Emmerich. Die Greensill-Affäre kostet Emmerich wohl sechs Millionen Euro. Bürgermeister Peter Hinze nimmt im NRZ-Interview ausführlich Stellung dazu.
Die Stadt Emmerich ist gerade in vielen überregionalen Medien präsent. Sechs Millionen Euro wird die Stadt vermutlich bei einer Greensill-Bank-Insolvenz verlieren. Im Gespräch mit der NRZ nimmt Bürgermeister Peter Hinze ausführlich Stellung.
NRZ: Die halbe Nation schüttelt gerade über Emmerich den Kopf und belustigt sich über waghalsigen Anlagestrategien der Stadt. Verletzt Sie das als Bürgermeister?
Peter Hinze: Es geht nicht um meine Person, als Bürgermeister muss man das aushalten – auch wenn’s manchmal schwerfällt. Ich sorge mich vor allem um meine Mitarbeiter. Mich ärgern der Spott, die Häme und die Unwahrheiten, die in der Öffentlichkeit – häufig ohne einen Funken Sachkenntnis – über meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbreitet werden.
Aber warum um Gotteswillen legt man sein Geld bei einer Bank an, die bis zur vergangenen Woche kaum keiner kannte?
Also die Greensill Bank ist keine ganz unbekannte Bank. Dass was wir über Finanzvermittler und eigene Recherchen herausbekommen haben, waren gesicherte Informationen. Wir hatten bereits vor einem Jahr eine Millionen Euro dort angelegt, reibungslos. Die Greensill Bank unterliegt wie alle deutschen Banken der Aufsicht der BaFin und darauf müssen wir vertrauen.
Wie viel Verzinsung hat man Ihnen denn versprochen?
Mit der ersten eine Million Euro vor einem Jahr war noch ein kleiner positiver Zinssatz verbunden. Und bei den letzten fünf Millionen gab es keine Zinsen mehr. Die Anlage diente allein dem Zweck, Negativzinsen zu vermeiden.
Haben Sie für die erste Anlage 0,3 Prozent bekommen?
Nein, weitaus weniger.
Greensill kaufte gegen einen Abschlag Forderung von Unternehmen auf und holte sich das Geld bei den Schuldnern wieder. Das hört sich nach einer Art Inkasso-Geschäft an. Klingt nicht seriös. Was wussten Sie vom Geschäftsmodell?
Wir haben uns natürlich auch das Rating, die Bilanz und das Geschäftsmodell des Unternehmens angeschaut, bevor wir Geld angelegt haben. Uns lagen unterschiedliche Angebote eines Finanzvermittlers vor. Dieses Geschäftsmodell ist durchaus gängig. Dass Firmen ihre Forderung verkaufen, versetzt sie in die Lage, schneller über liquide Mittel zu verfügen.
Warum haben Sie nicht bei der Sparkasse angelegt, da kennt man doch die internen Verhältnisse bestens?
Wir haben unsere liquiden Mittel breit gestreut gehabt. Und die Negativzinsen beliefen sich schnell auf einen fünfstelligen Betrag.
Eine naive Frage: Warum wird von der Stadt Emmerich überhaupt Geld angelegt? Und worin wurde das Geld genau investiert?
Wir legen das Geld, was kurzfristig nicht benötigt wird, an, damit wir Negativzinsen vermeiden. Wir haben laut Gemeindeordnung die Verpflichtung, wirtschaftlich mit dem Geld umzugehen und somit auch dafür zu sorgen, dass es sich durch Negativzinsen nicht von alleine auffrisst. Die fünf Millionen etwa wollten wir für drei Monate parken. Wir versuchen, kurzfristig breit zu streuen, ohne großartig Negativzinsen zahlen zu müssen. Dass dies jetzt so passiert ist, war nach den bisherigen Erkenntnissen für niemanden im Rathaus absehbar.
Für drei Monate hätten Sie auch bei der Sparkasse nicht viele Negativzinsen zahlen müssen, oder?
Unabhängig vom Geldinstitut. Wenn wir mal von den fünf Millionen Euro für drei Monate ausgehen, dann wären bei den derzeit marktüblichen 0,5 Prozent Negativzinsen rund 6.500 Euro fällig geworden
Wissen Sie, was die Greensill-Bank mit dem Geld gemacht hat?
Ich weiß nicht zu 100 Prozent zu sagen, wo Geld investiert worden ist. Sie haben gerade das Geschäftsmodell erwähnt, dass Forderungen gekauft werden. Bei einer Laufzeit von drei Monaten wird das Geld sicherlich nicht in Fondsgeschäfte angelegt. Ich kann aber auch nicht zu 100 Prozent sagen, was andere Banken im Details mit unserem Geld machen.
Hat die Stadt ethische Anlageprinzipien?
Wir gucken natürlich danach, wo Geld angelegt wird. Geldanlagen, die mit Kinderarbeit oder anderer Form von Ausbeutung verbunden sind, machen wir natürlich nicht. Aber Sie spielen wahrscheinlich jetzt auf die Anlagerichtlinien an, die wir nicht haben. Es gibt seitens des Landes Empfehlungen für die Aufstellung von Richtlinien für Anlagen, die langfristig geplant sind. Wir verfügen aktuell insgesamt über rund 17 Millionen Euro an liquiden Mitteln. Das klingt viel, sind aber keine Summen, die wir langfristig über mehrere Jahre anlegen könnten. Aber, klar ist: Als eine Konsequenz aus diesem Fall werden wir uns mit der Aufstellung einer Anlagerichtlinie beschäftigen.
Woher kommt das Geld, das Sie angelegt haben?
Das sind liquide Mittel, die aus den Einnahmen entstehen, die wir als Stadt generieren. Die guten Jahresabschlüsse der vergangenen Jahre wirken sich selbstredend auch auf die Liquidität aus, die als gut und stabil bezeichnet werden kann. Das war bis 2017 nicht der Fall, es mussten immer wieder Kassenkredite aufgenommen werden.
Sie haben sich die Bilanzen von Greensill angesehen und geprüft. Sie sind auch beraten worden. Wer hat Sie beraten?
Wir arbeiten mit einem kommunalen Finanzvermittler zusammen, dem wir unsere Anforderungen für die Anlage nennen und der uns dann verschiedene Angebote und Vorschläge unterbreitet. Wir haben uns hausintern dann das Rating, die Bilanzen und das Geschäftsmodell der Banken angesehen und verglichen und sind im aktuellen Fall zu dem Ergebnis gekommen, dass die Greensill-Bank wie auch im vergangenen Jahr für drei Monate eine gute und sichere Lösung bietet. Aber was nützt es mir, wenn ich mir die Bilanz anschaue und im Nachhinein feststellen muss, dass die Zahlen manipuliert waren? Was nützen mir Ratings von unabhängigen Dritten, wenn ich mich darauf nicht verlassen kann?
Wann haben Sie die fünf Millionen genau angelegt?
Mitte Februar.
Rechnen Sie mit einem Totalverlust des Geldes?
Wir müssen befürchten, dass die angelegten Gelder ganz oder teilweise verloren sind. Es ist aber zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht ausgeschlossen, dass es zur Wiederaufnahme des Bankbetriebes oder einer Übernahme durch Investoren der Greensill Bank kommen wird. Sollte es zu einer Insolvenz kommen und keine Rückflüsse der Einzahlungen erfolgen, wären die Forderungen im Insolvenzverfahren anzumelden. Wir lassen uns jetzt anwaltschaftlich vertreten. Wir haben in der nächsten Wochen mit anderen betroffenen Kommunen eine Videokonferenz, um zu besprechen, welche Möglichkeiten es gibt und welche Aussichten bestehen, unser Geld zurückzubekommen. Mir ist auch klar, dass die Chancen wahrscheinlich sehr gering sein werden. Aber wir wollen nichts unversucht lassen, den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen.
Was bedeutet der Verlust von sechs Millionen Euro für Emmerich?
Es ist nicht so, dass wir dadurch in die Haushaltssicherung rutschen, davon sind wir aufgrund gut gefüllter Ausgleichsrücklage weit entfernt. Ein Teil unserer liquiden Mittel scheint bei einer Insolvenz der Greensill Bank verloren zu sein. Aber wir sind weiterhin in der Lage, unseren Verpflichtungen nachzukommen, wir sind weiterhin in der Lage, unsere freiwilligen Leistungen zu erfüllen. Wir müssen uns jedoch mit der Politik Gedanken darüber machen, und zwar auch unabhängig von diesem vermutlich eintretenden Schadensereignis, welche haushaltskonsolidierenden Maßnahmen zu vereinbaren sind. Kurzfristig kann dies durch Verschiebung und Streichung von Maßnahmen erfolgen.
Prüft der Landesrechnungshof bei Ihnen?
Diese Information habe ich nicht. Wir haben unsere örtliche Rechnungsprüfung beauftragt, die Prüfung zu übernehmen. Darüber hinaus habe ich die Gemeindeprüfungsanstalt kontaktiert, weil ich zum Schutz meiner Mitarbeiter Wert darauf lege, dass von unabhängiger, externer Stelle der Sachverhalt noch einmal geprüft wird. Um dann zu sehen, was ist dort schief gelaufen? Hätten wir früher etwas sehen müssen oder nicht? Das möchte ich extern geprüft haben, damit auch die Diskussion aufhört, dass jetzt schon über grobe Fahrlässigkeit gesprochen wird. Wir werden zurzeit alle schon vorverurteilt.
Wer hat das Ganze überhaupt in Auftrag gegeben?
Das finanzielle Herz der Stadtverwaltung schlägt in der Kämmerei. Dort sind zuverlässige und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Werke, die sich nach meinen bisherigen Erfahrungen mit großer Sorgfalt um die Finanzen der Stadt kümmern. Dass jetzt am Ende des Tages vielleicht die sechs Millionen verloren sind, treibt die Kolleginnen und Kollegen dort um - Tag und Nacht.
Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?
Am Ende ist der Bürgermeister verantwortlich.
Wird es eine Sonderratssitzung geben?
Mir ist vorgeworfen worden, ich wäre in der Quarantäne abgetaucht. Das ist schon mal eine Unverschämtheit, aber gut das ist Politik. Wir haben vorgeschlagen, in der nächsten Woche eine Sonderratssitzung durchzuführen. Oder zu warten, bis ich aus meiner Quarantäne wieder da bin. Daher wollen wir am 23. und am 24. März jeweils eine Ratssitzung durchführen. Am 23. würden wir dann die Sonderratssitzung planen.
Rechnen Sie mit einer Strafanzeige gegen Ihre Person?
Eigentlich nicht. Aber das Beispiel Monheim zeigt, dass man als Bürgermeister immer mit allem rechnen muss. Wenn jemand meint, eine Strafanzeige stellen zu müssen, sehe ich dem erstmal relativ gelassen entgegen. Dann wird halt von offizieller Stelle geklärt, ob man mir vorwerfen kann, grob oder schwer fahrlässig gehandelt zu haben.
Sechs Millionen sind vermutlich weg. Verbinden Sie das auch mit einem Rücktritt vom Bürgermeisteramt?
Nein, das verbinde ich nicht damit. Ich trage als Bürgermeister Verantwortung und der werde ich mich stellen. In Verantwortung steckt übrigens auch das Wort „Antworten“. Und die werden wir bzw. die eingeschalteten Prüfer geben. Ich glaube, wir sind – trotz nachvollziehbarer Erregung in der Bürgerschaft – alle gut beraten, ein wenig mehr Sachlichkeit walten zu lassen und die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten. Ich verwahre mich gegen irgendwelche Vorverurteilungen, insbesondere gegenüber meinen Mitarbeitern.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.