Isselburg. Mit nichts als seiner Uniform am Leib betritt Oberst Bues am späten Nachmittag des 14. März 1945 Isselburg. So erlebt er die letzten Kriegstage.
Mit nichts als seiner Offiziersuniform am Leib betritt Oberst Bues am späten Nachmittag des 14. März 1945 Isselburg. Es ist ein Mittwoch. Die Front rückt immer näher. Seinen Pkw und seinen Rucksack hat er noch auf der linken Rheinseite eingebüßt.
Verlust des Tagebuchs schmerzt
„Am ärgerlichsten war mir der Verlust meines Tagebuchs, so dass sich meine folgenden Angaben nur auf ein paar Stichworte stütze, die ich in einem Miniatur-Taschenkalender machte“, schrieb der mittlerweile Oberst a.D. im Jahr 1967. Der Isselburger Lehrer Friedrich Böhme hatte darum gebeten, einen Bericht über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs zu erhalten.
Friedrich Stege kaufte Teile des Archivs von Lehrer Böhme zurück
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Dass diese Aufzeichnungen heute noch erhalten sind, ist Friedrich Stege zu verdanken. Denn als Lehrer Böhme sein umfangreiches Archiv der Stadt Isselburg zur Verfügung stellen wollte, wurde dies damals abgelehnt. Der Lehrer war daraufhin so wütend, dass er seine Unterlagen weltweit anbot. „Einen Teil habe ich später zurückgekauft, ein anderer Teil wurde mir von der Tochter von Lehrer Böhme geschenkt“, erklärt Stege gegenüber der NRZ.
Ein Oberst ohne Truppe
Doch zurück zum 14. März 1945. Der neue Kampfkommandant von Isselburg war nach einer Inspektion der Gegebenheiten gleich desillusioniert. „So etwas ernsthaft verteidigen zu wollen, war purer Unsinn“, so Bues in seinen Erinnerungen. „Was hier ein ausgewachsener Oberst sollte, dazu noch ohne Truppe und Hilfsmittel, war mir schleierhaft.“
Am Abend seines ersten Tages in Isselburg bezieht der Kampfkommandant bei Freifrau von Gillhausen Quartier. Gleich am nächsten Tag setzt Bombardement auf die Stadt ein. Hütte und Bahnlinie werden getroffen. Die Druckwellen zerstören viele Fenster.
Es kommen keine Befehle
Der Oberst wartet weiter auf Befehle. Doch die gibt es nicht. Oder sie erreichen ihn nicht. Zur Untätigkeit verdammt, setzt er die zerbrochenen Fenster im Haus der Gillhausens mit Drahtglas instand.
Am 17. März kommt es zum nächsten Bombenangriff. Zwei Milchschafe der Familie von Gillhausen bekommen Splitter ab und müssen daraufhin geschlachtet werden.
Warten auf Bataillon-Stab
Es ist Sonntag, 18. März 1945. Der Oberst erhält die Nachricht, dass ihm ein Bataillon-Stab zugeführt werden soll. Doch weiter heißt es warten. Die Eintragen von Oberst Bues erinnern in ihrer vordergründig militärischen Rhetorik, aber gleichzeitig brutalen Banalität fast an Erich Maria Remarques Antikriegsepos „Im Westen nichts Neues“ aus dem Ersten Weltkrieg. „Noch keine Weisungen. Keine besonderen Vorkommnisse. Im Rasen die ersten Krokusse“, notiert der Oberst in seinem Taschenkalender am 19. März. Jahrzehnte nach dem Krieg wundert sich der Offizier selbst über so manche Eintragung: „Interessant auch, was man damals zu notieren, für wichtig hielt.“
Dass die Front näher rückt, wird allerdings schon allein dadurch deutlich, dass nun auch Artillerie-Feuer einschlägt. Am 21. März trifft dann eine Funkstreife in Isselburg ein. Der angekündigte Stab steht schließlich am nächsten Tag beim Oberst auf der Matte. Er wird in einem tiefen Keller untergebracht. Vermutlich handelte es sich dabei um den Keller des Postamtes. In der Nacht kommt es zum Bombenangriff.
Bombenangriffe und Abfahrt nach Bocholt
Auch am späten Nachmittag des 23. März gibt’s zunächst einen Bombenangriff, später dann Artillerie-Feuer. Die Nacht ist unruhig. „Am frühen Morgen wurde mir der Befehl überbracht, mich sofort nach Bocholt zu begeben, um dort die Führung als Kampfkommandant zu übernehmen“, so enden die Erinnerung von Oberst Bues an Isselburg, der sich genau zehn Tage in der Stadt aufhielt.
Hauptkampflinie wird nicht besetzt
Sein Nachfolger wird ein namentlich nicht bekannter Major. Nun stehen britische Truppen vor der Stadt. Die noch vorhandenen Wehrmachtstruppen ziehen sich nach Suderwick und Sporck zurück, statt die vorbereitete Hauptkampflinie hinter der Issel zu besetzen.
Interessanter Aspekt: Am 27. März schieben ein Unteroffizier und ein weiterer Mann eine Beton-Panzersperre von der Straße. In der Nacht dringen dann erste britische Panzer über die Werther Straße in die Stadt ein. Am 28. März um 6 Uhr morgens ist Isselburg von schottischen Truppen besetzt. Ein echtes Gefecht hat es um die Stadt nicht gegeben.
>>> Zwei couragierte Frauen
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren haben sich vor allem zwei Frauen in Isselburg mit ihrem couragierten Auftreten einen Namen gemacht.
Schwester Paula Schenk, Leiterin des Melanchthonstifts, verweigerte etwa einem amerikanischen GI den Zutritt zum Keller, in dem Notrationen gelagert waren. Das Melanchthonstift diente seit Oktober 1944 unter anderem auch als Zufluchtsstätte für viele Ausgebombte aus Emmerich. Ein geflügeltes Wort lautete früher: „Es gab damals nur einen Mann in Isselburg, der hieß Paula Schenk!“
Die Hebamme Hanni Römer war ebenfalls eine pragmatisch veranlagte Frau. Die von den Alliierten verhängte Ausgangssperre ignorierte sie, wenn es darum ging, ihrer Tätigkeit in Isselburg, Heelden und Schüttenstein sowie auch 16 Jahre in Anholt nachzugehen.