Rees-Haldern/Kreis Kleve. Der SPD-Bundestagskandidat Bodo Wißen stellt sich den NRZ-Fragen im Interview. Von Wohnraumförderung bis sozialökologischen Umbau der Wirtschaft.

Bei der letzten Bundestagswahl zogen die ersten 18 Plätze der SPD-Liste, um in den Bundestag einzuziehen. Bodo Wißen, der Kreis Klever SPD-Kandidat, wird also mit Listenplatz 37 bei der kommenden Wahl eher den Wahlkreis gewinnen müssen, um einen Platz zu ergattern. Wofür der Halderner sich einsetzt, darüber sprach er mit der NRZ.

Sie setzen sich für eine Stärkung der kommunalen Wohnraumförderung ein: Wie soll das praktisch aussehen? Und wer zahlt das?

Wir haben in unserem Zukunftsprogramm festgelegt, dass wir pro Jahr 400.000 Wohnungen bauen wollen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Konkretes Beispiel: Wir als SPD Kreis Kleve haben ja in Kleve eine neue Geschäftsstelle gebaut. Oben drüber haben wir 20 Wohnungen gebaut, alle ausschließlich Sozialwohnungen, zehn davon auch noch rollstuhlgerecht.

Wir wollen ein Bündnis fürs Wohnen, also die kommunalen Träger, die Genossenschaften, die Wohnungswirtschaft, die Bauwirtschaft, die wollen wir an einen Tisch holen. Wir haben den Kommunen schon ein Vorkaufsrecht ermöglicht: Steht ein Grundstück zum Verkauf, kann die Gemeinde es direkt zum Verkehrswert erwerben, bevor es auf den Markt kommt. In angespannten Wohnungslagen können Kommunen Baugebote verhängen. Dann können die Grundstücke nicht einfach zu Spekulationszwecken brachliegen, sondern müssen bebaut werden.

Auf kommunaler, Landes- und Bundesebene wünsche ich mir aktive Wohnungsbaugesellschaften. Der Staat selbst muss wieder mehr bauen und vermieten. Wir hatten sowas früher. Die Eisenbahnerwohnungen zum Beispiel. Wir hatten früher viel mehr solcher Wohnungen für Leute mit kleinem oder mittleren Einkommen. Da wollen wir wieder hin.

Der 47-jährige Bodo Wißen ist derzeit Ratsmitglied in Rees und 1. Vizebürgermeister der Stadt Rees. Er möchte den Kreis Kleve im Bundestag vertreten.
Der 47-jährige Bodo Wißen ist derzeit Ratsmitglied in Rees und 1. Vizebürgermeister der Stadt Rees. Er möchte den Kreis Kleve im Bundestag vertreten. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Ich würde dafür plädieren, dass es zu einer stärkeren Durchmischung kommt. Wenn beispielsweise eine Stadt ein Baugrundstück freigibt, sollte man den Investor verpflichten, ein Drittel der Wohnungen für Leute mit geringerem Einkommen zur Verfügung zu stellen. Das wird teilweise schon gemacht, aber noch zu wenig. Wohnen ist eine soziale Frage. Wir können es nicht hinnehmen, dass Menschen ein Drittel ihres Gehaltes und mehr nur fürs Wohnen ausgeben.

Die kommunalen Finanzen sind auch durch Corona strapaziert worden: Wie kann der Bund die städtischen Finanzen stärken?

Der Bund hat sich extrem eingebracht bei der Unterstützung der Kommunen in der Großen Koalition. Es war gut, dass die SPD mit an der Regierung war, sonst wäre das nicht so passiert. Der Bund hat 600 Milliarden Euro für einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufgelegt. Wenn ich das städtische Leben erhalten will, Stadttheater, Schwimmbäder und so weiter, dann muss ich die Einnahmen der Kommunen stärken. Dabei spielen die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer eine überragende Rolle. Deswegen ist es immens wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben, dass Wirtschaft vor Ort funktioniert.

Erinnert sei auch an die Überbrückungshilfen November und Dezember. Die hat der Bund angestoßen und bezahlt. Das hätte manchmal deutlich schneller laufen können, war aber unterm Strich erfolgreich und auch notwendig. Wir haben Kurzarbeitergeld eingeführt, die Bedingungen verbessert, den Kreis derjenigen, die potenziell Kurzarbeitergeld beantragen können, vergrößert. Das war total hilfreich. Da waren teilweise sechs Millionen Menschen angemeldet. Es sind nicht tatsächlich alle in Kurzarbeit gegangen. Aber wir haben die Möglichkeit gegeben und das hat Sicherheit gebracht. Das sind enorme Summen. Die werden auch künftige Haushalte belasten. Ich war in einer Video-Schalte mit den kommunalen Spitzenverbänden dabei, als Olaf Scholz zugesagt hat, auch künftig Bundesmittel für Kommunen zur Bewältigung der Folgen der Corona-Krise zur Verfügung stellen zu wollen.

Es ist wichtig festzustellen: Von 2014 bis 2019 hat die Große Koalition keine Schulden gemacht. Das versetzt uns in die Möglichkeit solche Programme aufzulegen. Wir haben 2020 eine Investitionsoffensive von 71 Milliarden aufgelegt, in 2021 von 61 Milliarden Euro. Die SPD engagiert sich extrem stark, dass die Leute nicht ihren Job verlieren, dass Ausbildungsplätze angeboten werden können und dass die Wirtschaft wieder anlaufen kann. Das verdanken wir Olaf Scholz, der die Grundlage gelegt hat.

Die SPD will die „Produktion ökologisch revolutionieren“. So steht’s auf der Seite bodo-wissen.de: Wie können Sie Unternehmer beruhigen, die bei einer solchen Aussage zusammenzucken?

Ja, Deutsche haben es nicht so mit Revolutionen. Als Historiker weiß ich das. In unserem „SPD-Zukunftsprogramm“ sprechen wir vom „sozialökologischer Umbau der Wirtschaft“. Im Manager-Sprech würde man von einer „großen Herausforderung“ reden. Wir müssen ganz viel tun beim Thema Klimaschutz und gleichzeitig müssen wir ein starkes Industrieland bleiben. Wir wollen im Jahr 2045 CO2-neutral sein. Das ist nicht mehr so lange hin. Die SPD will, dass wir Industrieland bleiben, dass sogar Jobs durch die Umstellung auf die Klimaneutralität entstehen, gute Arbeits- und Ausbildungsplätze.

Ich kann gut verstehen, dass vielen diese Herausforderung Angst macht. Deswegen müssen wir eine Perspektive aufzeigen. Zum Beispiel gibt es ein Projekt von Thyssen Krupp, da wird Stahl mit Wasserstoff hergestellt. Das ist eine Riesenchance. Es gibt auch ein Wasserstoffbündnis im Kreis Kleve. Es wächst enorm. Photovoltaik auf dem Dach muss eine Selbstverständlichkeit werden. Dafür brauchen wir die Netze. Dafür brauchen wir mehr Windräder.

Was heißt sozialökologisch?

Der Staat, also Bund, Länder und Kommunen, vergeben Aufträge im Wert von etwa 300 Milliarden Euro im Jahr, eine Wahnsinnssumme. Wir von der SPD wollen eine Bundestariftreue durchsetzen, das heißt, dass nur noch derjenige staatliche Aufträge erhalten kann, der sich an tarifliche Vereinbarungen hält. Es gibt viele Start-Ups, viele Ideen, ganz viele Erfinder und Ingenieure. Wir wollen einen öffentlichen Wagniskapitalfonds auflegen, der solche Ideen unterstützt, um Zukunftsbranchen zu fördern.

Wir wollen Gebühren für Meister- und Technikerkurse abschaffen. Wir brauchen Innovation. Und die findet nicht nur im Labor statt, sondern ganz oft auch in kleineren und mittleren Betrieben.

Wir wollen eine One-Stop-Gründungsagentur statt dieses Förderdschungels. Alle meinen es gut – es gibt Fördertöpfchen vom Land, vom Bund, von der EU, von der Kommune, von Förderbanken. Manchmal schließen sich Förderungen gegenseitig aus, Viele winken da ab. Da müssen wir stärker als bisher Gründerinnen und Gründer ermutigen. Und aufzeigen: Hier ist der Ansprechpartner, der dir hilft.

Der Kreis Klever SPD-Bundestagsabgeordnete Bodo Wißen aus Haldern im Gespräch mit NRZ-Redakteur Marco Virgillito.
Der Kreis Klever SPD-Bundestagsabgeordnete Bodo Wißen aus Haldern im Gespräch mit NRZ-Redakteur Marco Virgillito. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Durch Corona wurde die Arbeit im Homeoffice für viele zum Alltag: Was muss passieren, damit Wohnorte immer mehr auch die Arbeitsorte werden können?

Bei 40 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze ist Homeoffice möglich. Das Homeoffice wird auch nach der Pandemie bleiben, da bin ich sicher. Erste Voraussetzung ist: eine vernünftige Internetanbindung. Wir fordern in unserem Zukunftsprogramm die Ein-Gigabit-Gesellschaft.

Dann müssen wir schauen: Wie sind die Bedingungen zuhause? Nicht, um große Vorgaben zu machen. Allerdings sollten die Menschen nicht mit Rückenschmerzen achteinhalb Stunden am Couchtisch sitzen und arbeiten müssen. Das kann man alles regeln. Für den Kreis Kleve ist das Thema Homeoffice eine Riesenchance. Etwa für Menschen wie mich, die jetzt nur noch zwei- oder dreimal die Woche nach Düsseldorf fahren müssen. Wenn dann jemand denkt, der Kreis Kleve ist eine schöne Ecke zum Leben und Wohnen, dann werden auch weitere Entfernungen zum Büro in Kauf genommen.

Ich genieße es allerdings auch, die Kolleginnen und Kollegen regelmäßig persönlich zu treffen. Es gibt Effekte, die nur durch die persönliche Begegnung entstehen. Ganz viele wollen ein Hybridmodell: zwei, drei Tage zuhause, den Rest in der Firma oder in der Verwaltung.

Plötzlich zieht die SPD in Umfragen an CDU und Grünen vorbei. Können Sie sich erklären, warum die SPD gerade im Aufwind ist?

Weil wir mit Olaf Scholz einen super Kandidaten haben. Ein super Typ, ein Mensch, der viel Erfahrung hat, der einen Amtsbonus hat und das verkörpert, was gerade gewünscht ist. Bei den Umfragewerten liegt er weit über den anderen.

Und weil wir wirklich ein gutes Programm haben mit knackigen 66 Seiten, wo Schwerpunkte gesetzt werden. Das sind Digitalisierung, Gesundheit, Klimaschutz und Verkehr. Ich finde es gut, dass wir nicht so eine Bleiwüste haben, wo 180 Seiten zusammengeschustert werden, damit sich jeder wiederfindet. Wir setzen Schwerpunkte. Außerdem ist unser Programm finanziell seriös durchgerechnet - im Gegensatz zu den Programmen der anderen Mitbewerber.

Welche Chancen rechnen Sie sich aus, ein Direktmandat zu holen?

Die Stimmung ist gut. Die Umfragen sind gut. Aber wir wollen keine Umfrage gewinnen, sondern eine Wahl. Wir haben den Wahlkreis noch nie gewonnen. Aber wenn ich an Dominik Pichler denke, Bürgermeister in der Wahlfahrtstadt Kevelaer, der mit 77 Prozent gewählt wird, dann kann das auch im Kreis Kleve passieren. Ich würde mich sehr über ein Direktmandat freuen.

>> Das ist Bodo Wißen

Bodo Wißen (47) wurde in Wesel geboren und ist in Haldern aufgewachsen. Mit Ausnahme der Jahre 2013 bis 2016, wo er mit seiner Familie in Brüssel wohnte, lebte er auch immer in Haldern. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Nach einer Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten schloss er das Studium in den Fächern Geschichte und Politik ab. Er arbeitete erst für die Deutsche Telekom, wurde dann aber in den Landtag gewählt. Er war auch in der Staatskanzlei, bei der Landesvertretung in Brüssel, bei der Landesvertretung in Berlin und in verschiedenen Ministerien tätig. Heute ist er stellvertretender Referatsleiter des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung in der Bauabteilung.

Von 2005 bis 2010 war im NRW-Landtag vertreten; hier auch verkehrspolitischer Sprecher. Wißen war neuneinhalb Jahre im Kreistag Kleve aktiv. Aktuell ist er Ratsherr und 1. Vizebürgermeister von Rees.