Kreis Kleve. Apotheker in Emmerich, Kleve und Goch befürchten für Patienten eine massiv schlechtere gesundheitliche Vorsorge. Sie erklären, woran es liegt.
Wer von seinem Arzt ein bestimmtes Antibiotikum, ein Herz- oder Blutdruckmedikament verschrieben bekommt, kann seit Monaten eigentlich nicht mehr davon ausgehen, es in der Apotheke auch zu erhalten. Wie gehen die Apotheker im Kreis Kleve damit um?
Aus kurzem Gang zur Apotheke wird ein ziemlicher Aufwand
Das unschöne Prozedere geht so: Der Patient kommt mit dem Rezept in die Apotheke, der Apotheker hat das verschriebene Präparat nicht und schließt sich dann mit dem Mediziner kurz, der eine Alternative aufschreibt. Das neue Rezept bei ihm abzuholen, übernehmen oft die Apotheken oder der Patient selbst. So wird aus dem normalerweise nur wenige Minuten dauernden Gang ein ziemlicher Aufwand für alle Beteiligten. „Die Katastrophe wird von Tag zu Tag schlimmer“, kommentiert der Emmericher Apotheker Carsten Moser die andauernden Lieferengpässe bei Medikamenten. Der Inhaber der Stern-Apotheke erläutert, dass hauptsächlich die Rabattverträge der Krankenkassen dafür verantwortlich sind.
Rabattvertrag zwischen Hersteller und Krankenkasse
Ein Rabattvertrag ist die Vereinbarung zwischen Herstellern von Medikamenten und deutschen Krankenkassen über die exklusive Belieferung mit einzelnen Arzneimitteln für die Versicherten dieser Krankenkasse. In einem solchen Vertrag gewährt der Hersteller des Medikamentes der Krankenkasse einen Rabatt auf den Abgabepreis. Dafür sichert diese zu, dass alle ihre Versicherten nur dieses Präparat bekommen.
Qualität spiele dann keine Rolle
„Das ist eine Ausschreibung für bestimmte Wirkstoffe“, erklärt Moser. Nur der billigste Anbieter gewinne diese Ausschreibung. Kriterien wie Liefersicherheit oder – noch viel wichtiger – Qualität spielten keine Rolle. Geld sei damit aber häufig durch steigende Rohstoffkosten und galoppierende Inflation nicht mehr zu verdienen. Als Folge belieferten dann – wirkstoff-bezogen – einige wenige Hersteller fast den gesamten Krankenkassen-Markt.
Für alle anderen hat sich die Produktion daher nicht gelohnt
Das lasse sich am Beispiel Ibuprofen-Tabletten gut erklären. „Hier hat seit Jahren eine Firma eine Marktabdeckung von über 99 Prozent. Für alle anderen hat sich die Produktion daher nicht gelohnt.“ Für sie gehe es lediglich darum, im Markt zu bleiben. „Wenn dann jedoch der Hauptproduzent ausfällt, gibt es ein Problem“, beschreibt er die aktuelle Lage, die durch Lieferengpässe und fehlende Rohstoffe verursacht werde. „Wenn ein Hauptlieferant ausfällt, muss ein anderer plötzlich um Größenordnungen mehr Ware liefern, was kaum möglich ist.“
Durch Inflation und hohe Rohstoffpreise – bei gleichzeitig eingefrorenen Preisen – würden die Rabattverträge zum unkalkulierbaren Risiko. Hinzu komme der Ukrainekrieg mit hohem Bedarf an bestimmen Mitteln. „Dadurch spitzt sich die Lage immer weiter zu, bestimmte Wirkstoffe gibt es einfach nicht mehr,“ sagt der Apotheker. Man sei in einer Kettenreaktion gefangen.
„Der Großhandel und auch die Apotheken haben einfach nichts mehr auf Lager“
Da helfe auch die Aussetzung der Festbeträge für (Kinder-)Medikamente mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika bis zum 30. April nicht. „Der Großhandel und auch die Apotheken haben einfach nichts mehr auf Lager“, so Moser. Und Entspannung ist nicht in Sicht. In der aktuellen Scharlachwelle, die Erkrankung wird mit einem Antibiotikum behandelt, weichen Apothekerinnen und Apotheker inzwischen auf andere Wirkstoffe aus.
Carsten Moser blickt spätestens für den nächsten Winter wenig optimistisch in die Zukunft. „Ich glaube nicht, dass wir das Ruder noch mal herumreißen können.“ Das Problem sei nun mal kein kurzfristiges und der Medikamentenmarkt ein internationaler. „Warum sollte ein Hersteller nach Deutschland liefern, wenn er in anderen Ländern mehr verdienen kann?“
eine massive Verschlechterung der gesundheitlichen Vorsorge
Für die Patienten bedeute das eine massive Verschlechterung der gesundheitlichen Vorsorge, und auch viele Apotheken würden das nicht überleben, fürchtet er.
Letzteres beobachtet auch Ulrich Schlotmann in Goch-Pfalzdorf, der auch Sprecher der Apothekerinnen und Apotheker im Kreis Kleve ist. Im Kreis Kleve seien in den letzten 15 Jahren 15 bis 20 Apotheken geschlossen worden. Die verbliebenen 54 müssten mehr Notdienste übernehmen, Patientinnen und Patienten dadurch deutlich weitere Wege in Kauf nehmen.
Versorgung von Kindern mit Medikamenten ist mittlerweile recht sicher
Bei der Versorgung von Kindern mit Medikamenten sieht er dagegen eine gewisse Entspannung. Fiebersäfte seien zeitweise wieder verfügbar. „Es ist aber eine Wundertüte, was wir geliefert bekommen.“ In seiner Apotheke werden diese Säfte nur noch gegen Verordnung abgegeben, „damit sich die Leute nicht bevorraten und wir Menschen mit Schmerzen im Notdienst am Wochenende oder in der Nacht nicht nach Hause schicken müssen.“
Auch Schlotmann kennt die Abhängigkeit von überwiegend asiatischen Herstellern und das Problem der unterbrochenen Lieferketten. Hinzu komme, „wenn ein pharmazeutischer Unternehmer die Wahl hat, wen er beliefert, entscheidet er sich nicht unbedingt für Deutschland“, bewertet Schlotmann die Problematik der Rabattverträge ähnlich wie sein Kollege aus Emmerich. Auch er beklagt den hohen Zeitaufwand auf der Suche nach alternativen Medikamenten.
„Wir finden aber immer eine Möglichkeit, unsere Patienten zu versorgen“
„Wenn ich in unsere EDV gucke, gibt es 356 Artikel, die gerade nicht zu bekommen sind“, sagt Dr. Heiko Buff von der Klever Einhorn-Apotheke. Die Lage sei nicht entspannt, „wir finden aber immer eine Möglichkeit, unsere Patienten zu versorgen“. So seien Antibiotika partiell wieder lieferbar, und die Infektionswelle flaue aktuell ab. „Dennoch ist es eine sportliche Aufgabe, Medikamente zu besorgen. Darauf verwenden wir viel Zeit und müssen sehr flexibel sein.“ Von Notstand will Heiko Buff nicht sprechen, derzeit aber ändere sich die Situation fast stündlich.