Emmerich. . Die Linke geht mit Martin Schirdewan als Spitzenkandidaten in die Europawahl. Sein Regionalbüro hat der 43-jährige Berliner in Emmerich.
Die Linke geht mit Martin Schirdewan als Spitzenkandidat in die Europawahl. 83,8 Prozent der Delegiertenstimmen erhielt er auf dem Parteitag im Februar in Bonn. Wer jetzt denkt, den Namen in Emmerich schon mal irgendwo gelesen zu haben, hat recht. In der Steinstraße 29. Denn hier im Linken-Zentrum hat der 43-Jährige sein Regionalbüro. Die NRZ sprach mit Berliner.
Herr Schirdewan, haben Sie inzwischen eine Verbindung zu Emmerich aufgebaut?
Im vergangenen Jahr hatte ich mehrmals Gelegenheit, die Stadt zu besuchen, habe auf Veranstaltungen unsere Vorstellung von einem Europa erläutert, das für die Menschen da ist und nicht für Banken und Konzerne. Ich habe mich mit Personen aus der Zivilgesellschaft getroffen und mit Betriebsräten aus dem Kreis diskutiert, deren Betriebe von Entlassungen bedroht sind.
Standort-Verlagerungen: Schirdewan für Veto-Recht
Gerade auch hier in der Grenzregion ist es wichtig, dass europaweit Unternehmen Belegschaften ausspielen können. Bei Standortverlagerungen sollen nach unserer Vorstellung Gewerkschaften ein Veto-Recht erhalten. In transnationalen Unternehmen müssen Solidaritätsstreiks möglich sein.
Als EU-Politiker können Sie Einfluss auf grenzüberschreitende Themen nehmen, die für eine Grenzstadt wie Emmerich relevant sind. Wo sehen Sie Ansatzpunkte für ihre politisches Wirken beim… grenzüberschreitenden Verkehr …
Zwei Gedanken hierzu: 1. Der dreigleisige Ausbau der Bahnverbindung zwischen Emmerich und Oberhausen. Da muss auf wirksamen Lärmschutz und auf die Sicherheit der Anwohner geachtet werden. Es kann nicht sein, dass hier auf Kosten der Bevölkerung gespart wird.
Warum gilt das Schokoticket nicht jenseits der Grenze?
2. Ich finde es bedauerlich, dass ein in Emmerich lebendes Kind, das auf der anderen Seite der Grenze in den Niederlanden zur Schule geht, keinen Anspruch auf ein Schokoticket haben soll, für die Fahrtstrecke bis zur Grenze. Das ist nicht meine Vorstellung von einem zusammenwachsenden Europa.
... bei Flüchtlingsfragen ...
Ich finde es unerträglich, dass Jahr für Jahr vor den Augen eines Europa, das die Menschenrechte hoch hält, mehrere tausend Menschen im Mittelmeer ertrinken. Durch eine andere europäische Politik können wir Fluchtursachen bekämpfen. Deshalb fordern wir den Stopp von Waffenexporten, sind gegen Militäreinsätze von EU-Staaten und treten für einen entschiedenen Klimaschutz ein.
Außerdem brauchen wir sichere und legale Flucht- und Einreisewege und eine gemeinschaftliche Migrationspolitik auf europäischer Ebene. Denn die EU darf ihre Mitgliedsländer am Mittelmeer mit der Bewältigung der Aufnahme der Geflüchteten nicht alleine lassen und alle Staaten müssen bereit sein, Geflüchtete aufzunehmen.
Die Linke kämpft fürs Recht auf Wohnen
... bei Fragen der EU-internen Arbeitsmigration ...
Wenn Menschen aus anderen EU-Staaten in Emmerich leben und in den Niederlanden arbeiten, dann ist das für mich zunächst ein Beleg dafür, dass Europa erfolgreich zusammenwächst.
Für Probleme auf dem Wohnungsmarkt ist in erster Linie die neoliberale Politik der vergangenen 20 Jahre verantwortlich. Öffentliche Wohnungsbestände wurden verscherbelt, der Wohnungsmarkt dereguliert. Das Ergebnis sind explodierende Mieten und viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum. Das muss sich grundlegend ändern.
Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht und dafür kämpft Die Linke auch auf europäischer Ebene.
... in der Gesundheitsvorsorge ...
Gesundheit und Pflege stecken europaweit in der Krise. Ärztemangel in Deutschland, insbesondere in ländlichen Gebieten, führt zu überfüllten Arztpraxen und als Kassenpatient fühlt man sich gelegentlich wie ein Mensch zweiter Klasse.
Schirdewan pro öffentlich organisierter Ärzteversorgung
Unser Vorschlag: Wir wollen die Ärzteversorgung öffentlich organisieren, kommunale Ärztehäuser aufbauen. Um die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, wollen wir europaweit mit allen Betroffenen gegen den Pflegenotstand kämpfen.
Wir haben hier eine Reihe von Vorschlägen gemacht, fordern einen europaweiten Pflegemindestlohn, europaweite Mindeststandards bei Personalschlüsseln, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen dürfen nicht dem Profit dienen, sondern gehören wieder in öffentliche Hand.
In Emmerich wurde darüber diskutiert, ob die Stadt sich einen Fördermittelmanager leisten sollte, weil es so viele Fördermöglichkeiten gibt. Auch müssen die Städte häufig einen Eigenanteil zusteuern, um Mittel abzurufen. Wie beurteilen Sie die Situation bei den EU-Fördermitteln aus Sicht einer Kommune wie Emmerich.
Im Dschungel der Fördertöpfe verliert eine Kommune leicht den Überblick. Außerdem macht den Kommunen der hohe bürokratische Aufwand zu schaffen. Deshalb müssen die Bewerbungsverfahren vereinfacht werden.
Eigenanteile zu Förderungen sind eine Belastung
Gleichzeitig sind die Kommunen zur Finanzierung vieler Projekte auf Mittel der EU angewiesen, auch Emmerich. Das stellt alle Kommunen vor große Herausforderungen, da sie sich die geforderten Eigenanteile nicht leisten können. Daran muss sich dringend etwas ändern.
Deswegen fordert Die Linke in NRW schon länger, dass kommunale Eigenanteile zu EU-Fördermitteln nicht auf Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung angerechnet werden dürfen.
>> DAS IST MARTIN SCHIRDEWAN
Martin Schirdewan wurde am 12. Juli 1975 in Berlin geboren. Er studierte Politikwissenschaften an der FU Berlin und promovierte 2007.
Von 2006 bis 2015 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem Abgeordneten der Fraktion Die Linke im Bundestag. Von 2008 bis 2014 Koordinator der AG Ost der Fraktionsvorsitzendenkonferenz Die Linke. Von 2012 bis 2015 und seit 2018 ist er Mitglied des Parteivorstandes Die Linke.
Seit 2017 Abgeordneter im Europaparlament – zuständig für Wirtschafts- und Währungsfragen, Koordination der GUE/NGL-Fraktion im Untersuchungsausschuss TAX3 und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz.
Von 2001 bis 2008 Redakteur der Zeitschrift Utopie kreativ. Von 2006 bis 2008 leitender Redakteur bei Sacco und Vanzetti, dem Jugendmagazin der Tagesmagazin Neues Deutschland. Seit 2011 Redaktionsmitglied der Zeitschrift Antifa. 2015 bis 2017 Leiter des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brüssel, des Verbindungsbüros in Athen und Aufbau des Verbindungsbüros in Madrid.