Emmerich. . Der ehemalige Emmericher Bürgermeister Klaus Krebber werkelt in seiner Freizeit an einer Modell-Eisenbahn im Keller. Zu den bunten Stücken weiß der einstige Willibrord-Mediziner eine Menge zu erzählen.
Im Keller des ehemaligen Bürgermeisters schlummert ein Mythos. Fein säuberlich und staubgeschützt ruht, hinter Glas, das Krokodil. Früher, als die Emmericher Einkaufswelt auch noch aus dem Spielwarenladen Heiming an der Kaßstraße bestand, drückten sich Generationen kleiner Jungs am Schaufenster die Nase platt. Das Krokodil mit der markanten Figur wies stets einen dreistelligen Rekordpreis aller Ladenartikel aus. Heute müsste man schon, dem Internet „sei Dank“, bis zu „Modellbahn Lübke“ nach Wesel fahren. Um dort vor der Frontscheibe ein ähnlich prickeliges Jungen-Gefühl in der Magengrube kreieren zu können.
Dr. Klaus Krebber, von 1994 bis 1999 oberster Bürger der Stadt, wird wegen seines privat gehüteten Krokodils im Kellergewölbe keinen Ärger mit dem Ordnungsamt bekommen. Sein Exemplar ist zwar auch dunkelgrün. Steht aber auf kleinen Märklin-Schienen. Direkt unter diversen Modellen der Zug-Baureihe 103. Also Elektroloks aus den 70er- und 80er-Jahren in Weiß und Rot. Den ausgemusterten ICE-Vorgänger mit den markanten Luftklappen-Reihen an beiden Fahrzeugseiten erkennt jeder beim Anblick sofort wieder.
Das Krokodil vom Schweizer Hersteller Oerlikon allerdings ist praktisch der Prototyp für jeden ernsthaften Modelleisenbahn-Liebhaber. Das gilt 1970 wie 2015. Mit Glück zahlen Enthusiasten lockere 500 Euro für eine blitzblanke, kratzerfreie Modell-Lokomotive der Echsenmarke. Deren exorbitant lange Vorbauten nach beiden Seiten und das mittige Führerhäuschen geben der Bahn den tierischen Spitznamen.
Sein Sahnestück holt Krebber allerdings aus einem alten Märklin-Karton, der in der Ecke seiner bogenförmig angelegten Modellbahn im Kellergeschoss liegt. „Der alte Rheingold-Express ist mein Lieblingszug“, sagt der 75-Jährige. Blickt dabei stolz auf seine Varianten: die weiß-blau und weiß-dunkelrot gelackten Personenwaggons. Dazu jeweils farblich passende Gepäckwagen. Die waren einst direkt hinter der Dampflok platziert, um den Qualm von den Personenwagen abzuhalten. Mit der elektrischen Lokomotive vornweg braust der Rheingold ausgiebig über Krebbers Hausstrecke.
Von 1928 bis 1987 war das Markenzeichen früher deutscher Bahn-Moderne mit freistehenden Klubsesseln, Küchen und Oberkellnern in fast jedem Wagen auf realen Schienen unterwegs. Vorwiegend als Verbindung zwischen Hoek van Holland, einem Fährhafen zu den Britischen Inseln, und Basel. Krebber ist Teile der Strecke oft gefahren. Als er an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg Medizin studiert, beim Sportmediziner, Olympia- und Tennis-Davis-Cup-Arzt Prof. Dr. Joseph Keul sein Examen abgelegt hat.
Die Modellbahn in Krebbers Kindheit war das simple Schienenoval. Mit vier Waggons und einer Lok. Ein weihnachtliches Vergnügen, das erst nach der Studienzeit zu einem großen Hobby wurde.
Auslöser war, dass ein Uni-Kollege seine Bahnsammlung loswerden wollte: „Über Nacht hatte ich drei Loks, einen D-Zug und einen Güterzug.“ Viele weitere kamen hinzu. Gut 120 sind gezählt. Darunter ein bildhübsches königsblaues Ensemble der Preußischen Eisenbahn um 1890.
Später war die Kellerbahn immer auch Krebbers Stress-Fresser. Gerade in der Zeit, als der Nuklear-Mediziner parallel das Willibrord-Spital leitete und, ehrenamtlich, den Bürgermeister gab. Hieß: 5.30 Uhr früh aus den Federn, am späten Abend an der Bahn ruhig den Kopf reinigen. „Das war manchmal um Mitternacht die beste Medizin. Da konnte ich fluchen, ohne dass es jemand gehört hätte.“
Mit der Bahn verbindet Ex-Bürgermeister Krebber auch kuriose Erinnerungen. In der norwegischen Hauptstadt Oslo landete er mit Ehefrau Gertrud für eine Nacht im Gefängnis. „Wir kamen mit den Zug spät abends an, stellten fest, dass unser Hotel etwas außerhalb der City überbucht war. Als wir kurz vor Mitternacht wieder am Bahnhof zurück waren, um eine andere Bleibe zu suchen, war alles verschlossen. Zwei Polizisten hielten uns für kriminelle Gestalten. Nachdem wir unser Übernachtungsproblem geschildert hatten, dürften wir in einer Zelle der Wache schlafen und nach dem Frühstück am nächsten Morgen nach Stockholm weiterreisen.“
Auch 16 Jahre nach dem Bürgermeister-Amt kann für Rentner Krebber von Ruhestand keine Rede sein. Die Bahn ist noch da. Die Termine und die Aufgaben sind es ebenso. „Hätte ich richtig aufgehört mit allem, wäre ich wohl eingegangen.“
Ein Buch hat er mit seiner Frau gemeinsam verfasst. Über den legendären Hamburger Chorleiter Gottfried Wolters, dem er einst im Radio über den alten NWDR so oft gelauscht hatte. Im Kreistag Kleve ist er (politisch) aktiv. Dazu in diversen anderen Vereinen und Vereinigungen. Die Kunst bleibt ein großes Hobby. Die Eisenbahn ist immer präsent, auch wenn es „technisch manchmal echter Uhrmacher-Kram“ sei. Die reizvolle Möglichkeit, alles digital mit automatisch gesteuerten Gleisen und Weichen fahren zu lassen, fasziniert auch im fortgeschrittenen Alter.
„Irgendwann“, sagt Krebber allerdings, „wird mein vierjähriger Enkel in Finnland was von der Eisenbahn haben.“ Sohnemann Jan hatte einst in Tampere beim früheren Mobiltelefon-Marktführer Nokia eine Stelle angenommen. Heiratete eine Finnin und blieb im dünn besiedelten Suomi der tausend Seen. „Das Land hat etwas Unmittelbares, etwas Uriges, aber auch Beinhartes“, sagt Krebber.
Dass die Finnen die Höhe eines Auto-Knöllchens prozentual zum Jahresgehalt des Sünders berechnen, fällt in die dritte Kategorie. Der ausgeprägte Sauna-Drang wohl eher in die zweite. Eisenbahnen gibt es auch. Bis zum legendären Nordkap langt der Schienenstrang aber nicht. 700 Kilometer vorher ist Schluss. Kurz hinter Rovaniemi, dem Sitz des offiziellen Weihnachtsmannes am Polarkreis.
Was sich ein Eisenbahnenthusiast wünscht? Krebbers Antwort ist eine an die lokale Politik: „Ich würde drauf abfahren, wenn in Emmerich wieder der ICE halten würde.“
Übrigens:
Das Nonplusultra für Modelleisenbahn-Freunde ist die Hamburger Speicherstadt. Das Miniatur-Wunderland (Kehrwieder 2, Block D) in Laufweite der Landungsbrücken am Hafen hat aktuell rund 13 000 Meter Schienenstrang, 930 Züge mit über 14 000 Waggons zu bieten. Lockere 335 000 Lichter sind in der riesenhaften Anlage verbaut. In diese sind seit dem Jahr 2000 rund zwölf Millionen Euro an Investitionen geflossen.
Wer es lieber real mag, der sollte mal einen Abstecher nach Wales wagen. Und dort die liebevoll restaurierten Eisenbahnen bewundern. Im Westen Großbritanniens fahren weltweit mit Abstand die meisten Schmalspurbahnen. Mit hübschen kleinen Dampfrössern vornweg.