Emmerich. . Wolfgang Tyssen wird neuer stellvertretender Schulleiter der Gesamtschule Emmerich. Er ist durch und durch Montessorianer. Welche Pläne er hat.

Die Gesamtschule Emmerich hat einen neuen stellvertretenden Leiter. Künftig wird Wolfgang Tyssen aus Kellen Leiterin Christiane Feldmann zur Seite stehen, nachdem Frank Pieper im September verabschiedet wurde. Eine hochinteressante Personalie, denn der 61-Jährige ist „durch und durch Montessorianer“, wie er sagt. Es ist nicht auszuschließen, dass Tyssen mit seiner begeisterungsfähigen Art auch die Kollegen anstecken wird. Vielleicht bekommt die Gesamtschule mal einen Montessori-Zweig.

Aus zwei Gründen wäre das überhaupt nicht abwegig. 1. „Die Gesamtschule befindet sich im Aufbruch. Vieles wird hier im Sinne Montessoris schon indirekt umgesetzt“, sagt Tyssen im NRZ-Gespräch. Denn die Gesamtschule verwendet das Dalton-Prinzip, eine Weiterentwicklung der Montessori-Schule aus den USA. 2. Am Konrad-Adenauer-Gymnasium, wo der Ehemann und Vater von vier Kindern zuletzt sieben Jahre lehrte, hat Tyssen bis heute den Montessori-Zweig in den Klassen fünf bis neun aufgebaut.

24 Jahre war Tyssen an der Montessori-Gesamtschule Krefeld tätig. Für Montessori Deutschland mit Sitz in Köln ist der Kellener seit 1997 Dozent der Montessori-Pädagogik. „Ich darf Kollegen ausbilden. Das habe ich am KAG auch gemacht“, so Tyssen. Satte 24 Kollegen in sieben Jahren. Das ist viel, aber so sparten sich die Kollegen die Fahrten nach Münster oder Düsseldorf für die Weiterbildung, wo sie zudem 1800 Euro dafür hätten bezahlen müssen.

Tyssen gefällt Schule im Aufbruch

Eins-zu-Eins wird dieses Engagement nicht auf die Gesamtschule Emmerich zu übertragen sein. „Ich bin jetzt als Schulleiter hier. Da muss Rollenklarheit herrschen“, sagt Tyssen, der als Vorgesetzter niemandem die Montessori-Pädagogik aufzwingen will. Aber er kenne viele Dozenten, die er nach Emmerich locken könnte, um interessierte Kollegen weiterzubilden.

Warum ist er nach Emmerich gewechselt? „Am KAG habe ich vieles auf die Bahn gebracht. Es läuft. Mein Schulleiter in Kellen brachte mich auf die Gesamtschule Emmerich. Er merkte, ich will weiter.“ Es fiel ihm sozusagen zu. Die Schulleiterqualifizierung sollte Tyssen schließlich nicht umsonst gemacht haben. Christiane Feldmann musste Tyssen nicht lange überzeugen. Der Gesamtschule fehlte ohnehin noch ein Sek II-befähigter Schulleiter, der das Abitur an der Gesamtschule abnehmen darf.

Tyssen ist die Vorfreude auf die neue Aufgabe anzumerken: „Mir gefällt, dass an der Gesamtschule Schule neu gedacht wird. Sie brechen alte Strukturen auf.“ Eine Struktur, die auch Tyssen kritisch hinterfragt: Was nütze das Abi mit 1,0, wenn die jungen Menschen dann noch nicht so genau wissen, wohin ihr beruflicher Weg gehen soll? Deshalb ist den neuen stellvertretenden Schulleiter die Praxisnähe zur Berufswelt wichtig. Er guckt sich in der Nachbarschaft um, entdeckt das Spital, den Rhein. Emmerich biete Möglichkeiten.

Den eigenen Antrieb fördern

Wolfgang Tyssen sieht Schule als Schonraum: „Hier darf man was ausprobieren und Fehler machen. Daraus lernt man. Man entdeckt sich selbst.“ Wer sich selbst eine schulische Herausforderung aussucht, wie das in der Montessori-Pädagogik in Klasse acht gerne gemacht werde, geht diese Herausforderung mit viel mehr Engagement an, als wenn sie vorgegeben wird, erklärt der Lehrer für Biologie, Erdkunde und Katholische Religion. Und wer die Dinge lernt, die ihm Spaß machen, der werde auch intelligenter, ist Tyssen überzeugt. Er habe schon erlebt, dass ein Sechstklässler in Autobüchern versunken sei und sogar bei Kfz-Werkstätten vorstellig wurde, um Fragen zu stellen. So einen Antrieb aus sich selbst heraus gelte es zu fördern: „Es ist eine wichtige Gabe als Lehrer zu beobachten und zu erkennen, was der Schüler braucht.“

Der Neue zeigt Initiative:
Die sogenannte Kinderzukunftswerkstatt möchte Tyssen an der Gesamtschule durchführen. Wenn sonst „Alte“ für „Junge“ planen, gehe es hierbei darum, die Kinder zu fragen, wie sie sich die Bauten der Zukunft vorstellen. Ein Konzept, das auch am KAG schon prämiert wurde.
Besuche im Altenheim kann sich Tyssen gut vorstellen. Die Erfahrungen älterer Mitmenschen würden auch Schüler zum Nachdenken anregen.
Tyssen hat schon Kontakt mit einer Schule in Silute, in Emmerichs litauischer Partnerstadt, aufgenommen. Womöglich blüht über diesen Weg die Städtepartnerschaft wieder etwas auf.
Seit 1995 ist Wolfgang Tyssen Jury-Mitglied bei „Jugend forscht“. „Das würde ich hier gerne rein bringen“, sagt der Kellener.

>> DAS IST MONTESSORI

Was ist die Montessori-Pädagogik überhaupt? Sie wurde 1907 von Maria Montessori gegründet. Das Kind wird als „Baumeister seines Selbst“ gesehen. Deshalb wird der Unterricht offener gestaltet, gibt Raum für Experimente.

Der Lehrer begleitet die Lernprozesse. „Montessori geht davon aus, dass das, was in einem Menschen steckt, sich entwickeln muss. Ich bereite als Lehrer die Umgebung so vor, dass die Talente sich entwickeln“, erklärt Wolfgang Tyssen. Die Schule sei nach Montessori ein Ort der Erfahrung: Wer bin ich? Was kann ich? Wo sind meine Stärken? Frei nach Herder und Göthe erschließen sich die Sache und die Person gegenseitig.

>> KOMMENTAR von MARCO VIRGILLITO

Wolfgang Tyssens Ansatz zur Praxisnähe ist zu begrüßen. Ich erinnere mich noch ans Ende meiner Schullaufbahn. Bei der Wahl des Studiums hatte ich nur Schulfächer im Kopf, aber diese ergeben nicht zwingend Studienfächer und erst recht keinen klaren Berufswunsch. Heutzutage ist in der Schullandschaft dahingehend schon einiges verändert worden. Es gibt mehr Praktika, mehr Kontakt zu den Betrieben. Tyssen als überzeugter Montessorianer möchte die Strukturen einzelner Schulfächer noch mehr auflösen