Schwelm. Die Physiotherapiepraxis Bösel in Schwelm hat ein Anti-Gravitations-Laufband und Koordinationsgerät, die Krankengymnastik erleichtern.
Es fühlt sich im ersten Moment gewöhnungsbedürftig an, wenn sich die Luft um und unter dem Körper aufbläst während man als Patient auf dem Laufband steht. Dann spürt man bei den ersten Schritten, dass man quasi wie in der Luft schwebt. Die Belastung auf den Beinen und vor allem in den Gelenken ist stark reduziert. Das ist der Sinn hinter dem Anti-Schwerkraft-Laufband, was in der Physiotherapiepraxis Bösel im Dorotheenhof an der Weststraße in Schwelm steht. Ebenso, wie ein abfederndes Koordinationsgerät.
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Das spezielle Laufband ist ursprünglich konzipiert worden, um Astronauten für die Schwerelosigkeit im All vorzubereiten. Entwickelt wurde es in Amerika im vergangenen Jahrzehnt. Seit vier Jahren ist Praxisinhaber Roger Bösel in Besitz des Anti-Gravitations-Laufbandes. Dabei steigen die Patienten in eine Hose, die mit einem Reißverschluss an eine dichte Vorrichtung verschlossen wird, so dass die Luft sich über dem Laufband und um den Körper herum verbreiten kann. In der Spitze wird das Körpergewicht nur noch zu 20 Prozent von den Läufern getragen. Wenn die Luft danach wieder herausgelassen wird, fühlen sich die ersten Schritte seltsam an. „Daran erkennt man, wie sehr die Gelenke unterstützt werden. Drei Wochen nach einer OP kann das Laufband genutzt werden, selbst wenn Patienten im Alltag die Gelenke noch nicht stark belasten sollen“, erklärt der Physiotherapeut.
Laufband eignet sich für mehrere Zielgruppen
Als Läufer schaut man auf ein Display, in dem bei einer Ganganalyse beispielsweise Werte zur Gewichtsverlagerung und Schrittlänge angezeigt werden. Die Geschwindigkeit kann individuell eingestellt werden, bis zu 25 Stundenkilometer. „Dieses Tempo würde man eigentlich nicht lange halten können, wenn überhaupt“, sagt Bösel. Doch auf dem Band funktioniert es, wenn natürlich nach gewisser Zeit auch die Pumpe geht und Schweißtröpfchen an der Stirn herunterrinnen. In solch hohe Stufen geht die Physiotherapie in der Regel nicht. „Gelenke müssen belastet werden, damit sich Zellen aufbauen“, sagt der Gevelsberger zum Grundsatz.
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Es gibt mehrere Zielgruppen, neben Reha-Patienten etwa auch adipöse Personen oder von Lipolymphödemen (erheblich vergrößerte Unterhautfettgewebe, die auf Lymphbahnen drücken) Betroffene, die entweder abnehmen möchten oder ihre Gelenke entlasten müssen. „Wenn sie auf dem Band waren, haben manche geheult, weil sie sich über den kleinen Erfolg gefreut haben. In dem Moment habe ich mir gedacht: Ich habe alles richtig gemacht“, freut sich Bösel. Ein Patient, der sich privat für die Nutzung entschieden hat, hat 40 Kilogramm abgenommen, von 170 auf 130 Kilogramm. Auch Schlaganfall-Patienten können in der Vorrichtung auf kleiner Stufe laufen, ohne dass sie dabei viele Hilfsmittel benötigen. „Man kann auf dem Band nicht stürzen. Selbst, wenn man wegrutscht, wird man durch den Luftdruck gehalten“, weiß der Experte.
„Weiche Knie“ und Idee für die Berufsfeuerwehr
Routiniert wirkt Dennis Adrian. Der Wuppertaler steht aber nicht auf dem Laufband, sondern auf dem Koordinationsgerät, quasi bestehend aus zwei Slaglines. Er hatte einen Dienstunfall, wodurch eine Operation am rechten Kniegelenk notwendig war. Parallel entstand eine Überlastung am linken Kniegelenk. „Ich habe auf dem Sensopro gezielt meine Muskulatur aufgebaut“, erzählt er. Der gesamte Körper ist gefordert und muss die Dysbalancen ausgleichen. So wird gleichzeitig die Koordination trainiert. In verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Der Patient arbeitet bei der Berufsfeuerwehr in seiner Heimat und hält die Entwicklung sogar für seinen Beruf geeignet: „Wir müssen bei Einsätzen viel knien, heben, tragen. Und das in allen möglichen Lagen. Das Training aller Muskelgruppen im Körper ist sinnvoll, auch um präventiv für den Job gut aufgestellt zu sein.“
Infobox: Investitionen im fünfstelligen Bereich
Anti-Gravitations-Laufbänder sowie Koordinationsgeräte zur Unterstützung der Gelenke haben einen sehr hohen Preis. Nicht allein durch die Vorrichtung an sich, die über gezielte interne Mechanismen betrieben wird. Auch die Monitore mit dem Programm kostet schon eine vierstellige Summe.
Insgesamt bewegen sich die Investitionen jeweils in einem fünfstelligen Bereich. Für Roger Bösel war dies eine hohe Summe, die er investiert hat. Doch der Einsatz in seiner Praxis habe sich bewährt, allein aufgrund der modernen und effektiven Behandlungsoptionen.
Natürlich müssen sich die Personen erst einmal an das Gerät gewöhnen. Eine 80-jährige Patientin steigt zum ersten Mal darauf und wirkt unsicher. Roger Bösel ist bei ihr, damit nichts passiert. Die federnde Wirkung, die etwa 30 Prozent der Belastung auf die Gelenke auffängt, merkt die Dame, die eine Hüft-OP hinter sich hat und einer Bewegungseinschränkung entgegenwirken möchte. Manche Übungen, die in einem kleinen Bildschirm vorgemacht werden, fallen ihr schwer. Sie merkt auch ihre Beine nach einiger Zeit. „Wichtig ist immer, dass man keinen Schmerz spürt“, betont Bösel. Es gibt am Gerät drei verschiedene widerstandsfähige Gummibänder – zur Stabilisierung und zusätzlicher Koordinationssteuerung. „Das Gute ist die Be- und Entlastung im Wechsel. Das brauchen unsere Gelenke“, erklärt Bösel.
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Ein Patient mit Kniearthroskopie steht recht stabil auf den nachgebenden Bändern. Der 52-Jährige hat keine Langeweile, ist motiviert und möchte demnächst gerne Skifahren. „Ich bin im Alltag gar nicht viel sportlich unterwegs. Ich war auf dem Gerät auch erst sehr weich in den Knien“, verrät er – und doch klappte es. Noch ein Punkt ist die Sturzprävention, die vorgenommen werden kann. „Wer hier drauf zurecht kommt und trainiert, der stürzt draußen nicht mehr“, behauptet Bösel. Spitzensportler nutzen heutzutage teilweise privat ein solches Koordinationsgerät. Bösel weiß von Fußball-Stars wie Robert Lewandowski und Joshua Kimmich. Es wurde übrigens auf sportwissenschaftlicher Grundlage entwickelt, von drei Surfern. Die schweben ja auch – über den Wellen.
VG Wort: hsteimann