Rees. . Ulrike Pankrath und Alexander Latotzky erzählten erschütternde Familiengeschichten aus der Zeit der SED-Diktatur im Gymnasium Aspel.
- Politische Verfolgungen waren in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR an der Tagesordnung
- Reeser Schüler drehten vom Besuch der Zeitzeugen einen Film, der anderen Schülern gezeigt werden soll
- Schüler fahren im Januar zur Gedenkstätte im ehemaligen „Stasi-Knast“ Bautzen II
Ulrike Pankrath ist 69 Jahre alt. Noch heute versagt ihr die Stimme, wenn sie über das spricht, was ihre Kindheit überschattet hat. Pankraths Vater, Dr. Herbert Dietrich, wird 1947 wegen angeblicher Spionage verhaftet. Der junge Rechtsanwalt wird zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt, die später in zwölf Jahre Arbeitslager umgewandelt wird.
1954 ist er nicht mehr arbeitsfähig. „Zwei Jahre später schreibt er meiner Mutter aus dem Krankenhaus in Leipzig, sie solle ihn aufgeben und ein neues Leben beginnen“, sagt Pankrath als sie sich wieder gefasst hat. „Ich schaffe es nicht mehr“, schreibt Dietrich wörtlich.
Politische Verfolgung war an der Tagesordnung
Seine Tochter, Ulrike Pankrath aus Berlin, und Alexander Latotzky aus dem Dörfchen Koretz in der Pregnitz waren jetzt zu Gast im Gymnasium Aspel, um die Geschichte zu erzählen, die eine wesentliche Weiche in ihrem Leben gestellt hat: die Geschichte einer Diktatur. Der SED-Diktatur.
Menschenrechtsverletzungen und politische Verfolgung sind in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der späteren DDR an der Tagesordnung. „Es wird so leichthin vom Unrechtsstaat gesprochen“, sagt Latotzky im PZ des Schulzentrums vor 50 Schülern des Q2-Geschichtskurses, „aber wichtig ist zu hören, was das für die Menschen bedeutet hat.“
Die Aspeler Schüler sind nicht unvorbereitet. Sie wissen, welche Schicksale die beiden erlitten haben, haben sie doch deren Lebensläufe im Internet recherchiert. „Zudem haben wir telefoniert, Mails gingen hin und her“, erzählt Abiturient Niklas Bongers (17). Mit dem Ziel, die Lebensläufe der Opfer weiter zu vervollständigen.
Mutter wurde durch zwei Rotarmisten vergewaltigt
Auch den von Latotzky, dessen Mutter wegen angeblicher Spionage für die Amerikaner verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Was vermutlich den Ausschlag dafür gegeben hat: Sie hat die Vergewaltigung ihrer Mutter durch zwei Rotarmisten angezeigt, nachdem sie im Februar 1946 in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt und dort ihre halb bekleidete vergewaltigte und erdrosselte Mutter vorgefunden hat.
„Die Täter, zwei Männer in sowjetischen Uniformen, liegen betrunken und schlafend im Nebenzimmer“, so Latotzky. Jedenfalls wird Latotzskys Mutter kurz darauf ins Lager nach Torgau gebracht.
Doch damit ist die Geschichte längst nicht zu Ende. In Torgau verliebt sich Barbara Hoffmann, wie sie später heißt, in einen russischen Wachsoldaten. Eine Liaison, die nicht gewollt ist und Konsequenzen hat. „Als herauskommt, dass meine Mutter mit mir schwanger war, wurde sie zur Entbindung ins Gefängnis Bautzen verlegt“, erzählt der heute 68 Jahre alte Sohn. Seiner Mutter, erzählt man, habe ihren Geliebten zum Tode verurteilt. Tatsächlich wird er 1948 nach Sibirien deportiert.
Erst mit neun Jahren durfte er bei der Mutter leben
Alexander kommt in Bautzen zur Welt. Nach Jahren der Haft wird die Mutter unter der Bedingung entlassen, dass sie als Stasi-Spionin in West-Berlin arbeitet. Ihr Sohn muss allerdings als Faustpfand in der DDR bleiben. Erst 1957, mit neun Jahren, darf er wieder bei seiner Mutter im Westen leben.
Gottlob fliegt erst danach auf, dass die Mutter ihre angeblichen Spinonage-Geschichten frei erfunden hat. „Ich bin stolz darauf, dass meine Mutter nicht für die Stasi gearbeitet hat“, sagt Latotzky. Seine Mutter und Ulrike Pankraths Vater sind längst rehabiliert.
Im PZ richten die Schüler Nele Funke (17) und Thomas Rösen (18) weitere Fragen an die beiden Gäste. Ihr Mitschüler Kevin Reupke (17) filmt derweil. „Er wird den Film später auch schneiden“, teilte seine Geschichtslehrerin Maneja Yazdani mit.
Der Film soll als Schulprojekt anderen Schülern zur Verfügung gestellt werden. „Ich finde es erstaunlich, auf welches Interesse das Thema hier in NRW stößt, in Brandenburg ist man näher dran, aber das Interesse ist nicht da“, wundert sich Latotzky.
Im Januar treffen die Schüler weitere Ex-Gefangene
Übrigens: Ende Januar 2017 haben die Schüler Gelegenheit, mit weiteren ehemaligen politischen Gefangenen und deren Angehörigen zu reden. Dann suchen sie die Gedenkstätte im ehemaligen „Stasi-Knast“ Bautzen II auf. Mit dabei sein werdenihre Lehrerinnnen Anja Brolle und Maneja Yazdani.
„Man kann Diktaturen nicht verhindern“, sagt Latotzky am Ende der Veranstaltung. „Aber man sollte darüber reden, was es bedeutet, wenn beispielsweise der Vater abgeholt wird.“.