Duisburg-Rheinhausen. . Theo Steegmann und seine Erinnerungen an den aufwühlenden Arbeitskampf vor 30 Jahren: Konzert mit den Toten Hosen, Umbenennung der Rheinbrücke.
165 Tage historischer Arbeitskampf um das Krupp-Stahlwerk in Rheinhausen. Der damalige Betriebsrat Theo Steegmann verfügt über einen riesigen Schatz an Erinnerungen an die Zeit, die das gesamte Ruhrgebiet prägte. Hier der zweite Teil seines Rückblicks auf den wohl härtesten Arbeitskampf in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
5. Januar 1988: „Spazierfahrten“ zum Stahlwerk in Düsseldorf, Mannesmann in Huckingen und zu Thyssen in Bruckhausen. „Wir haben die Strategie erweitert und sind in die anderen Werke hineingegangen. Die Thyssen-Belegschaft hat zweimal für uns gestreikt.“
6./7. Januar: Mit einer Nachtaktion in Duisburg reagieren Stahlarbeiter auf die Äußerung von Krupp-Stahl-Chef Wilhelm Scheider, er wolle die Schließung des Werkes durchsetzen. „Der Fackelzug durch Rheinhausen war sehr beeindruckend – die Spontaneität und das Zusammengehörigkeitsgefühl war enorm.“
12. Januar: Weitere Mahnwachen in Duisburg. Die Kollegen vom Mannesmann-Stahlwerk stellen eine Mahnwache vor Tor 1 in Huckingen auf.
14. Januar: Auftakt der Stahltarifrunde, Konferenz der Vertrauensleute der IG Metall NRW in der Rhein-Ruhr-Halle. Bei einer Kundgebung demonstrieren 4000 Teilnehmer für den Erhalt des Werkes. Warnstreik und Autokorso zur Halle von Krupp-Stahl in Rheinhausen. „Ich kann mich gut an die Kundgebung erinnern – die Menge stimmte über die Vergesellschaftung der Stahlindustrie ab - alle waren dafür.“
20. Januar: Rund 50.000 Beschäftigte nehmen an Warnstreiks an allen Stahlstandorten teil, in 63 Betrieben. Stahlarbeiter taufen die Rheinbrücke in Rheinhausen in „Brücke der Solidarität“ „Als Zeichen der Verbundenheit tauften die Dortmunder Hoesch-Kollegen mit dem Wasser ihrer Stranggussanlage. Die Taufe der „Brücke der Solidarität“ war und ist eines der ganz starken Symbole des Arbeitskampfes.“
28. Januar: Rund 15.000 Schüler, Auszubildende und Arbeiter der Frühschicht demonstrieren in Rheinhausen, Motto „Rheinhausen muss leben“. Sie bilden eine Menschenkette um das Werk. „Das war eine gute Übung für die spätere Menschenkette von Dortmund nach Duisburg.“
31. Januar: „Großes Kyrie“: Sternmarsch von 13 Rheinhauser Kirchen zur katholischen Kirche St. Peter in Rheinhausen mit rund 5000 Teilnehmern. „Hier zeigte sich nochmals der wichtige Beitrag der Kirchen: Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Resignation wurden auf Zettel geschrieben und in der Kokstonne vor Tor 1 symbolisch verbrannt.“
10. Februar: Der WDR überträgt die Sendung „Mittwochs in ...“ live mit Moderator Walter Erasmy aus der Rheinhausen-Halle mit den Beteiligten des Arbeitskampfes. „Die Einladung, mit Krupp-Chef Gerhard Cromme danach noch ein Bier zu trinken, schlugen wir aus – uns war nicht danach.“
17. Februar: „Politischer Aschermittwoch“: An einer großen Kundgebung mit IG-Metall-Chef Franz Steinkühler und einem Gottesdienst im Walzwerk Rheinhausen nehmen rund 15.000 Menschen teil. „Anfänglich wurde Steinkühler ausgepfiffen, weil man der IG Metall-Spitze bis dahin mangelnden Einsatz vorwarf - er hat das dann aber rhetorisch gut umgebogen. Seine Bemerkung, die Stahlarbeiter hätten für ihren Einsatz für die Jugend und die Region einen Orden verdient, kam gut an.“
20. Februar: „Auf-Ruhr“-Stahl-Festival“ im Walzwerk: Mehr als 40.000 Menschen besuchen das Solidaritätskonzert mit den Toten Hosen, Herbert Grönemeyer, Rio Reiser und Klaus Lage. „Das Konzert hat bundesweit riesig gezogen. Ich war als Ordner eingesetzt – und konnte hautnah erleben, wie Campino von der Bühne in die Menge sprang. Ich habe dann um 3 Uhr morgens mit ihm noch ein Bier getrunken und ihm unsere Sichtweise erklärt – eigentlich hatte er mit regelmäßiger Arbeit nichts im Sinn – aber unsere Aktionen und unser Kampf für die Zukunft der Jugendlichen in der Region hatten ihn überzeugt. Die Toten Hosen haben sogar ein eigenes Stück für das Konzert gemacht („Es gibt tausend gute Gründe…“)“.
23. Februar: „Tausend Feuer an der Ruhr“: Rund 80.000 Menschen bilden abends in nur 15 Minuten mit Fackeln eine riesige Lichterkette quer durch das ganze Ruhrgebiet, vom Tor 1 der Hoesch-Westfalenhütte in Dortmund bis zum DGB-Haus in Duisburg, dann läuten die Kirchenglocken. „Das hat mächtig Eindruck gemacht, auch in den Medien – und sollte ja auch – einen Tag später fand die Kanzlerrunde statt und wir erwarteten uns viel davon.“
24. Februar: In Bonn tagt die „Kanzlerrunde“ zur Stahlkrise. Die Schließung des Rheinhauser Werks kann nicht verhindert werden, für den Standort gibt es keine Zusagen oder Maßnahmen. Die Kanzlerrunde beschließt aber umfangreiche Investitionen für die Region Duisburg. Diese werden in den folgenden Jahren auch umgesetzt. Ein Beispiel: Der Businesspark Niederrhein im Rheinhauser Ortsteil Asterlagen. Spontan zogen etwa 3000 Kruppianer am Tag danach zum Duisburger Rathaus und beschwerten sich bei Oberbürgermeister Josef Krings. Sie überreichten ihm ein Stück Schiene, das er sich symbolisch auf die Schulter legte. Die Schiene stand bis zuletzt in seinem Büro.
24. März: Der Betriebsrat von Krupp Stahl Rheinhausen unter Führung von Walter Busch legt nach Abstimmung mit dem Betriebsrat der Mannesmann-Röhrenwerke in Huckingen ein eigenes Alternativkonzept vor. Kernpunkt: Die Erhaltung der Werke in Rheinhausen und Huckingen. Ab 29. März wird in der Krupp-Stahl-Zentrale in Bochum über das Konzept verhandelt. „Als durchsickerte, dass Cromme das Konzept ablehnte, war die Wut und Enttäuschung riesig: Kollegen wollten ihm an den Kragen und konnten nur durch die Ankündigung einer Versammlung in der Menage gebremst werden. Dies führte zu dem letzten unbefristeten Streik, eine Strategie. die wir immer vermeiden wollten, aber ein Teil der Belegschaft hatte sich weiter radikalisiert.“
7. bis 14. April: Die Belegschaft im Werk Rheinhausen unterstützt den Betriebsrat bei den Verhandlungen mit einem unbefristeten Protest-Streik. „Die Zustimmung zu dem Streik bröckelte zunehmend – wir wussten nicht, wie wir aus dieser Situation unbeschadet wieder rauskommen, ohne die Solidarität in der Belegschaft, die ja sechs Monate lang gehalten hatte, zu zerstören.“
Der Kampf, er ging noch lange weiter. Es sollte zu weiteren Arbeitsniederlegungen und der „Düsseldorfer Vereinbarung“ kommen. Lesen Sie mehr dazu im abschließenden Teil 3 der Dokumentation.