Kreis Kleve. Hanneke Hellmann will den Kreis Kleve im Bundestag vertreten. Deshalb tritt die gebürtige Niederländerin für die Freien Wähler an.
Wer bei der Bundestagswahl sein Kreuzchen bei den Freien Wählern machen möchte, findet sie ziemlich genau auf der Mitte des Stimmzettels. Und auch politisch verordnen sich die Freien Wähler als eine Partei der Mitte. Von den vielen kleinen Parteien, für die die Fünf-Prozent-Hürde ein so großes Hindernis wie für einen Zwergpinscher ein Oxer ist, sind die Freien Wähler allerdings eine von wenigen Ausnahmen.
Mit Adriana Johanna (Rufname: Hanneke) Hellmann haben sie eine Direktkandidatin für den Bundestag im Kreis Kleve aufgestellt. Die 71-jährige Geldernerin ist nun im Grenzgebiet auf Stimmenfang. Apropos Grenze. Im Gespräch mit Hanneke Hellmann wird schnell klar, dass sie ihre niederländischen Wurzeln weder phonetisch noch thematisch verleugnen kann – und das auch gar nicht will.
Frau Hellmann, Sie kandidieren mit 71 Jahren erstmals für den Bundestag. Aber sie streben ja nicht zum ersten Mal ein politisches Amt an?
Das ist richtig. Im Jahr 2015 war ich Einzelbewerberin um das Bürgermeisteramt in Geldern.
Das heißt, Sie haben keine Verbindungen zu den etablierten Parteien?
Das kann man so nicht sagen. Ich war zehn Jahre SPD-Mitglied und wollte für die SPD Bürgermeisterin werden. Doch die wollten mich nicht haben. Ohne einen Grund zu nennen. Ich finde aber, dass jeder ein Recht darauf hat, zu wissen, warum er nicht genommen wird. Daher habe ich dann meine eigene Partei gegründet.
Nun hat es mit dem Bürgermeisteramt in Geldern ja nicht geklappt...
Ich gegen zwei Männer, ich hab’ 1400 Stimmen bekommen. Der CDU-Mann hat natürlich gewonnen. Ich war aber nicht traurig, denn der vorherige Amtsinhaber war weg und das war mein wichtigstes Ziel.
Von der Lokalpolitik zu Bundespolitik ist ein weiter Weg. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Direktkandidatin geworden sind?
Ich saß mit Patricia Gerlings-Hellmanns und Ralf Janssen vom Vorstand der Vereinigten Wählergemeinschaften im Kreis Kleve im Auto nach Essen zur Aufstellungsversammlung der Freien Wähler. Die Beiden haben dann gesagt: ‘Wir schlagen Dich vor’. Und so ist es gekommen. Jetzt stehe ich zudem auf Listenplatz vier in NRW.
Die Chance, ein Bundestagsmandat zu bekommen ist recht klein, oder?
Ich sehe meine Chance bei fünf Prozent.
Welche politischen Punkte oder Projekte wollen Sie angehen?
Mein wichtigster Punkt ist: Cannabis muss in Deutschland entkriminalisiert werden.
Da spricht die Niederländerin...
Klar, in Holland haben wir die Coffeeshops, um den Dealern das Handwerk zu legen. Das ist der richtige Ansatz. Aber wenn man das Thema in Deutschland anspricht, kommt immer ein Lächeln oder eine Unsicherheit. Aber ich finde, das Thema muss man angehen. Aber ich sage es noch mal in aller Deutlichkeit. Ich möchte Cannabis entkriminalisieren, nicht legalisieren. Zumindest nicht ohne ein vernünftiges Konzept. Aber Cannabis ist ja auch ein Medizinprodukt, ein Medikament. Und es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dass meistens der kleine Konsument bestraft wird, während man an den Dealer nicht rankommt.
Wo hakt es denn Ihrer Meinung nach besonders im Kreis Kleve?
Der ÖPNV ist hier eine Katastrophe. Der muss dringend modernisiert werden. Da sind andere Kreise wie etwa Wesel schon viel weiter. Die meisten Busse fahren hier noch auf Diesel oder Euro 6. Die Bus-Unternehmen wollen ja umstellen, aber die brauchen dann Subventionen für die Anschaffung von E- oder Wasserstoffbussen. Das Problem in ganz Deutschland sind dann aber die Ladesäulen. Davon gibt es viel zu wenige. Aber ich hoffe, dass bis 2025 die Hälfte aller Fahrzeuge über E-Mobilität fahren. Und dann muss das natürlich grüner Strom sein.
Sie engagieren sich ja seit einigen Jahren auch in der Flüchtlingshilfe. Ganz aktuell ist Afghanistan wieder in den Fokus gerückt.
Die USA und Europa können anderen Ländern keine Demokratie aufdrücken. Und so lange wir so eine komische Politik machen, werden die Flüchtlinge weiterkommen. Ich bin da auch ganz offen: Wir brauchen Flüchtlinge – für unsere Arbeit. Denn jetzt kommt auf einen Pensionär, so wie ich es bin, zwei arbeitende Menschen. Ich arbeite ehrenamtlich seit 2014 mit Flüchtlingen und es gibt sehr viele junge und motivierte Flüchtlinge. Deshalb muss das Bildungssystem für diese Menschen geöffnet werden.
Haben Sie da konkrete Erfahrungen sammeln können?
Ja, allerdings. Ich habe einem Jungen geholfen, der ursprünglich aus Afghanistan stammt und vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Damals war ich in der Elternpflegschaft der Realschule und habe zu dem Direktor gesagt: ‘Öffnen Sie das Bildungssystem! Das ist ein schlauer Junge!’ Nach zwei Jahren war das der beste Schüler der ganzen Realschule, obwohl er kein Wort Deutsch konnte. Und jetzt studiert der Medizin an der Charité in Berlin.
Jetzt ist es freilich mit dem Öffnen des Bildungssystems für Migranten nicht getan...
In der Tat müssen die Schulen besser ausgestattet werden. Wir leben in einem digitalen Zeitalter. In den Niederlanden hat jeder Schüler seinen eigenen Laptop.
In Emmerich oder Rees wurden aber beispielsweise jetzt auch alle Schüler mit einem Tablet ausgestattet.
Ja, jetzt. Viel zu spät. Das hätte vor der Pandemie schon sein müssen.
Sollten die Freien Wähler in den Bundestag kommen, wird die Parteienlandschaft noch vielfältiger. Ist das nicht ein Risiko? Gerade auch beim Blick auf ihr Geburtsland...
Ganz im Gegenteil. Eine weitere Partei würde der Politik nur gut tun. Und dass in den Niederlanden 15 Parteien sind, ist auch gut. Dass da keine Regierung zustande kommt, hat mit der Anzahl der Parteien auch nix zu tun.
>> Die Kandidatin
Hanneke Hellmann wurde vor 71 Jahren in der Kleinstadt Schoonhoven, in der Provinz Südholland geboren. Die weiterführende Schule besuchte sie in Rotterdam. Beim Karneval in Düsseldorf in den frühen 1970er-Jahren lernte sie ihren späteren Mann kennen.
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Nach ihrem Studium der Sozialarbeit, Fachrichtung Gemeinwesen, in Holland zog sie mit ihrem Mann nach Bonn, wo dieser sein Medizin-Studium absolvierte. Derweil trat Hanneke Hellmann eine Stelle beim Jugendamt der Stadt Bonn an.
Nachdem ihr Mann sein Studium abgeschlossen hatte, zogen sie nach Geldern. Das Ehepaar bekam vier Kinder (zwei Töchter, zwei Söhne) und freut sich heute über die sechs Enkelkinder. Hanneke Hellmann gehörte dann zu den Gründern eines Waldorf-Kindergartens. Als die Kinder größer waren, nahm sie wieder ihren Beruf auf, beim Jugendamt der Stadt Geldern im Bereich der Familienbegleitung.
Privat ist sie Mitglied des Vereins Experiment in Bonn. Immer wieder waren auch Austauschschüler aus aller Welt bei Familie Hellman zu Gast. Ein besonderes Projekt startete die Bundestagskandidatin der Freien Wähler im Jahr 2010, als sie den Skater- und BMX-Verein Auf Achse gründete. Damals mussten 90.000 Euro gesammelt werden (die Stadt Geldern gab 35.000 Euro dazu), um die entsprechenden Anlagen zu bauen.
2015 wurde sie Rentnerin und trat noch im gleichen Jahr als unabhängige Kandidatin bei den Bürgermeisterwahlen in Geldern an. Hanneke Hellmann verfügt sowohl über die niederländische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Mit dem Interview mit Hanneke Hellmann endet unsere Serie zur Vorstellung der Bundestagskandidaten im Kreis Kleve. Gerne hätten wir auch den Bundestagskandidaten der Partei Die Basis im Kreis Kleve, Andreas Reiß aus Rheurdt, im Rahmen eines Interviews vorgestellt. Leider ließ der Kreisverband der Partei unsere Anfragen unbeantwortet.