Emmerich/Rees. Die Kommunen im Nordkreis Kleve registrieren einen noch nie dagewesenen Zuspruch zur Briefwahl. Erwächst daraus ein Demokratieproblem?
Die Kommunen im Kreis Kleve verzeichnen bereits jetzt eine Rekordbeteiligung bei der Briefwahl. Nahezu alle Kommunen melden, dass es mehr Briefwahlanträge als bei der vorherigen Bundestagswahl gibt. In Emmerich hatten im Jahr 2017 von 14.150 Wahlberechtigten 5017 Personen die Briefwahl genutzt. Bereits jetzt, nur zwei Wochen nach der Versendung der Wahlbenachrichtigung haben 5009 Menschen einen Antrag auf Briefwahl gestellt.
Viele Bürger nehmen die Briefwahl in Anspruch
In Rees sieht es ähnlich aus. Hier registrierte die Stadtverwaltung bislang 3985 Anträge auf Briefwahl. Vor vier Jahren nutzen 4310 Menschen diese Möglichkeit der Stimmabgabe.
Die Stadtverwaltung in Emmerich geht davon aus, dass gut 50 Prozent der Wähler nicht an die Wahlurne treten werden, sondern schon im Vorfeld ihr Kreuzchen gesetzt haben. Rees rechnet mit gut 7000 Briefwahlanträgen von 17.175 Wahlberechtigten.
Mehr Briefwahlvorstände vorgesehen
Das veränderte Wahlverhalten hat auch Einfluss auf die Organisation der Bundestagswahl. So hat Emmerich die Zahl der Wahllokale von 21 auf 18 reduziert und die Zahl der Briefwahlvorstände von 5 auf 7 erhöht. Im Bedarfsfall könne man noch weitere Briefwahlvorstände einrichten, so Emmerichs Stadtsprecher Tim Terhorst auf NRZ-Nachfrage. Auch in Rees ist man darauf vorbereitet.
Am Wahlabend selbst werden die Stimmzettel der Briefwähler an einem zentralen Ort ausgezählt. Im Emmerich ist dies die Rheinschule, in Rees das Rathaus. Die Auszählung der Stimmzettel erfolgt dann erst ab 18 Uhr. Jeder Briefwahlvorstand in Emmerich muss dann jeweils rund 1000 Stimmzettel zwei Mal auszählen. Dies nehme natürlich mehr Zeit in Anspruch, so Terhorst. Rees rechnet mit keinen Verzögerungen bei der Auszählung.
Wird die Briefwahl zur Regel?
War die Briefwahl viele Jahre eher die Ausnahme, scheint sie jetzt tendenziell zur Regel zu werden. Die Briefwahl erscheint bequem und einfach. Und der Wähler kann sich zu Hause in Ruhe den Wahlzettel ansehen und sich über die Kandidaten informieren. Doch dies ist jedoch vom Gesetzgeber ursprünglich so nicht gedacht. Das Bundesverfassungsgericht schrieb am 15. Februar 1967 in einem Urteil zur Briefwahl: „Der Gesetzgeber hat die Briefwahl nicht unbeschränkt und unbedingt zugelassen, sondern nur in den Fällen gestattet, in denen der Stimmberechtigte glaubhaft macht, daß er sein Wahlrecht nicht durch persönliche Stimmabgabe ausüben kann. Auch muß der Stimmberechtigte die Initiative ergreifen, um sich die Briefwahlunterlagen zu beschaffen.“ Bei der Bundestagswahl 1961 hatten aber nur 5,9 Prozent der Wähler von der Briefwahl Gebrauch gemacht. 1981 urteilte das Bundesverfassungsgericht in ähnlicher Weise. Ebenso 2010 im Rahmen der Europawahl.
Wahlgrundsätze müssen beachtet werden
Nach Artikel 38 des Grundgesetzes müssen Bundestagsabgeordnete in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. Ob eine Briefwahl zu Hause geheim und frei erfolgt ist, kann im Zweifelsfall nicht ermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht erläutert daher in einem Beschluss vom 9. Juli 2013, dass bei der Briefwahl die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe zurückgenommen ist. Auch die Integrität der Wahl sei nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal. Die Zulassung der Briefwahl diene aber dem Ziel, eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen.
In dem gleichen Beschluss weist das Gericht bereits darauf hin, dass der Gesetzgeber bereits in den Blick genommen habe, dass eine deutliche Zunahme der Briefwähler in Konflikt mit dem Leitbild der Urnenwahl kommen könnte.
Die Briefwahl ist legitim
Ist dieser Punkt bei 50 Prozent Briefwahlbeteiligung gekommen? Die Stadt Emmerich möchte sich zu dieser Frage nicht äußern. Der Bürgermeister von Rees sieht die Grundsätze einer freien und geheimen Wahl „in jedem Fall gewährleistet“, so Stadtsprecher Jörn Franken.
Landrätin Silke Gorißen: „Die Briefwahl ist eine legitime Möglichkeit, seine Stimme abzugeben. Seit eineinhalb Jahren verringern wir in der Corona-Pandemie den Kontakt zu anderen Menschen. Ich kann daher jede und jeden verstehen, der in der aktuellen Lage, lieber keinen Wahlraum aufsuchen möchte, sondern die Briefwahl nutzt. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und die Bundeswahlordnung entsprechend der steigenden Zahl an Briefwählerstimmen angepasst. Einer Bundestagswahl nach den Grundsätzen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim steht - meiner Ansicht nach - nichts im Wege.“