Rees-Haldern. NRZ präsentiert: Erster Teil der Serie der Haldern Pop-Bandporträts mit Zeiten und Spielorten. Warum Shortparis jetzt die richtige Band ist.
Das 39. Haldern Pop Festival steigt vom 11. bis zum 13. August. Endlich wieder mit vollem Programm, mit großer Bühne, Spiegelzelt und bis zu 7000 Musikfans im Dorf. Die NRZ präsentiert die 2022er-Auflage des Events. Heute starten wir die Serie der Bandvorstellungen.
So bewertet die NRZ
Zur Erklärung: Für jede Band haben wir ein Erlebnispotenzial bewertet. Über Geschmack lässt sich streiten, deshalb versuchen wir gar nicht erst, die Qualität der Musik zu bewerten. Das soll jeder Zuhörer für sich selbst tun. Wir versuchen, mit dieser Wertung einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Konzert für Sie zum Erlebnis werden kann.
Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Ist die Musik leicht zugänglich? Gibt’s Ohrwürmer? Ist es eher eine Nischenband? Könnte der Spielort eine Rolle spielen? Wir haben es uns nicht leicht gemacht und trotzdem werden wir sicher nicht immer recht haben. Es ist eine bescheidene Entscheidungshilfe.
Kae Tempest wird die Haldern-Pop-Besucher begeistern
Samstag, Hauptbühne, 22.45-0 Uhr: Aus Kate wurde Kae Tempest. Die Rapperin, die 2015 und 2017 schon beim Haldern Pop überzeugte, betont inzwischen eine gewisse Geschlechtsneutralität. 2022 ist ihr fünftes Album „The Line Is a Curve“ erschienen. Nach wie vor zelebriert die Londonerin die Macht des gesprochenen Wortes – die Poesie ist schon beeindruckend. Auch als Dichterin und Theaterautorin ist Tempest bekannt. Aber auch musikalisch finden Zuhörer hier ihre Höhepunkte. Elektronische Elemente ummanteln ihren unverwechselbar englischen Akzent; die Kompositionen haben auch ohne den Rap ihren Wert. Musik wie: poetische Stürme. Erlebnispotenzial: 4/5
Hörproben: „Nothing to Prove“, „Move“.
Für die stilleren Momente beim Festival
Samstag, Hauptbühne, 16.15-17 Uhr: Anaïs Mitchell aus Vermont, USA, ist eine Singer-Sonwriterin, die bereits sieben Alben veröffentlicht hat; zuletzt im Januar ihr Dito-Album. Die Single „Bright Star“ ist hierbei ein millionenfach geklicktes Stück. Ihre verträumten Melodien sind sicherlich etwas für die stilleren Momente beim Festival. Eine Geschichtenerzählerin mit viel Herz, aber auch Geist steckt dahinter. Stilistisch solide, aber sicherlich keine musikalische Neuheit. Übrigens: Selbst ein preisgekröntes Broadway-Musical – „Hadestown“ – stammt aus ihrer Feder. Musik für: Jene, die gerne an Lippen hängen. Erlebnispotenzial: 3/5
Hörproben: Das NPR Music Tiny Desk Conert, „Brooklyn Bridge“ (live).
Samstag, Marktplatz, 13-14 Uhr: Teke Teke ist eine kanadische Psychedelic-Rock-Formation, man hört aber raus, dass diverse Bandmitglieder einen japanischen Hintergrund haben. Der experimentelle Sound, der auch Surf-Rock- und Jazz-Einflüsse erkennen lässt, wandelt zwischen dreckig-derbe und verspielt. Handwerklich ist das schon spannend gemacht, pfiffig komponiert. Ist aber nicht immer leicht zugänglich für Jedermann. Letzteres zum Beispiel dann, wenn die Flöte ertönt. Nach ihrer Debüt-EP „Jikaku“ in 2018 folgte das erste Album im Mai 2021 mit dem Titel „Shirushi“. Musik für: jene, die Musik wie Wimmelbücher für sich entdecken. Erlebnispotenzial: 2/5
Hörprobe: Konzert bei KEXP at Home, „Meikyu“.
Jazz kann auch tanzbar sein
Donnerstag, Hauptbühne,21-22 Uhr: Sons of Kemet: Ja, ist das denn noch Jazz, was die britische Gruppe da spielt? Wenn, dann ist es ein untypischer Jazz mit Rock- und afrikanischen Einflüsse in ungewöhnlicher Besetzung – mit Tenorsaxophon oder Klarinette, Tub und zwei Schlagzeugen. Denn dieser Jazz ist mitunter tanzbar. Beats und Bläser, die anstecken. Erinnert an La Brass Banda – ohne Bayern und mit Umwegen über die Tempo-30-Zonen. 2021 ist ihr viertes Album „Black to the Future“ erschienen – sehr ausgewogen komponiert. Musik für: jene, die sich dem Beat nicht entziehen können. Erlebnispotenzial: 4/5
Hörproben: „Hustle“, „Play Mass“
Samstag, Hauptbühne,19.15-20.15 Uhr: Parquet Courts: Indie-, Garage- Noise-Rock, aber auch Art-Rock – das ist das Ding der Gruppe aus Brooklyn. Die Gitarre spricht verschiedene Sprachen, abseits des Mainstreams. Die Band bezeichnet ihre Musik als „Americana Punk“. Nach sieben Alben ist in diesem Jahr die Single „Watching Strangers Smile“ erschienen, die Aufmerksamkeit erregt. Aber auch auf dem letzten Album „Sympathy for Life“ werden Freunde des etwas anderen Rocks ihre Appetithäppchen finden. Musik für: Rock’n’Roll-Querköpfe. Erlebnispotenzial: 3/5
Hörproben: „Walking at a Downtown Pace“, „Black Widow Spider“.
Shortparis: Genau die richtige Band in dieser Zeit
Donnerstag, Spiegelzelt, 0.30-1.15 Uhr: Die New Yorker Indie-Rock-Formation Geese hat 2021 ihr Debütalbum „Projector“ veröffentlicht. Ihr Stil erinnert an andere Bands, die man in Haldern schon gehört hat: Black Midi und Deerhoof. Dies zeichnet sich dadurch aus, dass die Band in ihren Kompositionen auch gerne mal einen schrägen Ton einbaut. Die Harmonien kommen getarnt daher. Die Stimme von Cameron Winter mutet zunächst punk-rotzig an, aber dann lässt er immer wieder durchblitzen, dass der Gesang Charakter hat. Die Band bringt sehr abwechslungsreiche Lieder zu Gehör, die mit Anleihen verwandter Stilrichtungen aufgepeppt werden. Live wird das eine gehörige Energie vermitteln. Musik für: Geduldige Rock-Entdecker. Erlebnispotenzial: 4/5
Hörproben: „Low Era“, „Disco“ (live).
Freitag, Hauptbühne, 0.45-1.45 Uhr: Mit Spannung wird die Rückkehr von Shortparis zum Haldern Pop Festival erwartet. Die russische Band hat sich durchaus regimekritische Worte zugetraut, hat mitten im Krieg das Protestlied „Apfelgarten“ (übersetzt) veröffentlicht. Das ist auch ein gutes Beispiel, das die Gruppe auch musikalisch eine ganz eigene Marke ist. Ihr experimenteller Elektro-Rock-Sound sucht seines Gleichen; extravagant, auch mal derbe, gerne apokalyptisch, oft mit verstörend-schönem Falsette-Gesang. Ihr viertes Album „Yablonny sad“ beweist ihre kompositorische Reife für große Bühnen. Musik: …, die ob ihrer Einzigartigkeit Gesprächsthema sein wird und als politisches Zeichen. Erlebnispotenzial: 5/5
Hörproben: „Govorit Moskva“, „Dvadcat’“.
Wet Leg bleiben im Ohr
Donnerstag, Spiegelzelt, 23.15-0 Uhr: Auf Platz 1 der österreichischen Albumcharts schaffte es die Band Buntspecht 2021 mit „Spring, bevor Du fällst“. Damit stellt Album Nummer 4 seit 2018 für die Wiener bisher den größten Erfolg dar, neben einem Single-Erfolg in 2019 mit „Unter den Masken“ – und nun das Sprungbrett Haldern Pop? Ihre leichtfüßig-verträumter Pop-Musik, die sich nicht an Genregrenzen hält, tänzelt sich in den Gehörgang, der Wortwitz schmunzelt mit. Das Sextett schafft durch die breite Instrumentierung – Gitarre, Klavier, Bass, Cello, Saxophon, Flöte, Trompete, Melodica, Schlagzeug – eine Vielseitigkeit, die in den Kompositionen auch genutzt wird. Musik für: jene, die eine Pop-Alternative suchen. Erlebnispotenzial: 3/5
Hörproben: „Paradies“, „Zehn Zehen“.
Samstag, Spiegelzelt, 1.30-2.30 Uhr: „Die Band der Stunde“, sagt Festivalchef Stefan Reichmann. Gleich mal mit dem Debütalbum, das genau wie die Band Wet Leg heißt, auf Platz 1 der UK- und der australischen Albumcharts – das ist mal eine Hausmarke. Ihre Debütsingle „Chaise Longue“ ging gleich mal durch die Decke. Das englische Duo, das live von weiteren Musikern begleitet wird, spielt eingängigen Indie-Pop-Rock – verspielt in den Kompositionen, flirtend in den Texten und im Ausdruck. Satte Gitarren und tänzelnde Beats drängen sich abwechselnd in den Fokus. Das wird Stimmung machen. Musik für: die Spiegelzeltparty. Erlebnispotenzial: 4/5
Hörproben: „Wet Dream“, „Being in Love“.
Die Band, die Haldern besingt
Samstag, Hauptbühne, 17.45-18.30 Uhr: 2020 waren Black Country, New Road der Höhepunkt des Festivalersatzes, dem Live-Streaming-Konzert „Other Voices x Haldern Pop Live“. 2021 fiel der Auftritt bei der coronabedingt kleinen Festivalvariante kurzfristig aus. Jetzt kommt das Sextett aus London mit voller Wucht. Denn das 2022er-Album „Ants from up There“ ist vielversprechend. Offenbar hat Haldern auch bei der Band Eindruck hinterlassen, denn ein Song auf dem Album heißt „Haldern“. Die Post-Punk-Gruppe bleibt sich treu, der Sound ist experimentell. Die Lieder erzählen schon musikalisch Geschichten, nehmen den Zuhörer mit auf eine Reise. Perfekt passt Isaac Woods zerbrechliche Stimme zu diesen emotionalen Strudeln. Musik für: Momente jenseits des Mainstreams. Erlebnispotenzial: 4/5
Hörproben: „Chaos Space Marine“, „The Place Where He Inserted the Blade“.
Donnerstag, Spiegelzelt, 17-17.45 Uhr: Das englische Quartett Yard Act schaffte es mit dem Debütalbum „The Overload“ in 2022 auf Platz 2 der UK Album Charts. Womöglich ist der Titelsong Millionen von Fifa 22-Zockern an den Spielkonsolen im Ohr geblieben. Die Texte gesellschaftskritisch, der Ton rotzig, die Musik irgendwo zwischen Post-Punk, Poprock und Indie, aber häufig verspielt komponiert, allerdings auch alles ähnlich. Teils ist Sprechgesang mit englischem Singsang zu hören, weshalb leichte Hip Hop-Anlehnungen erkennbar sind. Musik für: Freunde genau dieser Musik. Erlebnispotenzial: 2/5
Hörproben: „Rich“, „Land of the Blind“.
Nilüfer Yanya kommt gewachsen zurück nach Haldern
Donnerstag, Hauptbühne, 22.45-23.45 Uhr: Noch vor ihrem ersten Album gastierte Nilüfer Yanya aus London 2018 beim Haldern Pop. Drei Alben später kommt sie mit ganz anderer Wucht zurück. Inzwischen werden ihre Lieder millionenfach geklickt. In 2022 ist mit „Painless“ das dritte Album erschienen. Ihre Popmusik bekommt mitunter flotte Beats, aber auch nachdenklichere Lieder finden ihren Platz. Ihre Stimme hat eine gewisse Bandbreite für den Spagat. Kompositorisch ausgewogen erlauben die Songs, kleine Finessen zu unterstreichen. Musik für: verträumte Sommernächte. Erlebnispotenzial: 3/5
Hörproben: „The Dealer“, „Midnight Sun“.
Samstag, Spiegelzelt, 18.30-19.15 Uhr: Das englische Duo King Hannah alias Hannah Merrick und Gitarrist Craig Whittle haben in 2022 ihr Debütalbum „I’m Not Sorry, I Was Just Being Me“ veröffentlicht; der Titel deutet eine gewisse Kompromisslosigkeit ihrer Kunst an. Der Gitarrensound kommt mit einer Engelsgeduld daher, verbreitet zudem coole, erhabene Atmosphäre. Handwerklich werden Einflüsse aus Grunge und Americana geltend gemacht, wobei Tempo und Ruhe eher nicht an diese Stilrichtungen erinnern. Portishead wird als Einfluss genannt – ja, unverkennbar. Musik für: jene, die ein Gesamtkunstwerk fühlen wollen. Erlebnispotenzial: 3/5
Hörproben: „All Being Fine“, „Foolius Caesar“.