Vehlingen. Die drei im vergangenen Jahr in der Anholter Schweiz geborenen Luchse werden in Polen ausgewildert. Doch es kommt zu einer Verwechselung.
Ein kurzer Fluch schallt in den durch Regenwolken verhangenen Himmel der Anholter Schweiz. Dr. Anne Brömmling hat soeben mit einem Lesegerät den Chip eines betäubten Luchses ausgelesen. Die Tierärztin kramt einen kleinen, vom Regen durchnässten Zettel aus ihrer Tasche. Die Nummer stimmt nicht überein mit ihren Notizen.
Denn die drei im vergangenen Jahr geborenen jungen Luchse sollen an diesem Morgen eine lange Reise antreten, an deren Ende die Auswilderung steht. Doch das klappt nur bedingt. Denn neben den drei gut zwölf Monate alten Jungtieren sind im Gehege auch noch deren Eltern. Der betäubte Luchs, dessen Chip Brömmling ausliest, ist allerdings die Mutter. Und die wird weiterhin in der Anholter Schweiz bleiben. Die Jungtiere sind zuletzt so gewachsen, dass eine Unterscheidung selbst den Experten schwer fällt. Eigentlich hätte die Aktion auch schon vor drei Monaten stattfinden sollen. Doch dann kam Corona und die Grenzen wurden dicht gemacht.
Aussiedlung in Westpommern
Noch bevor der Biotopwildpark in Vehlingen seine Pforten für Besucher öffnet, ist eine kleine Reisegruppe aus Polen im Park. Im Gepäck haben sie drei große Holzkisten. Darin sollen die drei Luchse gen Osten befördert werden. Genauer gesagt nach Jabłonowo. Das liegt in Westpommern.
Die ganze Aktion steht unter dem Motto die Rückkehr des Luchses nach Nordwest-Polen. Das Projekt wird von der Westpommerschen Natur-Gesellschaft durchgeführt, zusammen mit dem Institut für Säugetierbiologie der polnischen Akademie der Wissenschaften in Białowieża und dem Kulturzentrum in Mirosławiec. „36 Luchse haben wir dort schon wieder in die Freiheit entlassen“, berichtet Aleksandra Smaga, die die Aktion begleitet. Die Tiere stammen fast ausnahmslos aus deutschen Tierparks.
Betäubungspfeile mit Blasrohr verschossen
In der Anholter Schweiz wird als erstes versucht, die Tiere mit Futter in die Nähe des Zauns zu locken. Sie sollen sozusagen in Schussweite für die Blasrohre kommen. „Bis auf einen Abstand von maximal drei Metern muss man schon an die Tiere rankommen“, erklärt Parkranger Christian Boland. Mit einer Art Betäubungsgewehr könnte die Distanz zwar vergrößert werden, aber dies sei nicht so schonend für die Tiere, wie die Betäubung mittels Blasrohr.
Doch schnell merken die Tierpfleger, dass die Luchse an diesem Morgen nicht wirklich so wollen, wie sie es gerne hätten. Der Regen hält die Tiere davon ab, den durch Bäume und Sträucher geschützten Bereich zu verlassen. „Es sind halt Katzen“, sagt Dr. Anne Brömmling.
Doch bei den beiden weiblichen Jungluchsen sitzen die Betäubungspfeile recht schnell. Sie können verladen werden. Das Männchen ist erst einmal unauffindbar. Schließlich kommt es zur Verwechselung mit dem Muttertier.
Dann wird die Suche abgebrochen. Die Mitarbeiter der Anholter Schweiz und das Team aus Polen beraten sich, wie es weitergeht. In zwei Wochen soll es einen neuen Versuch geben. Dann besuchen die polnischen Tierschützer einen Park in Herford. Bei diesem Weg soll auch die Schweiz wieder angesteuert werden. Die dritte Transportkiste lassen die Polen direkt vor Ort zurück.
Weibchen bleiben länger in Quarantäne
„Grundsätzlich sind sie schon mal ganz glücklich, dass sie die beiden Weibchen haben“, erläutert Boland. „Denn die Weibchen verbleiben länger als die Männchen in der Quarantänestation, bis sie ausgewildert werden können.“ Das rund ein Hektar große Luchsgehege in der Anholter Schweiz wird dann bald wieder nur von den beiden Alt-Tieren bewohnt sein. „Das ist ein Pärchen und wir gehen davon aus, dass sie auf jeden Fall noch mal wieder züchten“, deutet Anne Brömmling an, dass sich vielleicht bald auch wieder Nachwuchs im Biotopwildpark einstellen wird.
>>> Population sicherstellen
Ziel des Projektes ist es, den Luchs in seinem früheren Verbreitungsgebiet im Nordwesten Polens wieder anzusiedeln und geeignete Bedingungen für die Entwicklung der Population sicherzustellen. Um Tiefland-Luchse aus der Gefangenschaft auswildern zu können, werden eine neue Methode angewendet, die auf der „born-to-be-free“-Methode basiert, die bereits in anderen Projekten verwendet wird und den Erfolg der Wiederansiedlung sicherstellen sollte.
Die zugrundeliegende Idee ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich junge, in Gefangenschaft geborene Tiere an das Leben in freier Wildbahn anpassen können, sie zu vermehren und dann gemeinsam mit ihren Müttern freizulassen. In diesem Auswilderungsgehege wird den Tieren im Übrigen auch ein GPS-Halsband angebracht.