal ausgenommen. „Ich freue mich auf unseren neuen Bahnhof."
Ob die Bahn aber wie versprochen tatsächlich im Dezember fertig wird? Manfred Schröder denkt an den engen Zeitplan und bemüht Goethe: „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Warten wir's ab.