Haldern. . The Lemon Twigs und der besondere Auftritt von Stargaze mit Gästen als HipHop Orchestra versprechen einmalige Momente beim Haldern Pop Festival.

Heute schließen wir die Serie der Bandvorstellungen zum Haldern Pop Festival ab. Eine Absage gibt es leider zu vermelden: John Maus hat seine Tour abgebrochen, da sein Bruder verstorben ist.

Zur Erklärung: Für jede Band haben wir ein Erlebnispotenzial bewertet. Über Geschmack lässt sich streiten, deshalb versuchen wir gar nicht erst die Qualität der Musik zu bewerten. Das soll jeder Zuhörer für sich selbst tun. Wir versuchen mit dieser Wertung einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Konzert für Sie zum Erlebnis werden kann.

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Ist die Musik leicht zugänglich? Gibt’s Ohrwürmer? Ist es eher eine Nischenband? Inwieweit kann die Band am jeweiligen Spielort gut funktionieren? Wir haben es uns nicht leicht gemacht und trotzdem werden wir sicher nicht immer recht haben. Es ist eine bescheidene Entscheidungshilfe.

Zum Abschluss stellen wir diese Künstler vor:

The Lemon Twigs (Sa, Hauptbühne): Sie sind im Geiste zu einer anderen Zeit geboren worden. Wer die Musik der Brüder Brian und Michael D’Addario und ihrer Band hört, glaubt eine Zeitreise in die 60er und 70er unternommen zu haben. Das Duo aus New York wirkt dabei nicht wie ein Abklatsch bekannter Künstler der Zeit. Klar, Einflüsse von David Bowie, Beatles und Co. sind unverkennbar. Aber die Amerikaner scheinen lediglich ihre Lehren aus der heroischen Musik gezogen zu haben.

Nun bewerben sie sich selbst mit ihren herrliche Pop-Harmonien im Retro-Charme um den Heldenstatus. Es ist herzerfrischend, dass die Lemon Twigs ganz ohne aufwendigen Schnick-Schnack auskommen und handwerklich großartige, durchdachte Melodien darbieten. Beim Haldern Pop Festival darf man der Band einen Triumphzug zutrauen. Musik für: die grundlegende Aufklärung. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Hörproben: „As Long as We’re Together“, „I Wanna Prove to You“

King Gizzard & The Lizard Wizard sind im Tonstudio sehr fleißig. Foto: Haldern Pop King Gizzard & The Lizard Wizard (Sa, Hauptbühne): Kreativität am laufenden Band muss man dieser australischen Formation attestieren. Seit 2011 hat die Gruppe über 15 Tonträger veröffentlicht, allein fünf in 2017. Ihr Psychedlic-Rock, der auch mal experimentelle Umwege über verwandte Genres wie Garage oder Progressive-Rock nimmt, wird von zwei Schlagzeugen eingenordet, etlichen Gitarren auf Kurs gebracht und sorgt durch etliche instrumentale Zwischenstopps für Abwechslung.

Die siebenköpfige Gruppe kitzelt den Zuhörer weniger durch einzelne Hits, die man unbedingt hören muss, als viel mehr durch das Gesamtwerk. Wobei man um das Kompositions-Tempo wissend schon in den Liedern heraushört, das jetzt nicht zwingend alles bis zur Perfektion durchdacht werden soll. Es ist halt auch viel Kunst aus dem Bauch heraus. Musik für: den guten ersten Eindruck, der sich danach aber verflüchtigt. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „People-Vultures“, „Rattlesnake“

The Slow Readers Club treten erstmals auf einem Festival auf dem europäischen Festland auf. Foto: Haldern Pop The Slow Readers Club (Fr, Hauptbühne): Das kann man sich auf der Insel kaum vorstellen, dass die Indie-Rock-Formation aus Manchester, die in Großbritannien längst eine große Nummer ist, beim Haldern Pop erstmals einen Festivalauftritt auf dem europäischen Festland hinlegen wird, wie Haldern Pop berichtet. Es hat in der Band aber auch im Laufe der Jahre einige Veränderungen gegeben, bis sie sich in der jetzigen Formation wohl gefunden hat.

Das Quartett bietet eine tanzbare Kombination von Synthie-Sounds und prägnanten Gitarren-Riffs, dunkel-melancholisch, aber nicht hoffnungslos. Aaron Starkie singt mal getragen wie ein Tom Smith von The Editors, mal driftet er ins Falsette. Das Gesamtpaket deutet jedenfalls eine Opulenz an, die man sich auf der Hauptbühne gut vorstellen kann. Musik für: jene, die Joy Division ganz cool fanden. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „On the TV“, „You Opened up my Heart“

Housewives bezeichnen ihre Live-Shows als Anti-Performance. Foto: Haldern Pop Housewives (Fr, Spiegelzelt): Das Londoner Quartett hat Albtraum-Potenzial. Wenn die Maschinen wie in einem Endzeit-Film die Weltherrschaft übernehmen, dann könnten so ihre Radiohits klingen. Die derben roboter-artigen Stücke mäandern irgendwo zwischen Noise-Rock und experimenteller Musik. Es wabert, es dröhnt, der Gesang ist nur als entfernte Erinnerung zu vernehmen. Ihre Live-Shows bezeichnet die Band als Anti-Performance. Musik für: den Wahnsinn von nebenan. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Excerpt 2“, „Excerpt 7“

Shortparis (Do, Spiegelzelt): Die Gruppe aus St. Petersburg mit sibirischem Hintergrund ist eine spannende Liaison der Welten. Sowohl kulturell als auch musikalisch. Dancefloor trifft aus Post Punk. Griechische Tragödie trifft auf den roten Teppich. Sibirien trifft auf... Paris.

Nikolay Komiagin singt mit Vorliebe im Falsette – Russisch, Englisch, Französisch. Wabernde Synthie-Sounds und satte Beats reißen mit, machen es tanzbar. Immer wieder ziehen derbe Gitarren den Sound in dunkle Welten. Das ganze wirkt sehr experimentell und doch gibt es klare Strukturen. In jedem Fall eine Band, wie man sie nicht jede Woche zu hören bekommt. Musik für: die lang ersehnte Abwechslung. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Стыд“, „Туту“

Diesen Auftritt sollte man nicht verpassen: Stargaze und ihre Gäste improvisieren als HipHop Orchestra. Foto: Maarit Kytöharju Stargaze & Guestes – HipHop Orchestra: (Fr, Hauptbühne): Das Musiker-Kollektiv um André de Ridder wird als Ensemble in Residance neben begleitenden Auftritten hier im besonderen Fokus stehen. Was sich hinter HipHop Orchestra verbirgt, können sich Besucher des Kaltern Pop Festivals 2016 gut vorstellen, die erlebt haben wie Käptn Peng mit Stargaze eine unvergessliche Performance hingelegt haben. Peng rappte spontan, was ihm in den Sinn kam, die Weltklasse-Instrumentalisten stiegen ein – eine magische Liaison. Das Publikum flippte aus. Mal sehen, was in Haldern in diese Richtung gezaubert wird. Musik als: das unkopierbare Live-Event. Erlebnispotenzial: 5/5 Sterne.

Hörproben kann es natürlich noch nicht geben...

Dirty Projectors (Do, Hauptbühne): Da kann man alle Schubladen geschlossen lassen. Die Musik der US-Gruppe um Sänger David Longstreth ist sozusagen ihr eigenes Genre – da kommen so viele Einflüsse zusammen. Man stelle sich vor, man hat eine ganz dünne Leitung zu einer entfernten Musik-Instanz irgendwo auf einem fremden Planeten. Was man hört ist eine verzerrte Version einer Musik, die Pop, R’n’B, HipHop, aber auch Art Rock und Elektro beinhaltet. Nicht mal der Stimme, die man hört, kann man glauben, dass sie in natura so klingt.

Im Juli ist das Album „Lamp Lit Prose“ erschienen, dass sich genau diesem umschriebenen Stil verschreibt. Die Stücke sind sehr verspielt. Mal sind es die Bläser, die herausstechen, mal die abwechslungsreichen Percussions und plötzlich kommt ein satter Gitarrenriff aus dem Nirgendwo. Der Falsett-Gesang wird mitunter überstrapaziert. Musik für: die Unberechenbarkeit des Seins. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Break-Thru“, „I Feel Energy“ (mit Amber Mark)

Tamino(Do, Kirche): Der Belgier mit ägyptischem Vater weiß mit seiner gefühlvollen Stimme die Seele zu berühren. Es ist beeindruckend, wie er einen arabisch anmutenden Singsang in seine Musik einbaut, die eher einer westlichen Kultur zuzuordnen ist. Womöglich der Einfluss seines Großvaters: der ägyptische Sänger und Schauspieler Moharam Fouad.

Auf der im Mai erschienenen EP „Habibi“ sind Balladen und hymnische Pop-Stücke voller Melancholie vertreten, die auch einem Zuhörer gefallen könnten, der sonst er alternativ orientiert ist. Auch in der Haldern Pop Bar hat Tamino-Amir Moharam Fouad schon überzeugt. Ein vollwertiges Album darf gerne folgen. Musik für: das Kribbeln im Bauch. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Cigar“

Rolling Blackout Coastal Fever (Sa, Spiegelzelt): Das australische Quintett hat jüngst das dritte Album „Hope Down“ heraus gebracht. Ihr Indie-Rock ist tanzbar und liefert nicht selten Ohrwurmpotenzial. Etwa beim dem Stück „Talking Straight“.

Keine Frage: Die Gitarren geben hier den Ton an, stehen hierarchisch noch über dem Gesang, der auch eher austauschbar ist. Ein paar hübsche Soli, die im Publikum bestimmt das Luftgitarren-Spiel erregen, sind gerne mal eingebaut. Eine Hand voll überraschende Wendungen gibt’s gratis. Der einzige Wermutstropfen ist vielleicht: Kennste ein Lied, kennste alle. Musik für: solche Leute, die Indie selig macht. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Time in Common“

White Wine (Sa, Spiegelzelt): Wer experimentelle Indie-Musik mag, wird die Leipziger Gruppe um Sänger Joe Haege (aus der Band Tu Fawning), Drummer Christian Kühr (Zentralheizung of Death), Soundmann Fritz Brückner (Menomena) gerne in seiner Playlist haben. Wie verrückt vor allem Haege auch auf der Bühne ist, zeigte er zuletzt beim Rock im Saal im Januar, wo die halbe Performance mitten im Publikum stattfand. Die Musik ist detailverliebt, verstörend, nervenaufreibend – die Perfektion des Chaos’? Der düstere Sound wummert, krächzt und wabert. Musik für: kreative Querdenker. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Killer Brilliance“, „Zeitgeist Plagiarist“

Landlady in der Haldern Pop Bar – der Besuch lohnt sich. Foto: Haldern Pop Landlady(Sa, Pop Bar): Das ist so herrlich leichtfüßig und inspirierend, was die Gruppe um Frontmann Adam Schatz zu Gehör bringt. Das Album „The World Is a Loud Place“ (2017) ist wirklich empfehlenswert. Die Indie-Rock-Stücke sind gespickt mit griffigen, aber nie überladenen Wendungen. Schöne Melodien, die im Ohr hängen bleiben; geschickte Akzentuierungen einzelner Instrumente; die pfiffige Wortwahl oder die packenden Emotionen – die Band Landlady kennt viele Wege den Zuhörer zu überzeugen. Musik für: echte Indie-Seelen. Erlebnispotenzial: 4/5 Sterne.

Hörproben: „Driving in California“, „Person“

Amyl and The Sniffers(Sa, Spiegelzelt): Gibt es das Genre Pub-Rock eigentlich? Die australische Punk-Band lässt sich jedenfalls gut so einordnen. Und zwar dann, wenn es um einen urigen, müffelnden, dunklen Pub geht. Ihre rotzige Musik schmeckt nach abgestandenem Bier, kaltem Schweiß und verrauchten Nächten.

Der fiepsige Gesang von Amy Tayler macht keine Anstalten wohlklingend daher kommen zu wollen. Hier wird die Botschaft heraus gekreischt. Der Punk geht voller Elan und reichlich Gitarren-Gewalt nach vorne. Grauenvolle Frisuren und halbnackte Po-Backen komplettieren die Punk-Protest-Attitüde. Das Spiegelzelt wird schnell auch zu so einem stinkendem Pub. Bestimmt. Musik zum: Mitgröhlen und schweißreich Abrocken. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Cup of Destiny“, „70’s Street Munchies“

Timpan Orange(Sa, Tonstudio Keusgen): Entspannte, romantische Folk-Klänge dürfen die Zuhörer von dem australischen Trio erwarten, das seit 2005 fünf Alben veröffentlicht hat. Die verträumten Singles „Wanderers“ (2017) und „Going Home“ (2018) dürften die Eckpfeiler für ein Album Nummer sechs sein.

Die engelsgleiche Stimme von Emily Lubitz wird von virtuoser Streichmusik von Alex Burkoy sowie dem unaufdringlichen Gitarrenspiel ihres Bruders Jesse Lubitz untermalt. Es ist keine Musik zum nebenbei hören. Aber auch manche flotteren Stücke packen den Zuhörer. Musik für: die endlosen Romantiker. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Someday Jacob treten im Jugendheim auf. Foto: Caspar Sessler Someday Jacob (Fr, Jugendheim): Das norddeutsche Quartett um Sänger, Gitarrist und Komponist Jörn Schlüter spielt melodisch-harmonischen Pop-Rock. Das dritte Album „Everybody Knows Something Good“ (2017) punktet durch eine reife Produktion der Stücke. Lieder wie zum Beispiel „Slow Down“ sind echte Hymnen, auf die man sich beim Festival doch freuen kann. Die Gitarren berühren die Seele. Einziger Nachteil des Gesamtwerkes: Stilistisch gibt es nicht all zu viele Variationen. Musik: um seinen Schatz in den Arm zu nehmen. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörprobe: „Your Medicine“

Ari Roar (Fr, Pop Bar): Der Texaner spielt entspannten Psychedelic-Pop, der sich in herrlich verträumte Melodien verlieren kann. Im Mai hat er sein Debütalbum „Calm Down“ veröffentlicht, das er sich in Haldern zu Gehör bringen wird. Die Gitarren reiten vorneweg, der Gesang fast schüchtern im Windschatten hinterher. Die Musik vermittelt eine schöne Stimmung. Musik für: den Cowboy 2.0. Erlebnispotenzial: 3/5 Sterne.

Hörproben: „Calm Down“, „Implode“

DJ St. Paul (Fr, Spiegelzelt): Der DJ ist im Haldern Pop-Umfeld kein unbekannter, lässt sich auf kein Genre eingrenzen. Er legt in der Nacht zwei Stunden auf. Endlich mal wieder eine Party beim Haldern Pop!