Rees-Haffen. Margret Derksen ist ein positiv denkender Mensch. Die Ortsvorsteherin aus Haffen versucht sich dem Trend der Individualisierung zu widersetzen.
Der Weg nach Haffen ist weit. Auf der Deichstraße entlang des Rheins, vorbei am Kieswerk und dem Reeser Meer, gelegen am Rande des Kreises Kleve. Die Menschen in Haffen und Mehr haben hier ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt. Als Ortsvorsteherin weiß Margret Derksen (55), dass das Zusammenleben im Dorf nur dann funktioniert, wenn sich viele engagieren.
Frau Derksen, sie sind Mitglied der Grünen. Da wird man nicht zwangsläufig Ortsvorsteherin in Haffen, oder?
Margret Derksen: Ne, das war 2014 schon ein bisschen überraschend Und auch gar nicht von langer Hand geplant. Der alte Ortsvorsteher hatte signalisiert, dass er aufhören möchte und ich war schon recht aktiv im Dorfleben. Im Laufe des Wahlkampfes stellte sich heraus, dass ich da nicht nur richtig Lust zu habe, sondern dass es auch vielleicht etwas werden könnte.
Sie haben sich in der Bevölkerung viele Sympathien erworben.
Derksen: Ich habe im Schützenverein gearbeitet und wir haben viel Zeit in die Schützenhalle gesteckt. Der Verein ist für Haffen der gesellschaftliche Mittelpunkt: Ob Karneval, Schützenfest, Jugendarbeit, Tanzgruppen, Schießgruppen, St. Martin, alles läuft über den Schützenverein.
Was machen Sie als Ortsvorsteherin? Gehen Sie zu den Haffenern und suchen das Gespräch?
Derksen: Ich wünschte mir dafür mehr Zeit, aber ich bin ja auch noch berufstätig. Ich habe deutlich mehr Ideen im Kopf als ich umsetzen kann. Aber wenn was ist, dann kommen die Leute auf mich zu. Ich bin ansonsten bei runden Geburtstagen und Jubiläen. Das sind so zwei bis fünf Termine im Monat. Das ist überschaubar.
Was sind Themen, die den Leuten unter den Nägel brennen?
Derksen: 2016 hatte das Starkregenereignis viele Gemüter erhitzt. Hier gab es einige Schäden in den Häusern und es musste ein Gespräch zwischen Stadt, Deichverband und den Bürgern hergestellt werden. Das ist halt sehr schwierig, wenn man sich da einsetzt. Von irgendjemanden bekommt man immer eins drüber. Man kann nicht immer alle unter einen Hut bringen. Das war für mich eine sehr nervenaufreibende Zeit.
Warum war man unzufrieden?
Derksen: In so einer Situation möchte man jemanden zur Verantwortung ziehen. Das ist auch verständlich. Aber manchmal gibt es nicht nur einen Verantwortlichen.
Sie sind Grüne und in Haffen gibt es sicherlich viele Landwirte. Für die sind Grüne doch ein rotes Tuch.
Derksen: Ich beharre in Gesprächen nicht auf total verhärtete Fronten, sondern ich versuche, die Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Irgendwann hatten wir ja auch mal eine funktionierende Landschaft, bis die Wege auseinandergegangen sind. Aber das Rad der Zeit kann man nicht mehr zurückdrehen. Nein, wir streiten uns hier nicht. Aber das ist auch vielleicht der Vorteil, wenn man sich kennt.
Die Umsetzung des Wirtschaftswegekonzepts birgt auch Konflikte, oder?
Derksen: Hier gibt es schon Befürchtungen, dass bessere Wege zu mehr Verkehr und höheren Geschwindigkeiten führen. Aber wir müssen einen gewissen Ausbaustatus erhalten, damit das Verkehrsnetz nicht zusammenbricht. Wir geben gut 400.000 Euro pro Jahr für die Unterhaltung der Wege aus, deshalb sind sie auch in einem besseren Zustand als in manch anderen Kommunen.
Bei den Einzelentscheidungen kommen dann wieder spannende Gespräche mit Bürgern. Sehen sie sich da als Ratsvertreterin oder Anwältin des Bürgers?
Derksen: Da muss ich für mich eine Position finden: Wo bin ich eher Ratsvertreterin, wo eher Ortsvorsteherin? Das sind Einzelfallentscheidungen. Die sind nicht einfach. Man hätte ein ruhigeres Leben, wenn man diesen Job nicht macht.
Sie hätten gerne mehr Zeit für die Bürger. Was haben Sie für Ideen?
Derksen: Ich möchte gerne hinzugezogene Familien aufsuchen und ins Dorfleben einbeziehen. Das ist mir bislang überhaupt noch nicht gelungen. Dafür hätte ich gerne mehr Zeit. Ich halte dies vor dem Hintergrund des sich verändernden gesellschaftlichen Klimas auch für sehr wichtig.
Stellen Sie fest, dass das Zusammenleben auch in Haffen rauer geworden ist?
Derksen: Die Leute sind weniger bereit, Zeit für die Allgemeinheit zu investieren. Diese Entwicklung geht mir gegen den Strich, aber das darf nicht dazu führen, dass man den Kopf in den Sand steckt. Obwohl ich das manchmal möchte.
Wo gelingt denn Dorfleben heute noch?
Derksen: Bei den Dorffesten sicherlich und bei den Vorbereitungen. Das macht richtig Spaß, wenn viele anpacken. Aber vieles ist auch schwerer geworden. Im vergangenen Jahr haben wir noch Martins-Laternen prämiert. Es wurden aber nur sechs Laternen eingereicht und wir hatten 18 Preise vorgehalten. Früher hatten wir zig Laternen.
Vielleicht müssten Sie eine Playstation verlosen...
Derksen (lacht): Das wäre auch noch eine Möglichkeit… Natürlich sind auch weniger Kinder da. Aber wir haben andererseits auch noch große Tanzgruppen.
Was sehr positiv im Dorf auffällt, ist, dass der Leerstand deutlich zurückgegangen ist. Es gibt kaum noch ein Haus, welches frei steht oder zum Verkauf angeboten wird.
Wie steht es um Neubauten?
Derksen: Wir bekommen keine neuen Baugebiete. Baulücken können noch geschlossen werden, aber das war’s. Der Aspekt „alt werden im Dorf“ ist ein Riesenthema. Wenn man hier alt wird, dann ist das mit der Infrastruktur schwierig: Was die Lebensmittelversorgung betrifft oder die Bargeldbeschaffung. Was ist man doch gekniffen, wenn man hier Bargeld haben möchte.
Wie steht es ums Internet? Müssen Sie hier den Router ankurbeln?
Derksen: Eigentlich schon (lacht). Da vorne an der Straße ist die Grenze. Im Außenbereich mussten wir allerdings Wasser und Gas selbst verlegen. Strom und Telefon wurde in der Tat verlegt. Eigentlich sind wir hier einer der weißen Flecken, der jetzt erschlossen werden müsste. Nur ich bin kein weißer Fleck. Das ist auch ein Thema, um das ich mich kümmere.
Sie befinden sich in Haffen ja ganz weit draußen. Ist es schwer, sich in Rees Gehör zu verschaffen?
Derksen: Vermutlich wird jeder Ortsvorsteher sagen, dass sein Ort zu kurz kommt. Aber wir haben schon das Gefühl - und da kann ich für die Mehrer mitsprechen: Der Damm liegt dazwischen und wir sind weit weg vom Zentrum.
Beim Rettungsdienst merkt man dies besonders. Zum Glück können jetzt auch aus dem Kreis Wesel Rettungswagen anfahren. Wir haben in Haffen noch eine gute Feuerwehr mit Rettungssanitätern, die das mobile Rettungswesen verbessern.
Was macht das Leben in Haffen lebenswert?
Derksen: Ich habe ja durchaus mal etwas Großstadtluft geschnuppert. Aber ganz ehrlich: Das ist nix. Was ich so schätze: Ich mache die Tür auf und bin sofort auf dem platten Land. Hier habe ich Hunde, in der Stadt wahrscheinlich nicht.
Muss man in Haffen denn die Hundehaufen wegmachen oder lässt man die hier liegen?
Derksen (lacht): Natürlich machen wir die weg. Landhunde müssen übrigens nicht...
Toll ist hier die Weite, die Natur, mir guckt keiner in den Garten. Was mir auch gefällt ist die Hilfsbereitschaft. Ich habe jetzt Bäume und Hecken geschnitten und dann kenne ich jemanden, der jemanden kennt, der mit dem Trecker vorbei kommt oder einen Häcksler hat. Das ist ein geben und nehmen.
Was machen Sie eigentlich beruflich?
Derksen: Ich arbeite in der LVR-Klinik in Bedburg-Hau im Maßregelvollzug.
Und was machen sie da?
Derksen: Ich maßregele Männer (lacht).
Na, dann bin ich ja froh, dass das Interview gleich vorbei ist...
Derksen: Ich arbeite auf einer Spezialstation für mental beeinträchtigte psychisch kranke, männliche Straftäter.
Das ist ein schwerer Job.
Derksen: Ja. Aber auch da gibt es Unterschiede. Wenn ich ein zweites Leben hätte, würde ich ja gerne ein bisschen Landwirtschaft betreiben wollen.